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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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tigsten politischen. Als der Graf Josef Ricci wegen der Eisenbahnfrage in
vertraulicher Sendung nach der Schweiz und den süddeutschen Höfen geschickt
wurde, redete ihm Karl Albert mit den Worten zu: "Sehen Sie nicht, daß
Sie außer dem unmittelbaren Gewinn süe den Staat und besonders für Ihre
Vaterstadt Genua noch ein höchst bedeutendes politisches Resultat erzielen
können, indem Sie die Schweiz und die kleineren deutschen Staaten durch
das Band der Interessen uns näher bringen. Von den Handelsbeziehungen
ist es leicht zu den politischen weiterzuschreiten; und es wäre doch ein schönes
Resultat, ein Bund, der Oestreich die Spitze böte." Die Unterhandlungen,
die bis ins Jahr 1847 dauerten, wurden denn auch von Oestreich nach
Kräften durchkreuzt und hintertrieben. Es handelte sich damals bekanntlich
um den Bau des Lukmanier, und die Absicht war dabei auch darauf gerichtet,
den nächsten Weg zum Rhein zu finden und in directen Verkehr mit Preußen
Zu treten. Der Handelsvertrag, der damals mit dem Zollverein geschlossen
wurde, lag in der gleichen Linie. Damals wurde auch in der Presse zum
erstenmal die Aehnlichkeit in der Stellung der beiden Staaten Preußen und
Piemont erörtert. Die Allgemeine Zeitung in Augsburg fand: "Piemont
ist das Preußen Italiens; dies ist es durch den militairischen Geist, der das
Volk beseelt, durch seine Lage gegenüber von Frankreich, gegen welches es
Vorhut zu sein bestimmt ist, durch die Aehnlichkeit seiner Geschicke wie im
schnellen Wachsthum, so im raschen obwohl vorübergehenden Verfall, durch
die Blüthe des Unterrichts und die Gunst, die er bei der Regierung findet."
In Piemont wurde der Gedanke laut, nach Preußens Vorbild einen italie¬
nischen Zollverein mit Ausschluß Oestreichs zu gründen, und Niemand wußte
die nationale Bedeutung der Eisenbahnfragen einleuchtender nachzuweisen als
ein Schriftsteller, der damals zum erstenmal in die Oeffentlichkeit trat, der
Graf Camillo Cavour.

Die Weinzollfrage, die als "Repressalie". weil Piemont in der Salz¬
frage sich fest erwiesen hatte, von Oestreich aufs Tapet gebracht wurde, zog
sich bis in eine Zeit hin, da ganz andere Elemente in Italien lebendig
wurden, welche aus dem Jnstinct der Nation heraus der Fremdherrschaft
Krieg ankündigten. Jene Festigkeit hatte mit einem mal wieder die Hoff-
nungen auf das Haus Savoyen gelenkt, und diese Hoffnungen mischten
sich jetzt mit der allgemeinen Gährung der Geister. Angesichts der herauf-
Ziehenden Gefahren hätte Metternich gerne die ungelegene Sache beigelegt,
und La Margherita, der dem König mißtrauend doppelt das aufsteigende
Gespenst der Revolution fürchtete, kam ihm gerne entgegen. Aber der
König war fest. Der Minister, der jetzt den Boden unter sich Wanken
fühlte, das ganze politische Gebäude, an dem er mit aufrichtiger Ueber-
Zeugung gearbeitet hatte, gefährdet sah. richtete am 2. Juni 1846 ein


tigsten politischen. Als der Graf Josef Ricci wegen der Eisenbahnfrage in
vertraulicher Sendung nach der Schweiz und den süddeutschen Höfen geschickt
wurde, redete ihm Karl Albert mit den Worten zu: „Sehen Sie nicht, daß
Sie außer dem unmittelbaren Gewinn süe den Staat und besonders für Ihre
Vaterstadt Genua noch ein höchst bedeutendes politisches Resultat erzielen
können, indem Sie die Schweiz und die kleineren deutschen Staaten durch
das Band der Interessen uns näher bringen. Von den Handelsbeziehungen
ist es leicht zu den politischen weiterzuschreiten; und es wäre doch ein schönes
Resultat, ein Bund, der Oestreich die Spitze böte." Die Unterhandlungen,
die bis ins Jahr 1847 dauerten, wurden denn auch von Oestreich nach
Kräften durchkreuzt und hintertrieben. Es handelte sich damals bekanntlich
um den Bau des Lukmanier, und die Absicht war dabei auch darauf gerichtet,
den nächsten Weg zum Rhein zu finden und in directen Verkehr mit Preußen
Zu treten. Der Handelsvertrag, der damals mit dem Zollverein geschlossen
wurde, lag in der gleichen Linie. Damals wurde auch in der Presse zum
erstenmal die Aehnlichkeit in der Stellung der beiden Staaten Preußen und
Piemont erörtert. Die Allgemeine Zeitung in Augsburg fand: „Piemont
ist das Preußen Italiens; dies ist es durch den militairischen Geist, der das
Volk beseelt, durch seine Lage gegenüber von Frankreich, gegen welches es
Vorhut zu sein bestimmt ist, durch die Aehnlichkeit seiner Geschicke wie im
schnellen Wachsthum, so im raschen obwohl vorübergehenden Verfall, durch
die Blüthe des Unterrichts und die Gunst, die er bei der Regierung findet."
In Piemont wurde der Gedanke laut, nach Preußens Vorbild einen italie¬
nischen Zollverein mit Ausschluß Oestreichs zu gründen, und Niemand wußte
die nationale Bedeutung der Eisenbahnfragen einleuchtender nachzuweisen als
ein Schriftsteller, der damals zum erstenmal in die Oeffentlichkeit trat, der
Graf Camillo Cavour.

Die Weinzollfrage, die als „Repressalie". weil Piemont in der Salz¬
frage sich fest erwiesen hatte, von Oestreich aufs Tapet gebracht wurde, zog
sich bis in eine Zeit hin, da ganz andere Elemente in Italien lebendig
wurden, welche aus dem Jnstinct der Nation heraus der Fremdherrschaft
Krieg ankündigten. Jene Festigkeit hatte mit einem mal wieder die Hoff-
nungen auf das Haus Savoyen gelenkt, und diese Hoffnungen mischten
sich jetzt mit der allgemeinen Gährung der Geister. Angesichts der herauf-
Ziehenden Gefahren hätte Metternich gerne die ungelegene Sache beigelegt,
und La Margherita, der dem König mißtrauend doppelt das aufsteigende
Gespenst der Revolution fürchtete, kam ihm gerne entgegen. Aber der
König war fest. Der Minister, der jetzt den Boden unter sich Wanken
fühlte, das ganze politische Gebäude, an dem er mit aufrichtiger Ueber-
Zeugung gearbeitet hatte, gefährdet sah. richtete am 2. Juni 1846 ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/239>, abgerufen am 04.07.2024.