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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Südstaaten abgeschlossen sind, um ihnen die letzte Garantie einer nationalen
Existenz zu geben und ihr Deutschthum vor den Vergrößerungsplänen Oestreichs
und Frankreichs zu schützen, denn für den norddeutschen Bund sind diese Ver¬
träge mehr eine Pflicht gegen unsere südlichen Landsleute, als "in Vortheil.
Wenn sie die Wirkung haben. Reichenhall und Passau, die Umgegend des
Bodensees und die bayerische Pfalz in deutschen Händen zu erhalten, so mag
das der östreichischen Politik unbequem erscheinen, aber diese verfährt doch un¬
geschickt, wenn sie sich in ihrem Aerger darüber zu verdeckten Drohungen oder
compromittirenden Behauptungen fortreißen läßt.

Das Alles wäre nur schwächlich und taktlos und ein Beweis, wie schwer
den kaiserlichen Politikern wird, die Haltung eines Großstaates zu bewahren.
Aber was noch zurück ist, das compromittirt die Geschäftsführung des
Kaiserstaats in weit schlimmerer Weise. In dem Bestreben, die Ländersucht
Preußens und dessen Illoyalität gegen den damaligen Bundesgenossen Italien
zu erweisen, versagt sich die officielle Schrift nicht, eine Depesche des Grafen
Bismarck an den preußischen Gesandten in Paris abzudrucken, welche die
kaiserliche Regierung sich irgendwie auf geheimem Wege zu verschaffen gewußt
hat, und zu deren Lectüre sie -- denn die Depesche war in Chiffren geschrie¬
ben -- den Schlüssel nur durch Bestechung erhalten haben kann. Da der erste
Theil der Depesche durch einen anderen Schlüssel zu lösen war, gelang
es in Wien nur die zweite Hälfte zu lesen. Und da diese Hälfte bei voll¬
ständigem Abdruck nicht die für Preußen nachtheilige Wirkung hervorgebracht
hätte, welche man in Wien wünschte, so -erschien der Inhalt der Depesche
gefälscht, indem man den Satz ausließ, durch welchen der preußische Minister
die Rücksicht auf den Bundesgenossen Italien gewahrt hatte. Und diese
durch unrechtmäßige Aneignung, durch Bestechung und Diebstahl zugänglich
gewordene, unvollständige und verstümmelte Depesche wird in einer officiellen
militärischen Schrift der kaiserlichen Regierung veröffentlicht, und in tenden¬
ziöser Weise veröffentlicht, um mitten im Frieden dadurch dem Nachbarstaat
eine Kränkung und Benachtheiligung herbeizuführen.

Es gibt wahrscheinlich keine Negierung in Europa, welche in einer Noth¬
zeit, wo es sich um Tod und Leben ihres Staates handelt, nicht versuchen
würde, durch List und Bestechung hinter die Geheimnisse des Feindes zu kom¬
men. In dem Codex unserer politischen und militärischen Moral gilt her¬
kömmlich solche Noththat für ein Unrecht, welches jeder Staatsmann und
Feldherr auf sich nehmen muß. Aber in ganz Europa, die Türkei mit ein¬
begriffen, gibt es zuverlässig sonst keine Regierung, welche der Scham und der
Rücksicht auf politische Schicklichkeit so baar ist, daß sie solchen unbehaglichen
Erwerb anders als zu den nächsten Zwecken des brennenden Kampfes benutzt.

Als sich -- es sind jetzt mehr als hundert Jahre her -- ein Utz


Südstaaten abgeschlossen sind, um ihnen die letzte Garantie einer nationalen
Existenz zu geben und ihr Deutschthum vor den Vergrößerungsplänen Oestreichs
und Frankreichs zu schützen, denn für den norddeutschen Bund sind diese Ver¬
träge mehr eine Pflicht gegen unsere südlichen Landsleute, als «in Vortheil.
Wenn sie die Wirkung haben. Reichenhall und Passau, die Umgegend des
Bodensees und die bayerische Pfalz in deutschen Händen zu erhalten, so mag
das der östreichischen Politik unbequem erscheinen, aber diese verfährt doch un¬
geschickt, wenn sie sich in ihrem Aerger darüber zu verdeckten Drohungen oder
compromittirenden Behauptungen fortreißen läßt.

Das Alles wäre nur schwächlich und taktlos und ein Beweis, wie schwer
den kaiserlichen Politikern wird, die Haltung eines Großstaates zu bewahren.
Aber was noch zurück ist, das compromittirt die Geschäftsführung des
Kaiserstaats in weit schlimmerer Weise. In dem Bestreben, die Ländersucht
Preußens und dessen Illoyalität gegen den damaligen Bundesgenossen Italien
zu erweisen, versagt sich die officielle Schrift nicht, eine Depesche des Grafen
Bismarck an den preußischen Gesandten in Paris abzudrucken, welche die
kaiserliche Regierung sich irgendwie auf geheimem Wege zu verschaffen gewußt
hat, und zu deren Lectüre sie — denn die Depesche war in Chiffren geschrie¬
ben — den Schlüssel nur durch Bestechung erhalten haben kann. Da der erste
Theil der Depesche durch einen anderen Schlüssel zu lösen war, gelang
es in Wien nur die zweite Hälfte zu lesen. Und da diese Hälfte bei voll¬
ständigem Abdruck nicht die für Preußen nachtheilige Wirkung hervorgebracht
hätte, welche man in Wien wünschte, so -erschien der Inhalt der Depesche
gefälscht, indem man den Satz ausließ, durch welchen der preußische Minister
die Rücksicht auf den Bundesgenossen Italien gewahrt hatte. Und diese
durch unrechtmäßige Aneignung, durch Bestechung und Diebstahl zugänglich
gewordene, unvollständige und verstümmelte Depesche wird in einer officiellen
militärischen Schrift der kaiserlichen Regierung veröffentlicht, und in tenden¬
ziöser Weise veröffentlicht, um mitten im Frieden dadurch dem Nachbarstaat
eine Kränkung und Benachtheiligung herbeizuführen.

Es gibt wahrscheinlich keine Negierung in Europa, welche in einer Noth¬
zeit, wo es sich um Tod und Leben ihres Staates handelt, nicht versuchen
würde, durch List und Bestechung hinter die Geheimnisse des Feindes zu kom¬
men. In dem Codex unserer politischen und militärischen Moral gilt her¬
kömmlich solche Noththat für ein Unrecht, welches jeder Staatsmann und
Feldherr auf sich nehmen muß. Aber in ganz Europa, die Türkei mit ein¬
begriffen, gibt es zuverlässig sonst keine Regierung, welche der Scham und der
Rücksicht auf politische Schicklichkeit so baar ist, daß sie solchen unbehaglichen
Erwerb anders als zu den nächsten Zwecken des brennenden Kampfes benutzt.

Als sich — es sind jetzt mehr als hundert Jahre her — ein Utz


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[0252] Südstaaten abgeschlossen sind, um ihnen die letzte Garantie einer nationalen Existenz zu geben und ihr Deutschthum vor den Vergrößerungsplänen Oestreichs und Frankreichs zu schützen, denn für den norddeutschen Bund sind diese Ver¬ träge mehr eine Pflicht gegen unsere südlichen Landsleute, als «in Vortheil. Wenn sie die Wirkung haben. Reichenhall und Passau, die Umgegend des Bodensees und die bayerische Pfalz in deutschen Händen zu erhalten, so mag das der östreichischen Politik unbequem erscheinen, aber diese verfährt doch un¬ geschickt, wenn sie sich in ihrem Aerger darüber zu verdeckten Drohungen oder compromittirenden Behauptungen fortreißen läßt. Das Alles wäre nur schwächlich und taktlos und ein Beweis, wie schwer den kaiserlichen Politikern wird, die Haltung eines Großstaates zu bewahren. Aber was noch zurück ist, das compromittirt die Geschäftsführung des Kaiserstaats in weit schlimmerer Weise. In dem Bestreben, die Ländersucht Preußens und dessen Illoyalität gegen den damaligen Bundesgenossen Italien zu erweisen, versagt sich die officielle Schrift nicht, eine Depesche des Grafen Bismarck an den preußischen Gesandten in Paris abzudrucken, welche die kaiserliche Regierung sich irgendwie auf geheimem Wege zu verschaffen gewußt hat, und zu deren Lectüre sie — denn die Depesche war in Chiffren geschrie¬ ben — den Schlüssel nur durch Bestechung erhalten haben kann. Da der erste Theil der Depesche durch einen anderen Schlüssel zu lösen war, gelang es in Wien nur die zweite Hälfte zu lesen. Und da diese Hälfte bei voll¬ ständigem Abdruck nicht die für Preußen nachtheilige Wirkung hervorgebracht hätte, welche man in Wien wünschte, so -erschien der Inhalt der Depesche gefälscht, indem man den Satz ausließ, durch welchen der preußische Minister die Rücksicht auf den Bundesgenossen Italien gewahrt hatte. Und diese durch unrechtmäßige Aneignung, durch Bestechung und Diebstahl zugänglich gewordene, unvollständige und verstümmelte Depesche wird in einer officiellen militärischen Schrift der kaiserlichen Regierung veröffentlicht, und in tenden¬ ziöser Weise veröffentlicht, um mitten im Frieden dadurch dem Nachbarstaat eine Kränkung und Benachtheiligung herbeizuführen. Es gibt wahrscheinlich keine Negierung in Europa, welche in einer Noth¬ zeit, wo es sich um Tod und Leben ihres Staates handelt, nicht versuchen würde, durch List und Bestechung hinter die Geheimnisse des Feindes zu kom¬ men. In dem Codex unserer politischen und militärischen Moral gilt her¬ kömmlich solche Noththat für ein Unrecht, welches jeder Staatsmann und Feldherr auf sich nehmen muß. Aber in ganz Europa, die Türkei mit ein¬ begriffen, gibt es zuverlässig sonst keine Regierung, welche der Scham und der Rücksicht auf politische Schicklichkeit so baar ist, daß sie solchen unbehaglichen Erwerb anders als zu den nächsten Zwecken des brennenden Kampfes benutzt. Als sich — es sind jetzt mehr als hundert Jahre her — ein Utz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/252>, abgerufen am 24.07.2024.