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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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mit denen ein sicherer diplomatischer Verkehr möglich ist. Wenn sie in der
Verstimmung des Augenblicks im Stande ist, dergleichen Jndiscretionen zu be¬
gehen und vertrauliche Schriftstücke zu publiciren, an welche sie gar kein Recht
hat, welche Benutzung dürfen die Politiker eines anderen Staates von dis"
creten Mittheilungen erwarten, welche der kaiserlichen Regierung selbst einmal
gemacht worden sind? Selten ist die östreichische Politik seit der Thronbesteigung
des Hauses Lothringen in der glücklichen Lage gewesen, durch die Größe und
den Patriotismus ihrer Zielpunkte zu imponiren, aber sie hat durch viele Jahr¬
zehnte wenigstens den Vorzug einer sichern Formqewandtheit behauptet und
sie hat noch dadurch mehr als einmal eine Ueberlegenheit über andere Re¬
gierungen durchgesetzt. Jetzt ist auch dieser gute Schein verloren, und das
klug drapirte Gewand, welches manche Blöße zu decken wußte, flattert
zerrissen.

Endlich aber das Aergste. Die Depesche ist nicht einmal ehrlich abge¬
druckt, sie ist durch zweckvolles Auslassen eines Satzes gefälscht, und diese
Fälschung soll den Lesern beweisen, daß Preußen bei den Friedensverhand¬
lungen rücksichtslos gegen Italien verfahren sei. Eine unwahre Behauptung
soll durch einen Betrug des Publicums erwiesen werden. Für ein solches
Verfahren wissen wir in unserem Wörterbuche rücksichtsvoller Wendungen
gar keine Bezeichnung zu finden. Wenn eine -- sehr unglücklich abgefaßte --
offizielle Entschuldigung in einem Wiener Blatt ausspricht, über die Art und
Weise, wie die Depesche in östreichische Hände und in das Archiv des Ge-
neralstabes gekommen sei, werde man keine Auskunft geben, so ist darauf zu
bemerken, daß wir diese Auskunft gar nicht verlangen. Es verschlägt wenig,
ob die östreichische oder ob die französische Regierung durch Geld, List, Verletzung
des Telegraphengeheimnisses oder auf irgend eine andere unsaubere Weise in
den Besitz der Depesche und des Schlüssels gelangt ist; wohl aber hat die
öffentliche Meinung des civilisirten Europa ein Recht, zu fordern, daß die k. k.
Regierung, wenn sie das vermag, sich wenigstens wegen der tendenziösen Verun¬
staltung dieser Depesche rechtfertigt, deren Veröffentlichung sie nicht beschönigen
kann. Daß sie eine unerhörte Indiscretion begangen, ist doch schon arg genug;
darüber, daß sie mit kaltem Vorbedacht unredlich gehandelt, kann ihr Verhör
und Verdict nicht erspart werden. Und wenn jene offizielle Erklärung am
Schlüsse zufügt, daß, keine weitere Vertheidigung der k. k. Regierung zu erwar¬
ten sei, so gleicht solche Naivetät völlig dem Benehmen eines Mannes, der
seinem Nachbar über den Zaun Schmähworte und Verleumdungen zuruft und
deshalb vor Gericht gestellt die Ansicht ausspricht, er wolle mit der unan¬
genehmen Sache nichts mehr zu thun haben.

Vergebens suchen wir bei diesem Vorfall nach einem klugen Zweck.
Zwar die arge Absicht ist klar genug, aber Gemüth, Bildung und Logik der


mit denen ein sicherer diplomatischer Verkehr möglich ist. Wenn sie in der
Verstimmung des Augenblicks im Stande ist, dergleichen Jndiscretionen zu be¬
gehen und vertrauliche Schriftstücke zu publiciren, an welche sie gar kein Recht
hat, welche Benutzung dürfen die Politiker eines anderen Staates von dis«
creten Mittheilungen erwarten, welche der kaiserlichen Regierung selbst einmal
gemacht worden sind? Selten ist die östreichische Politik seit der Thronbesteigung
des Hauses Lothringen in der glücklichen Lage gewesen, durch die Größe und
den Patriotismus ihrer Zielpunkte zu imponiren, aber sie hat durch viele Jahr¬
zehnte wenigstens den Vorzug einer sichern Formqewandtheit behauptet und
sie hat noch dadurch mehr als einmal eine Ueberlegenheit über andere Re¬
gierungen durchgesetzt. Jetzt ist auch dieser gute Schein verloren, und das
klug drapirte Gewand, welches manche Blöße zu decken wußte, flattert
zerrissen.

Endlich aber das Aergste. Die Depesche ist nicht einmal ehrlich abge¬
druckt, sie ist durch zweckvolles Auslassen eines Satzes gefälscht, und diese
Fälschung soll den Lesern beweisen, daß Preußen bei den Friedensverhand¬
lungen rücksichtslos gegen Italien verfahren sei. Eine unwahre Behauptung
soll durch einen Betrug des Publicums erwiesen werden. Für ein solches
Verfahren wissen wir in unserem Wörterbuche rücksichtsvoller Wendungen
gar keine Bezeichnung zu finden. Wenn eine — sehr unglücklich abgefaßte —
offizielle Entschuldigung in einem Wiener Blatt ausspricht, über die Art und
Weise, wie die Depesche in östreichische Hände und in das Archiv des Ge-
neralstabes gekommen sei, werde man keine Auskunft geben, so ist darauf zu
bemerken, daß wir diese Auskunft gar nicht verlangen. Es verschlägt wenig,
ob die östreichische oder ob die französische Regierung durch Geld, List, Verletzung
des Telegraphengeheimnisses oder auf irgend eine andere unsaubere Weise in
den Besitz der Depesche und des Schlüssels gelangt ist; wohl aber hat die
öffentliche Meinung des civilisirten Europa ein Recht, zu fordern, daß die k. k.
Regierung, wenn sie das vermag, sich wenigstens wegen der tendenziösen Verun¬
staltung dieser Depesche rechtfertigt, deren Veröffentlichung sie nicht beschönigen
kann. Daß sie eine unerhörte Indiscretion begangen, ist doch schon arg genug;
darüber, daß sie mit kaltem Vorbedacht unredlich gehandelt, kann ihr Verhör
und Verdict nicht erspart werden. Und wenn jene offizielle Erklärung am
Schlüsse zufügt, daß, keine weitere Vertheidigung der k. k. Regierung zu erwar¬
ten sei, so gleicht solche Naivetät völlig dem Benehmen eines Mannes, der
seinem Nachbar über den Zaun Schmähworte und Verleumdungen zuruft und
deshalb vor Gericht gestellt die Ansicht ausspricht, er wolle mit der unan¬
genehmen Sache nichts mehr zu thun haben.

Vergebens suchen wir bei diesem Vorfall nach einem klugen Zweck.
Zwar die arge Absicht ist klar genug, aber Gemüth, Bildung und Logik der


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[0254] mit denen ein sicherer diplomatischer Verkehr möglich ist. Wenn sie in der Verstimmung des Augenblicks im Stande ist, dergleichen Jndiscretionen zu be¬ gehen und vertrauliche Schriftstücke zu publiciren, an welche sie gar kein Recht hat, welche Benutzung dürfen die Politiker eines anderen Staates von dis« creten Mittheilungen erwarten, welche der kaiserlichen Regierung selbst einmal gemacht worden sind? Selten ist die östreichische Politik seit der Thronbesteigung des Hauses Lothringen in der glücklichen Lage gewesen, durch die Größe und den Patriotismus ihrer Zielpunkte zu imponiren, aber sie hat durch viele Jahr¬ zehnte wenigstens den Vorzug einer sichern Formqewandtheit behauptet und sie hat noch dadurch mehr als einmal eine Ueberlegenheit über andere Re¬ gierungen durchgesetzt. Jetzt ist auch dieser gute Schein verloren, und das klug drapirte Gewand, welches manche Blöße zu decken wußte, flattert zerrissen. Endlich aber das Aergste. Die Depesche ist nicht einmal ehrlich abge¬ druckt, sie ist durch zweckvolles Auslassen eines Satzes gefälscht, und diese Fälschung soll den Lesern beweisen, daß Preußen bei den Friedensverhand¬ lungen rücksichtslos gegen Italien verfahren sei. Eine unwahre Behauptung soll durch einen Betrug des Publicums erwiesen werden. Für ein solches Verfahren wissen wir in unserem Wörterbuche rücksichtsvoller Wendungen gar keine Bezeichnung zu finden. Wenn eine — sehr unglücklich abgefaßte — offizielle Entschuldigung in einem Wiener Blatt ausspricht, über die Art und Weise, wie die Depesche in östreichische Hände und in das Archiv des Ge- neralstabes gekommen sei, werde man keine Auskunft geben, so ist darauf zu bemerken, daß wir diese Auskunft gar nicht verlangen. Es verschlägt wenig, ob die östreichische oder ob die französische Regierung durch Geld, List, Verletzung des Telegraphengeheimnisses oder auf irgend eine andere unsaubere Weise in den Besitz der Depesche und des Schlüssels gelangt ist; wohl aber hat die öffentliche Meinung des civilisirten Europa ein Recht, zu fordern, daß die k. k. Regierung, wenn sie das vermag, sich wenigstens wegen der tendenziösen Verun¬ staltung dieser Depesche rechtfertigt, deren Veröffentlichung sie nicht beschönigen kann. Daß sie eine unerhörte Indiscretion begangen, ist doch schon arg genug; darüber, daß sie mit kaltem Vorbedacht unredlich gehandelt, kann ihr Verhör und Verdict nicht erspart werden. Und wenn jene offizielle Erklärung am Schlüsse zufügt, daß, keine weitere Vertheidigung der k. k. Regierung zu erwar¬ ten sei, so gleicht solche Naivetät völlig dem Benehmen eines Mannes, der seinem Nachbar über den Zaun Schmähworte und Verleumdungen zuruft und deshalb vor Gericht gestellt die Ansicht ausspricht, er wolle mit der unan¬ genehmen Sache nichts mehr zu thun haben. Vergebens suchen wir bei diesem Vorfall nach einem klugen Zweck. Zwar die arge Absicht ist klar genug, aber Gemüth, Bildung und Logik der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/254>, abgerufen am 24.07.2024.