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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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als der einzig möglichen Vormacht Deutschlands; Aufgabe der thörichten
Hoffnungen auf directe Staatshülfe, Verlassen auf die eigene Thätigkeit und
energisches Anfassen der Arbeit in dem Wirkungskreise eines Jeden, haben
sich wieder allgemeine Geltung errungen.

Die Regierung hat auch ihrerseits durch Befreiung des Verkehrs von den
gesetzlichen Fesseln, durch zweckmäßigere Verwaltung der Westbahn und durch
manche in den richtigen Grenzen gehaltene und doch segensreich wirkende Be¬
willigungen die allgemeine Wohlfahrt zu fördern gestrebt. Der Handel hat in
der That neuen Aufschwung genommen, regelmäßige Dampfschiffverbindungen
von Emden und Leer nach England sind eingerichtet, große Fabriken sind ent¬
standen; in dem traurigen Nothstandswinter 1867/68 hat die Regierung den
armen Moorcolonisten wirksame Hülfe zur Anschaffung von Saatfrüchten
geleistet und dadurch großen Segen gestiftet, und die ganze Provinz ist in
entschiedenem Aufblühen begriffen. Andererseits hat sich der bittere Haß
gegen Hannover gelegt. Petitionen mit über zehntausend Unterschriften ver¬
langen, mit der Provinz vereinigt zu bleiben; eine Versetzung der hannover-
schen Beamten begehrt Niemand mehr und die Verhältnisse haben sich in
jeder Hinsicht wieder consolidirt. sodaß jetzt der inneren Angelegenheit ein
regeres Interesse zugewandt wird. Für die am 10. Mai d. I. zusammen¬
tretende sogenannte Landrechnungsversammlung ist ein Antrag auf zeitgemäße
Aenderung der Provinzialverfassung auf die Tagesordnung gestellt, der
gegenwärtig die Gemüther mehr beschäftigt, als die Fragen der großen
Politik. Diese -- obwohl erst aus dem Jahre 1846 stammende -- Ver-
fassung ist noch ein so völlig mittelalterliches Stück, daß ihre Beseitigung
schlechthin nothwendig ist; trotzdem werden heiße Kämpfe darüber entbren¬
nen, was an ihre Stelle zu setzen ist und werden namentlich die Führer
unserer Ritterschaft sicher ihre Lanze für die Conservirung einlegen, wobei
ihnen der Landdrost sogar secundirev wird. Ich behalte mir vor, bei Ge¬
legenheit der beginnenden Session Ihren Lesern ein Bild dieses ergötzlichen
Musterwerks althannoverscher Gesetzgebung zu entwerfen.

Eigentliche politische Parteigegensätze existiren heute in Ostfriesland nicht
wehr; man kann dreist behaupten, daß die gesammte Bevölkerung politisch
der national-liberalen Richtung mit mehr oder minder weit nach links
gehender Schattirung angehört. Abgesehen von der oben erwähnten Can-
didatur des Landdrosten Nieper sind bei allen Wahlen auch immer nur
national-liberale Candidaten aufgestellt; die trotz dem ziemlich heißen Wahl¬
kämpfe haben ihren Grund mehr in den Eifersüchteleien der verschiedenen
Bezirke und Städte gehabt. Namentlich Norden und Emden hatten in dieser
Hinsicht noch bet der letzten Reichstagswahl eine heftige Fehde, in welcher
allerdings auch confessionell" Gegensätze Mit ins Spiel kamen. Der gegen


als der einzig möglichen Vormacht Deutschlands; Aufgabe der thörichten
Hoffnungen auf directe Staatshülfe, Verlassen auf die eigene Thätigkeit und
energisches Anfassen der Arbeit in dem Wirkungskreise eines Jeden, haben
sich wieder allgemeine Geltung errungen.

Die Regierung hat auch ihrerseits durch Befreiung des Verkehrs von den
gesetzlichen Fesseln, durch zweckmäßigere Verwaltung der Westbahn und durch
manche in den richtigen Grenzen gehaltene und doch segensreich wirkende Be¬
willigungen die allgemeine Wohlfahrt zu fördern gestrebt. Der Handel hat in
der That neuen Aufschwung genommen, regelmäßige Dampfschiffverbindungen
von Emden und Leer nach England sind eingerichtet, große Fabriken sind ent¬
standen; in dem traurigen Nothstandswinter 1867/68 hat die Regierung den
armen Moorcolonisten wirksame Hülfe zur Anschaffung von Saatfrüchten
geleistet und dadurch großen Segen gestiftet, und die ganze Provinz ist in
entschiedenem Aufblühen begriffen. Andererseits hat sich der bittere Haß
gegen Hannover gelegt. Petitionen mit über zehntausend Unterschriften ver¬
langen, mit der Provinz vereinigt zu bleiben; eine Versetzung der hannover-
schen Beamten begehrt Niemand mehr und die Verhältnisse haben sich in
jeder Hinsicht wieder consolidirt. sodaß jetzt der inneren Angelegenheit ein
regeres Interesse zugewandt wird. Für die am 10. Mai d. I. zusammen¬
tretende sogenannte Landrechnungsversammlung ist ein Antrag auf zeitgemäße
Aenderung der Provinzialverfassung auf die Tagesordnung gestellt, der
gegenwärtig die Gemüther mehr beschäftigt, als die Fragen der großen
Politik. Diese — obwohl erst aus dem Jahre 1846 stammende — Ver-
fassung ist noch ein so völlig mittelalterliches Stück, daß ihre Beseitigung
schlechthin nothwendig ist; trotzdem werden heiße Kämpfe darüber entbren¬
nen, was an ihre Stelle zu setzen ist und werden namentlich die Führer
unserer Ritterschaft sicher ihre Lanze für die Conservirung einlegen, wobei
ihnen der Landdrost sogar secundirev wird. Ich behalte mir vor, bei Ge¬
legenheit der beginnenden Session Ihren Lesern ein Bild dieses ergötzlichen
Musterwerks althannoverscher Gesetzgebung zu entwerfen.

Eigentliche politische Parteigegensätze existiren heute in Ostfriesland nicht
wehr; man kann dreist behaupten, daß die gesammte Bevölkerung politisch
der national-liberalen Richtung mit mehr oder minder weit nach links
gehender Schattirung angehört. Abgesehen von der oben erwähnten Can-
didatur des Landdrosten Nieper sind bei allen Wahlen auch immer nur
national-liberale Candidaten aufgestellt; die trotz dem ziemlich heißen Wahl¬
kämpfe haben ihren Grund mehr in den Eifersüchteleien der verschiedenen
Bezirke und Städte gehabt. Namentlich Norden und Emden hatten in dieser
Hinsicht noch bet der letzten Reichstagswahl eine heftige Fehde, in welcher
allerdings auch confessionell« Gegensätze Mit ins Spiel kamen. Der gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/247>, abgerufen am 24.07.2024.