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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Dieser Zustand blieb ziemlich unverändert bis zur Einführung deS Ge¬
setzes von 18S7, welches in Folge des im Jahre 1848 durch die combinirte
erste und zweite Kammer festgestellten Staatsgrundgesetzes von beiden Kam¬
mern angenommen wurde.

Der betreffende Artikel dieses Grundgesetzes lautet:

"§. 194. Der öffentliche Unterricht ist Gegenstand fortwährender Re¬
gierungssorge.

Die Einrichtung des öffentlichen Unterrichts geschieht mit Achtung vor
Jedermanns religiösen Meinungen.

Ueberall im Staate wird von Obrigkeits wegen genügender öffentlicher
Elementarunterricht gegeben.

Unterricht zu ertheilen steht Jedem frei unter Vorbehalt der Aufsicht
der Behörde, und außerdem, was den Real- und Elementarunterricht betrifft,
eines Examens über die Fähigkeit und Sittlichkeit des Lehrers. Ein Gesetz
regelt das hierauf Bezügliche/'

Man ersieht aus diesem Paragraphen, daß der Grundgedanke, auf
welchem die frühere Schulgesetzgebung beruhte, auch bei der Feststellung des
neuen Staatsgrundgesetzes vorgewaltet hatte.

Das Ministerium Thorbecke, unter welchem im Jahr 1848 die neue
Constitution zu Stande gekommen war, fiel in Folge der sogenannten April¬
bewegung von 18S3, Der Staat war confessionslos, neutral erklärt, allen
Religionen und Confessionen waren gleiche Rechte ertheilt, und das Ministe¬
rium Thorbecke schloß auf Grund dieses von den Kammern ausgesprochenen
Princips ein Concordat mit dem päpstlichen Stuhl ab, nach welchem dem
Papste die Ernennung der Bischöfe, der katholischen Kirche die Errichtung von
Priesterseminarien, kurz alle die Rechte eingeräumt wurden, die jener Kirche
schon nach dem Staatsgrundgesetz zukamen. Obgleich dieses Concordat durch
die Kammern sanctiomrt war, wurde im Lande eine Agitation hervorgerufen,
der gegenüber das Ministerium Thorbecke abtrat.

Das neue Ministerium van Rheenen machte nun den Kammern in den
Jahren 18S4 und 18S5 zwei Vorlagen eines neuen Schulgesetzes, in welchem
die Neutralität des Staates consequent festgehalten wurde, und demgemäß
nicht mehr wie im Gesetze von 1806 vom Christenthum oder von christlichen
Tugenden die Rede war. Das Cabinet meinte mit Recht, daß, da im Grund¬
gesetz bestimmt sei, daß der Unterricht mit Ehrerbietung vor Jedermanns reli¬
giösen Meinungen eingerichtet sein solle, damit zugleich Achtung vor dem
Christenthum gefordert sei, von einem unchristlichen Charakter der Schule also
nicht die Rede sein könne. Bei der Trennung zwischen Staat und Kirche
habe der erstere nur für die Sittlichkeit der Schule zu sorgen und müsse der
letzteren die Sorge für den Religionsunterricht überlassen bleiben. -- Gegen


Dieser Zustand blieb ziemlich unverändert bis zur Einführung deS Ge¬
setzes von 18S7, welches in Folge des im Jahre 1848 durch die combinirte
erste und zweite Kammer festgestellten Staatsgrundgesetzes von beiden Kam¬
mern angenommen wurde.

Der betreffende Artikel dieses Grundgesetzes lautet:

„§. 194. Der öffentliche Unterricht ist Gegenstand fortwährender Re¬
gierungssorge.

Die Einrichtung des öffentlichen Unterrichts geschieht mit Achtung vor
Jedermanns religiösen Meinungen.

Ueberall im Staate wird von Obrigkeits wegen genügender öffentlicher
Elementarunterricht gegeben.

Unterricht zu ertheilen steht Jedem frei unter Vorbehalt der Aufsicht
der Behörde, und außerdem, was den Real- und Elementarunterricht betrifft,
eines Examens über die Fähigkeit und Sittlichkeit des Lehrers. Ein Gesetz
regelt das hierauf Bezügliche/'

Man ersieht aus diesem Paragraphen, daß der Grundgedanke, auf
welchem die frühere Schulgesetzgebung beruhte, auch bei der Feststellung des
neuen Staatsgrundgesetzes vorgewaltet hatte.

Das Ministerium Thorbecke, unter welchem im Jahr 1848 die neue
Constitution zu Stande gekommen war, fiel in Folge der sogenannten April¬
bewegung von 18S3, Der Staat war confessionslos, neutral erklärt, allen
Religionen und Confessionen waren gleiche Rechte ertheilt, und das Ministe¬
rium Thorbecke schloß auf Grund dieses von den Kammern ausgesprochenen
Princips ein Concordat mit dem päpstlichen Stuhl ab, nach welchem dem
Papste die Ernennung der Bischöfe, der katholischen Kirche die Errichtung von
Priesterseminarien, kurz alle die Rechte eingeräumt wurden, die jener Kirche
schon nach dem Staatsgrundgesetz zukamen. Obgleich dieses Concordat durch
die Kammern sanctiomrt war, wurde im Lande eine Agitation hervorgerufen,
der gegenüber das Ministerium Thorbecke abtrat.

Das neue Ministerium van Rheenen machte nun den Kammern in den
Jahren 18S4 und 18S5 zwei Vorlagen eines neuen Schulgesetzes, in welchem
die Neutralität des Staates consequent festgehalten wurde, und demgemäß
nicht mehr wie im Gesetze von 1806 vom Christenthum oder von christlichen
Tugenden die Rede war. Das Cabinet meinte mit Recht, daß, da im Grund¬
gesetz bestimmt sei, daß der Unterricht mit Ehrerbietung vor Jedermanns reli¬
giösen Meinungen eingerichtet sein solle, damit zugleich Achtung vor dem
Christenthum gefordert sei, von einem unchristlichen Charakter der Schule also
nicht die Rede sein könne. Bei der Trennung zwischen Staat und Kirche
habe der erstere nur für die Sittlichkeit der Schule zu sorgen und müsse der
letzteren die Sorge für den Religionsunterricht überlassen bleiben. — Gegen


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[0176] Dieser Zustand blieb ziemlich unverändert bis zur Einführung deS Ge¬ setzes von 18S7, welches in Folge des im Jahre 1848 durch die combinirte erste und zweite Kammer festgestellten Staatsgrundgesetzes von beiden Kam¬ mern angenommen wurde. Der betreffende Artikel dieses Grundgesetzes lautet: „§. 194. Der öffentliche Unterricht ist Gegenstand fortwährender Re¬ gierungssorge. Die Einrichtung des öffentlichen Unterrichts geschieht mit Achtung vor Jedermanns religiösen Meinungen. Ueberall im Staate wird von Obrigkeits wegen genügender öffentlicher Elementarunterricht gegeben. Unterricht zu ertheilen steht Jedem frei unter Vorbehalt der Aufsicht der Behörde, und außerdem, was den Real- und Elementarunterricht betrifft, eines Examens über die Fähigkeit und Sittlichkeit des Lehrers. Ein Gesetz regelt das hierauf Bezügliche/' Man ersieht aus diesem Paragraphen, daß der Grundgedanke, auf welchem die frühere Schulgesetzgebung beruhte, auch bei der Feststellung des neuen Staatsgrundgesetzes vorgewaltet hatte. Das Ministerium Thorbecke, unter welchem im Jahr 1848 die neue Constitution zu Stande gekommen war, fiel in Folge der sogenannten April¬ bewegung von 18S3, Der Staat war confessionslos, neutral erklärt, allen Religionen und Confessionen waren gleiche Rechte ertheilt, und das Ministe¬ rium Thorbecke schloß auf Grund dieses von den Kammern ausgesprochenen Princips ein Concordat mit dem päpstlichen Stuhl ab, nach welchem dem Papste die Ernennung der Bischöfe, der katholischen Kirche die Errichtung von Priesterseminarien, kurz alle die Rechte eingeräumt wurden, die jener Kirche schon nach dem Staatsgrundgesetz zukamen. Obgleich dieses Concordat durch die Kammern sanctiomrt war, wurde im Lande eine Agitation hervorgerufen, der gegenüber das Ministerium Thorbecke abtrat. Das neue Ministerium van Rheenen machte nun den Kammern in den Jahren 18S4 und 18S5 zwei Vorlagen eines neuen Schulgesetzes, in welchem die Neutralität des Staates consequent festgehalten wurde, und demgemäß nicht mehr wie im Gesetze von 1806 vom Christenthum oder von christlichen Tugenden die Rede war. Das Cabinet meinte mit Recht, daß, da im Grund¬ gesetz bestimmt sei, daß der Unterricht mit Ehrerbietung vor Jedermanns reli¬ giösen Meinungen eingerichtet sein solle, damit zugleich Achtung vor dem Christenthum gefordert sei, von einem unchristlichen Charakter der Schule also nicht die Rede sein könne. Bei der Trennung zwischen Staat und Kirche habe der erstere nur für die Sittlichkeit der Schule zu sorgen und müsse der letzteren die Sorge für den Religionsunterricht überlassen bleiben. — Gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/176>, abgerufen am 24.07.2024.