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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Entwürfen nun, welche von einem Theil der Umgebung des Königs genährt
wurden, wirkte La Margherita auf jede Weise entgegen, weil sie ihm unver¬
einbar waren mit dem Legitimitätsprincip. Aber doch schrieb er in den ver¬
traulichen Instruktionen, die er im Jahre 1836 seinem Gesandten in Wien,
Grafen Sambuy übersandte, folgende Worte: "Die Politik Oestreichs hat
sich seit dem letzten Jahrhundert nicht geändert. Es hat immer dieselben
Ziele, und noch viel größer ist sein Ehrgeiz. Während es nach dem Erwerb
der päpstlichen Legationen die Hände ausstreckt, wirft es gleichzeitig einen
begehrlichen Blick auf das rechte Ufer des Tessin, den es wieder überschreiten
möchte, um seine Grenzen über die Bestimmungen der Verträge von Worms
und Aachen hinaus auszudehnen. Wenn Genua ein integrirender Bestand¬
theil der sardinischen Staaten geworden ist, so verdanken wir es sicher nicht
Oestreich, und sicher war es nicht Oestreich, das unsere Sache auf dem Wiener
Congreß aufrecht hielt. Halten Sie an der Ansicht fest, daß wir nicht die
geringste Pflicht der Erkenntlichkeit gegen diesen Hof haben, welcher, uns nur
Gutes zukommen läßt, wenn er in die Unmöglichkeit versetzt ist, uns des¬
selben zu berauben. Daraus ergibt sich, mit welchem Mißtrauen wir alle
seine Freundschaftserbietungen und die Vorschläge, die in unserem Interesse
gemacht zu sein scheinen, aufzunehmen haben. Man darf kein Vertrauen
setzen auf die östreichischen Minister, ihren Worten keinerlei Glauben schenken."
Besäßen wir die vertraulichen Depeschen der östreichischen Diplomaten in
gleicher Vollständigkeit, so würde daraus ohne Zweifel hervorgehen, daß in
den Zeiten der engsten Freundschaft auch auf jener Seite das Mißtrauen,
das in der Natur der Sache lag, ganz dasselbe war.

Und so war es denn derselbe Solaro della Margherita, Her ohne es zu
wollen, allmälig in eine Politik hineintrieb, deren Strömung durch seine
felsenfesten Grundsätze nicht mehr aufgehalten werden konnte. Zu einer Zeit,
da er noch hartnäckiger als irgend eine andere Macht den Sonderbund in
der Schweiz unterstützte und piemontesische Emissaire in der Schweiz
reisten, um für monarchische Gesinnung Propaganda zu machen, hatten be¬
reits jene Streitigkeiten mit Oestreich begonnen, welche Schritt für Schritt
zum Bruche trieben, und an welchen Karl Albert vorsichtig und unter
Schwankungen aller Art, allmählig den Muth gewann, seinem Ehrgeiz freien
Lauf zu lassen. Diese Streitigkeiten betrafen die Eisenbahnfrage, später die
Salz- und Weinfrage, Verhältnisse, die öfters erörtert und erzählt wor¬
den sind.

Es ist wohl schwerlich ein Zufall, daß es gerade wirthschaftliche Fragen
waren, in welchen die piemontesische Politik sich wieder auf sich selbst besann
und den Kampf mit dem verhaßten und übermächtigen Bundesgenossen auf'
nahm. An die wirthschaftlichen Interessen knüpften sich unmittelbar die wich'


Entwürfen nun, welche von einem Theil der Umgebung des Königs genährt
wurden, wirkte La Margherita auf jede Weise entgegen, weil sie ihm unver¬
einbar waren mit dem Legitimitätsprincip. Aber doch schrieb er in den ver¬
traulichen Instruktionen, die er im Jahre 1836 seinem Gesandten in Wien,
Grafen Sambuy übersandte, folgende Worte: „Die Politik Oestreichs hat
sich seit dem letzten Jahrhundert nicht geändert. Es hat immer dieselben
Ziele, und noch viel größer ist sein Ehrgeiz. Während es nach dem Erwerb
der päpstlichen Legationen die Hände ausstreckt, wirft es gleichzeitig einen
begehrlichen Blick auf das rechte Ufer des Tessin, den es wieder überschreiten
möchte, um seine Grenzen über die Bestimmungen der Verträge von Worms
und Aachen hinaus auszudehnen. Wenn Genua ein integrirender Bestand¬
theil der sardinischen Staaten geworden ist, so verdanken wir es sicher nicht
Oestreich, und sicher war es nicht Oestreich, das unsere Sache auf dem Wiener
Congreß aufrecht hielt. Halten Sie an der Ansicht fest, daß wir nicht die
geringste Pflicht der Erkenntlichkeit gegen diesen Hof haben, welcher, uns nur
Gutes zukommen läßt, wenn er in die Unmöglichkeit versetzt ist, uns des¬
selben zu berauben. Daraus ergibt sich, mit welchem Mißtrauen wir alle
seine Freundschaftserbietungen und die Vorschläge, die in unserem Interesse
gemacht zu sein scheinen, aufzunehmen haben. Man darf kein Vertrauen
setzen auf die östreichischen Minister, ihren Worten keinerlei Glauben schenken."
Besäßen wir die vertraulichen Depeschen der östreichischen Diplomaten in
gleicher Vollständigkeit, so würde daraus ohne Zweifel hervorgehen, daß in
den Zeiten der engsten Freundschaft auch auf jener Seite das Mißtrauen,
das in der Natur der Sache lag, ganz dasselbe war.

Und so war es denn derselbe Solaro della Margherita, Her ohne es zu
wollen, allmälig in eine Politik hineintrieb, deren Strömung durch seine
felsenfesten Grundsätze nicht mehr aufgehalten werden konnte. Zu einer Zeit,
da er noch hartnäckiger als irgend eine andere Macht den Sonderbund in
der Schweiz unterstützte und piemontesische Emissaire in der Schweiz
reisten, um für monarchische Gesinnung Propaganda zu machen, hatten be¬
reits jene Streitigkeiten mit Oestreich begonnen, welche Schritt für Schritt
zum Bruche trieben, und an welchen Karl Albert vorsichtig und unter
Schwankungen aller Art, allmählig den Muth gewann, seinem Ehrgeiz freien
Lauf zu lassen. Diese Streitigkeiten betrafen die Eisenbahnfrage, später die
Salz- und Weinfrage, Verhältnisse, die öfters erörtert und erzählt wor¬
den sind.

Es ist wohl schwerlich ein Zufall, daß es gerade wirthschaftliche Fragen
waren, in welchen die piemontesische Politik sich wieder auf sich selbst besann
und den Kampf mit dem verhaßten und übermächtigen Bundesgenossen auf'
nahm. An die wirthschaftlichen Interessen knüpften sich unmittelbar die wich'


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[0238] Entwürfen nun, welche von einem Theil der Umgebung des Königs genährt wurden, wirkte La Margherita auf jede Weise entgegen, weil sie ihm unver¬ einbar waren mit dem Legitimitätsprincip. Aber doch schrieb er in den ver¬ traulichen Instruktionen, die er im Jahre 1836 seinem Gesandten in Wien, Grafen Sambuy übersandte, folgende Worte: „Die Politik Oestreichs hat sich seit dem letzten Jahrhundert nicht geändert. Es hat immer dieselben Ziele, und noch viel größer ist sein Ehrgeiz. Während es nach dem Erwerb der päpstlichen Legationen die Hände ausstreckt, wirft es gleichzeitig einen begehrlichen Blick auf das rechte Ufer des Tessin, den es wieder überschreiten möchte, um seine Grenzen über die Bestimmungen der Verträge von Worms und Aachen hinaus auszudehnen. Wenn Genua ein integrirender Bestand¬ theil der sardinischen Staaten geworden ist, so verdanken wir es sicher nicht Oestreich, und sicher war es nicht Oestreich, das unsere Sache auf dem Wiener Congreß aufrecht hielt. Halten Sie an der Ansicht fest, daß wir nicht die geringste Pflicht der Erkenntlichkeit gegen diesen Hof haben, welcher, uns nur Gutes zukommen läßt, wenn er in die Unmöglichkeit versetzt ist, uns des¬ selben zu berauben. Daraus ergibt sich, mit welchem Mißtrauen wir alle seine Freundschaftserbietungen und die Vorschläge, die in unserem Interesse gemacht zu sein scheinen, aufzunehmen haben. Man darf kein Vertrauen setzen auf die östreichischen Minister, ihren Worten keinerlei Glauben schenken." Besäßen wir die vertraulichen Depeschen der östreichischen Diplomaten in gleicher Vollständigkeit, so würde daraus ohne Zweifel hervorgehen, daß in den Zeiten der engsten Freundschaft auch auf jener Seite das Mißtrauen, das in der Natur der Sache lag, ganz dasselbe war. Und so war es denn derselbe Solaro della Margherita, Her ohne es zu wollen, allmälig in eine Politik hineintrieb, deren Strömung durch seine felsenfesten Grundsätze nicht mehr aufgehalten werden konnte. Zu einer Zeit, da er noch hartnäckiger als irgend eine andere Macht den Sonderbund in der Schweiz unterstützte und piemontesische Emissaire in der Schweiz reisten, um für monarchische Gesinnung Propaganda zu machen, hatten be¬ reits jene Streitigkeiten mit Oestreich begonnen, welche Schritt für Schritt zum Bruche trieben, und an welchen Karl Albert vorsichtig und unter Schwankungen aller Art, allmählig den Muth gewann, seinem Ehrgeiz freien Lauf zu lassen. Diese Streitigkeiten betrafen die Eisenbahnfrage, später die Salz- und Weinfrage, Verhältnisse, die öfters erörtert und erzählt wor¬ den sind. Es ist wohl schwerlich ein Zufall, daß es gerade wirthschaftliche Fragen waren, in welchen die piemontesische Politik sich wieder auf sich selbst besann und den Kampf mit dem verhaßten und übermächtigen Bundesgenossen auf' nahm. An die wirthschaftlichen Interessen knüpften sich unmittelbar die wich'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/238>, abgerufen am 04.07.2024.