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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Zeitstürmen zum Trotz noch immer unerschüttert fest dasteht. Die malcontente
östreichische Aristokratie, Westphalen, Belgien und Holland haben besonders
reichliche Kontingente an Wallfahrern gestellt, und wie neulich aus Rom
geschrieben wurde, ist der dritte Mensch, der dem Besucher des Kaffee¬
hauses und der Osteria oder dem Spaziergänger auf dem spanischen Platze
begegnet, ein Graf aus Münster, ein böhmischer Magnat oder ein belgischer
Jesuit, dessen hohle Züge sofort den "Fanatiker aus Reflexion" erkennen
lassen. Diese Secundizfeierlichkeiten, an denen das Ausland sich sehr viel
lebhafter betheiligt hat, als Italien und selbst Rom, ist von einem kleinen
Vorgang begleitet gewesen, der uns wiederum an die italienisch-östreichischen
Allianzgerüchte erinnert; auf Antrag des Wiener Botschafters wurde der
zufällig anwesende Herzog von Parma aus der Loge, die für die regierenden
Fürsten aufgestellt war, verwiesen. Ziemlich gleichzeitig ist der italienische
General, der dem Kaiser Franz Joseph die Jnsignien des Annunciataordens
überbracht, in Wien mit Ovationen überhäuft worden und unseren hoffnungs¬
vollen Partikularisten- und Welfenjournalen gilt der Abschluß eines Vertrages
zwischen den beiden, 60 Jahre lang verfeindet gewesenen Cabinetten bereits
für eine ausgemachte Thatsache. Daß es soweit noch nicht gekommen ist,
versteht sich von selbst, und selbst wenn es soweit gekommen wäre, bliebe
noch höchst fraglich, was man sich in Florenz unter einem Abkommen mit
der Hofburg gedacht hat. Graf Menabrea's Stellung ist nicht dazu an¬
gethan, der italienischen Regierung einen auch nur vorläufigen Verzicht auf
Rom rathsam zu machen, denn es vergeht kein Monat, in welchem die
italienischen Liberalen nicht Miene machen, das Cabinet vom Herbst 1867
über den Haufen zu werfen. Ohne Frankreichs Mitwissen und Mitwollen
wird die italienische Regierung es schwerlich zu dem Entschluß bringen, die
erprobte preußische Alliance gegen die Freundschaft Oestreichs auszutauschen,
und daß Frankreich jetzt keine Conjunctur unterstützen wird, welche den
Papst gefährden könnte, versteht sich von selbst. In drei Wochen geht der
französische Bauer und Kleinbürger an die Wahlurne, und der Wahlzettel,
den er in dieselbe wirft, ist ihm nur allzuhäufig von seinem Beichtvater
dictirt worden. -- Ueberdies hat Italien mit inneren Schwierigkeiten, nament¬
lich mit der feindlichen Stimmung in Neapel und Sicilien so vollauf zu
thun, daß es zu großen diplomatischen Diversionen weniger Beruf als jemals
fühlen dürfte. Sein Credit im Auslande ist so stetig gesunken, daß selbst
die liberalen Spanier den Gedanken aufgegeben haben, den jüngern Sohn
des Begründers der italienischen Einheit auf ihren erledigten Thron zu rufen
und damit ihrer Königsnoth ein Ende zu machen.

Die Lösung der spanischen Thronfrage hat auch in dem letzten Monat
keine Fortschritte gemacht; es sei denn, daß man die definitive Weigerung


Zeitstürmen zum Trotz noch immer unerschüttert fest dasteht. Die malcontente
östreichische Aristokratie, Westphalen, Belgien und Holland haben besonders
reichliche Kontingente an Wallfahrern gestellt, und wie neulich aus Rom
geschrieben wurde, ist der dritte Mensch, der dem Besucher des Kaffee¬
hauses und der Osteria oder dem Spaziergänger auf dem spanischen Platze
begegnet, ein Graf aus Münster, ein böhmischer Magnat oder ein belgischer
Jesuit, dessen hohle Züge sofort den „Fanatiker aus Reflexion" erkennen
lassen. Diese Secundizfeierlichkeiten, an denen das Ausland sich sehr viel
lebhafter betheiligt hat, als Italien und selbst Rom, ist von einem kleinen
Vorgang begleitet gewesen, der uns wiederum an die italienisch-östreichischen
Allianzgerüchte erinnert; auf Antrag des Wiener Botschafters wurde der
zufällig anwesende Herzog von Parma aus der Loge, die für die regierenden
Fürsten aufgestellt war, verwiesen. Ziemlich gleichzeitig ist der italienische
General, der dem Kaiser Franz Joseph die Jnsignien des Annunciataordens
überbracht, in Wien mit Ovationen überhäuft worden und unseren hoffnungs¬
vollen Partikularisten- und Welfenjournalen gilt der Abschluß eines Vertrages
zwischen den beiden, 60 Jahre lang verfeindet gewesenen Cabinetten bereits
für eine ausgemachte Thatsache. Daß es soweit noch nicht gekommen ist,
versteht sich von selbst, und selbst wenn es soweit gekommen wäre, bliebe
noch höchst fraglich, was man sich in Florenz unter einem Abkommen mit
der Hofburg gedacht hat. Graf Menabrea's Stellung ist nicht dazu an¬
gethan, der italienischen Regierung einen auch nur vorläufigen Verzicht auf
Rom rathsam zu machen, denn es vergeht kein Monat, in welchem die
italienischen Liberalen nicht Miene machen, das Cabinet vom Herbst 1867
über den Haufen zu werfen. Ohne Frankreichs Mitwissen und Mitwollen
wird die italienische Regierung es schwerlich zu dem Entschluß bringen, die
erprobte preußische Alliance gegen die Freundschaft Oestreichs auszutauschen,
und daß Frankreich jetzt keine Conjunctur unterstützen wird, welche den
Papst gefährden könnte, versteht sich von selbst. In drei Wochen geht der
französische Bauer und Kleinbürger an die Wahlurne, und der Wahlzettel,
den er in dieselbe wirft, ist ihm nur allzuhäufig von seinem Beichtvater
dictirt worden. — Ueberdies hat Italien mit inneren Schwierigkeiten, nament¬
lich mit der feindlichen Stimmung in Neapel und Sicilien so vollauf zu
thun, daß es zu großen diplomatischen Diversionen weniger Beruf als jemals
fühlen dürfte. Sein Credit im Auslande ist so stetig gesunken, daß selbst
die liberalen Spanier den Gedanken aufgegeben haben, den jüngern Sohn
des Begründers der italienischen Einheit auf ihren erledigten Thron zu rufen
und damit ihrer Königsnoth ein Ende zu machen.

Die Lösung der spanischen Thronfrage hat auch in dem letzten Monat
keine Fortschritte gemacht; es sei denn, daß man die definitive Weigerung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/198>, abgerufen am 04.07.2024.