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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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während des Kriegs und beim Friedensschluß besprochen wird. Wir freuen uns
aufrichtig, jenes vielbesprochene Usedom'sche Memoire v. 19. Juni an die italie¬
nische Regierung wieder abgedruckt zu finden. Denn jenes Schriftstück war eine
zeitgemäße und verständige Mahnung Preußens an Italien, wer dasselbe auch
verfaßt haben mag, und es ist dabei nur Eines höchlich zu bedauern, daß
osficiöse preußische Federn jemals dazu gebraucht wurden, das Memoire als
ein nicht von Berlin autorisirtes Vorgehen des Grafen Usedom zu des-
avouiren. -- Wenn ferner der östreichische Bericht dem Grafen Bismarck bei
den Friedensverhandlungen Schroffheit gegen Oestreich vorwirft, so haben
Wir für ein Bedürfniß nach Gemüthlichkeit in solcher Situation kein Ver.
ständniß. Ein echter Wiener hätte als Sieger dem besiegten Gegner die
Hand gedrückt, die Backen geküßt und dazu das Doppelte von Kriegsgewinn
und Schlesien als Zugabe gefordert. Bei uns war bis jetzt die Meinung,
daß die preußische Politik beim Frieden gegen Oestreich eine ganz ungewöhn¬
liche Rücksicht bewiesen und in ritterlicher Berücksichtigung der kaiserlichen
Gefühle Alles aus dem Friedensverträge entfernt gehalten habe, was als
eine unnöthige Demüthigung des Nachbarstaats erscheinen konnte. Wenn
endlich gar die östreichische Staatsschrift sich zu der Behauptung versteigt, die
A-llianzverträge mit den süddeutschen Staaten seien "strenge genommen" durch
den Prager Frieden ungültig geworden, weil sie vor demselben ohne Zuziehung
Oestreichs abgeschlossen seien, so ist diese Behauptung allerdings nur eitle Phrase
in der Schrift eines Staates, der selbst den Frieden schloß, ohne seine süd¬
deutschen Verbündeten zu fragen, und der nicht abgeneigt gewesen war, für
mögliche Verluste sich durch Landgebiet seiner eigenen Bundesgenossen schad¬
los zu halten. Aber diese Behauptung steht in einer officiellen Schrift des
Kaiserstaats und dieser Umstand macht sie zu einer ernsthaften Thatsache.
Die k. k. Regierung erörtert öffentlich die Ungültigkeit der Allianzver¬
träge zwischen dem norddeutschen Bunde und den Südstaaten. Nach fast
drei Friedensjahren bricht plötzlich wie ein Wetterstrahl aus heiterer Luft
eine Auffassung hervor, welche die Grundlagen des bestehenden Friedens-
zustandes in Frage stellt. Ist das eine Drohung? Ist es eine unkluge
Offenbarung stiller Hintergedanken? Oder gar nur eine gedankenarme Redens¬
art, und haben die Staatsmänner Oestreichs trotzdem die Ansicht, ohne Strenge
gelten zu lassen, was sie streng genommen nicht hindern können? Das friedliche
Europa ist sehr berechtigt, darüber eine runde Erklärung zu fordern. Denn
es scheint, daß jener Satz nicht zufällig in dem Buche steht. Zu gleicher
Zeit mit dieser Aeußerung hat in der separatistischen Presse Süddeutschlands
eine geräuschvolle Agitation gegen dieselben Allianzverträge begonnen, welche
jetzt als Knechtschaft und finanzieller Ruin des Südens dargestellt werden.
Wir freilich haben die Ansicht, daß diese Verträge vor Allem im Interesse der


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während des Kriegs und beim Friedensschluß besprochen wird. Wir freuen uns
aufrichtig, jenes vielbesprochene Usedom'sche Memoire v. 19. Juni an die italie¬
nische Regierung wieder abgedruckt zu finden. Denn jenes Schriftstück war eine
zeitgemäße und verständige Mahnung Preußens an Italien, wer dasselbe auch
verfaßt haben mag, und es ist dabei nur Eines höchlich zu bedauern, daß
osficiöse preußische Federn jemals dazu gebraucht wurden, das Memoire als
ein nicht von Berlin autorisirtes Vorgehen des Grafen Usedom zu des-
avouiren. — Wenn ferner der östreichische Bericht dem Grafen Bismarck bei
den Friedensverhandlungen Schroffheit gegen Oestreich vorwirft, so haben
Wir für ein Bedürfniß nach Gemüthlichkeit in solcher Situation kein Ver.
ständniß. Ein echter Wiener hätte als Sieger dem besiegten Gegner die
Hand gedrückt, die Backen geküßt und dazu das Doppelte von Kriegsgewinn
und Schlesien als Zugabe gefordert. Bei uns war bis jetzt die Meinung,
daß die preußische Politik beim Frieden gegen Oestreich eine ganz ungewöhn¬
liche Rücksicht bewiesen und in ritterlicher Berücksichtigung der kaiserlichen
Gefühle Alles aus dem Friedensverträge entfernt gehalten habe, was als
eine unnöthige Demüthigung des Nachbarstaats erscheinen konnte. Wenn
endlich gar die östreichische Staatsschrift sich zu der Behauptung versteigt, die
A-llianzverträge mit den süddeutschen Staaten seien „strenge genommen" durch
den Prager Frieden ungültig geworden, weil sie vor demselben ohne Zuziehung
Oestreichs abgeschlossen seien, so ist diese Behauptung allerdings nur eitle Phrase
in der Schrift eines Staates, der selbst den Frieden schloß, ohne seine süd¬
deutschen Verbündeten zu fragen, und der nicht abgeneigt gewesen war, für
mögliche Verluste sich durch Landgebiet seiner eigenen Bundesgenossen schad¬
los zu halten. Aber diese Behauptung steht in einer officiellen Schrift des
Kaiserstaats und dieser Umstand macht sie zu einer ernsthaften Thatsache.
Die k. k. Regierung erörtert öffentlich die Ungültigkeit der Allianzver¬
träge zwischen dem norddeutschen Bunde und den Südstaaten. Nach fast
drei Friedensjahren bricht plötzlich wie ein Wetterstrahl aus heiterer Luft
eine Auffassung hervor, welche die Grundlagen des bestehenden Friedens-
zustandes in Frage stellt. Ist das eine Drohung? Ist es eine unkluge
Offenbarung stiller Hintergedanken? Oder gar nur eine gedankenarme Redens¬
art, und haben die Staatsmänner Oestreichs trotzdem die Ansicht, ohne Strenge
gelten zu lassen, was sie streng genommen nicht hindern können? Das friedliche
Europa ist sehr berechtigt, darüber eine runde Erklärung zu fordern. Denn
es scheint, daß jener Satz nicht zufällig in dem Buche steht. Zu gleicher
Zeit mit dieser Aeußerung hat in der separatistischen Presse Süddeutschlands
eine geräuschvolle Agitation gegen dieselben Allianzverträge begonnen, welche
jetzt als Knechtschaft und finanzieller Ruin des Südens dargestellt werden.
Wir freilich haben die Ansicht, daß diese Verträge vor Allem im Interesse der


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[0251] während des Kriegs und beim Friedensschluß besprochen wird. Wir freuen uns aufrichtig, jenes vielbesprochene Usedom'sche Memoire v. 19. Juni an die italie¬ nische Regierung wieder abgedruckt zu finden. Denn jenes Schriftstück war eine zeitgemäße und verständige Mahnung Preußens an Italien, wer dasselbe auch verfaßt haben mag, und es ist dabei nur Eines höchlich zu bedauern, daß osficiöse preußische Federn jemals dazu gebraucht wurden, das Memoire als ein nicht von Berlin autorisirtes Vorgehen des Grafen Usedom zu des- avouiren. — Wenn ferner der östreichische Bericht dem Grafen Bismarck bei den Friedensverhandlungen Schroffheit gegen Oestreich vorwirft, so haben Wir für ein Bedürfniß nach Gemüthlichkeit in solcher Situation kein Ver. ständniß. Ein echter Wiener hätte als Sieger dem besiegten Gegner die Hand gedrückt, die Backen geküßt und dazu das Doppelte von Kriegsgewinn und Schlesien als Zugabe gefordert. Bei uns war bis jetzt die Meinung, daß die preußische Politik beim Frieden gegen Oestreich eine ganz ungewöhn¬ liche Rücksicht bewiesen und in ritterlicher Berücksichtigung der kaiserlichen Gefühle Alles aus dem Friedensverträge entfernt gehalten habe, was als eine unnöthige Demüthigung des Nachbarstaats erscheinen konnte. Wenn endlich gar die östreichische Staatsschrift sich zu der Behauptung versteigt, die A-llianzverträge mit den süddeutschen Staaten seien „strenge genommen" durch den Prager Frieden ungültig geworden, weil sie vor demselben ohne Zuziehung Oestreichs abgeschlossen seien, so ist diese Behauptung allerdings nur eitle Phrase in der Schrift eines Staates, der selbst den Frieden schloß, ohne seine süd¬ deutschen Verbündeten zu fragen, und der nicht abgeneigt gewesen war, für mögliche Verluste sich durch Landgebiet seiner eigenen Bundesgenossen schad¬ los zu halten. Aber diese Behauptung steht in einer officiellen Schrift des Kaiserstaats und dieser Umstand macht sie zu einer ernsthaften Thatsache. Die k. k. Regierung erörtert öffentlich die Ungültigkeit der Allianzver¬ träge zwischen dem norddeutschen Bunde und den Südstaaten. Nach fast drei Friedensjahren bricht plötzlich wie ein Wetterstrahl aus heiterer Luft eine Auffassung hervor, welche die Grundlagen des bestehenden Friedens- zustandes in Frage stellt. Ist das eine Drohung? Ist es eine unkluge Offenbarung stiller Hintergedanken? Oder gar nur eine gedankenarme Redens¬ art, und haben die Staatsmänner Oestreichs trotzdem die Ansicht, ohne Strenge gelten zu lassen, was sie streng genommen nicht hindern können? Das friedliche Europa ist sehr berechtigt, darüber eine runde Erklärung zu fordern. Denn es scheint, daß jener Satz nicht zufällig in dem Buche steht. Zu gleicher Zeit mit dieser Aeußerung hat in der separatistischen Presse Süddeutschlands eine geräuschvolle Agitation gegen dieselben Allianzverträge begonnen, welche jetzt als Knechtschaft und finanzieller Ruin des Südens dargestellt werden. Wir freilich haben die Ansicht, daß diese Verträge vor Allem im Interesse der 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/251>, abgerufen am 24.07.2024.