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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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nügenden Einblick in ihr Leben geben. So geschieht es uns Holländern
häufig, daß wir draußen -- und nicht zuletzt in Deutschland -- schiefen
Vorstellungen über unsere Zustände, häufiger noch gänzlicher Unkenntniß
derselben begegnen. Und doch kann ein kleines Volk einen ebenso eigenarti¬
gen und kraftvollen Entwickelungsgang durchmachen wie ein großes. Ist
doch det Organismus eines kleineren Individuums nicht weniger gegliedert
als der des großen, und nehmen doch die Factoren im Leben einer Nation
nicht immer mit der Zahl ihrer Köpfe zu!

Ein in der letzten Zeit mit dem Nationalbewußtsein erwachter National¬
dünkel veranlaßt Manchen in Deutschland, auf vieles Ausländische mit Ge¬
ringschätzung herabzusehen. Dennoch glaube ich, daß je der vorurtheilsfreie
Deutsche gern die Bekanntschaft auch holländischer Zustände verwerthen wird,
zumal wenn dieselben in mancher Rücksicht der Nachahmung werth sind.

Der Zweck dieser Zeilen ist, den Lesern der "Grenzboten" das möglichst
getreue Bild eines Kampfes zu geben, der in der letzten Zeit sowohl in
Deutschland als auch in anderen Ländern begonnen hat, in den Nieder¬
landen jedoch schon seit längerer Zeit geführt wird. Es ist der Streit der
konfessionellen gegen die confessionslose, neutrale Schule.

Im Gegensatz zu anderen Ländern besteht in den Niederlanden die neu¬
trale Schule als bereits anerkanntes Staatsinstitut; dieses Institut wird von
einem Feinde angegriffen, der sich die "christlich-nationale Partei" nennt
und Herrn Groen van Prinsterer zum Führer hat. Diese Partei, die auf
rein politischem Gebiete eher liberal als conservativ genannt werden muß,
hät in der letzten Zeit an den Ultramontanen einen Bundesgenossen in
ihren Bestrebungen auf dem Felde des Schulstreites erhaltet! und schließt sich
zuweilen auch den politisch ConservattveN 'an.

Nachdem im Jahre 1795 die reformirte Kirche als Staatsreligion ge¬
fallen war und alle Confessionen gleiche Rechte erhalten hatten, entstand im
Jahre 1806 ein Schulgesetz, nach welchem alle öffentlichen, durch die Re¬
gierung öder bürgerliche Gemeinden errichteten Elementarschulen konfessions¬
los sein sollten. Privatschulen konnten konfessionell sein, bedurften aber zu
ihrer Errichtung der Zustimmung der örtlichen Schulbehörde. Unterricht
durften nur examinirte Lehrer ertheilen, und zwar bestand ein besonderes
Examen für die Hauptlehrer, die einer Schule selbständig vorstehen durften,
und eines für Hülfslehrer. Der Religionsunterricht war von den Stäats-
schulen ausgeschlossen und obwohl die Richtung des Unterrichts religiös sein
sollte, so durfte doch nichts vorgetragen werden, was der eintzn oder anderen
Confession anstößig erscheinen konnte. Schulgeld konnte zwar erhoben vier¬
ten. rbÄr aber meistens nicht gebräuchlich. Der Religionsunterricht war den
kirchlichen Gemeinden überlassen.


nügenden Einblick in ihr Leben geben. So geschieht es uns Holländern
häufig, daß wir draußen — und nicht zuletzt in Deutschland — schiefen
Vorstellungen über unsere Zustände, häufiger noch gänzlicher Unkenntniß
derselben begegnen. Und doch kann ein kleines Volk einen ebenso eigenarti¬
gen und kraftvollen Entwickelungsgang durchmachen wie ein großes. Ist
doch det Organismus eines kleineren Individuums nicht weniger gegliedert
als der des großen, und nehmen doch die Factoren im Leben einer Nation
nicht immer mit der Zahl ihrer Köpfe zu!

Ein in der letzten Zeit mit dem Nationalbewußtsein erwachter National¬
dünkel veranlaßt Manchen in Deutschland, auf vieles Ausländische mit Ge¬
ringschätzung herabzusehen. Dennoch glaube ich, daß je der vorurtheilsfreie
Deutsche gern die Bekanntschaft auch holländischer Zustände verwerthen wird,
zumal wenn dieselben in mancher Rücksicht der Nachahmung werth sind.

Der Zweck dieser Zeilen ist, den Lesern der „Grenzboten" das möglichst
getreue Bild eines Kampfes zu geben, der in der letzten Zeit sowohl in
Deutschland als auch in anderen Ländern begonnen hat, in den Nieder¬
landen jedoch schon seit längerer Zeit geführt wird. Es ist der Streit der
konfessionellen gegen die confessionslose, neutrale Schule.

Im Gegensatz zu anderen Ländern besteht in den Niederlanden die neu¬
trale Schule als bereits anerkanntes Staatsinstitut; dieses Institut wird von
einem Feinde angegriffen, der sich die „christlich-nationale Partei" nennt
und Herrn Groen van Prinsterer zum Führer hat. Diese Partei, die auf
rein politischem Gebiete eher liberal als conservativ genannt werden muß,
hät in der letzten Zeit an den Ultramontanen einen Bundesgenossen in
ihren Bestrebungen auf dem Felde des Schulstreites erhaltet! und schließt sich
zuweilen auch den politisch ConservattveN 'an.

Nachdem im Jahre 1795 die reformirte Kirche als Staatsreligion ge¬
fallen war und alle Confessionen gleiche Rechte erhalten hatten, entstand im
Jahre 1806 ein Schulgesetz, nach welchem alle öffentlichen, durch die Re¬
gierung öder bürgerliche Gemeinden errichteten Elementarschulen konfessions¬
los sein sollten. Privatschulen konnten konfessionell sein, bedurften aber zu
ihrer Errichtung der Zustimmung der örtlichen Schulbehörde. Unterricht
durften nur examinirte Lehrer ertheilen, und zwar bestand ein besonderes
Examen für die Hauptlehrer, die einer Schule selbständig vorstehen durften,
und eines für Hülfslehrer. Der Religionsunterricht war von den Stäats-
schulen ausgeschlossen und obwohl die Richtung des Unterrichts religiös sein
sollte, so durfte doch nichts vorgetragen werden, was der eintzn oder anderen
Confession anstößig erscheinen konnte. Schulgeld konnte zwar erhoben vier¬
ten. rbÄr aber meistens nicht gebräuchlich. Der Religionsunterricht war den
kirchlichen Gemeinden überlassen.


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[0175] nügenden Einblick in ihr Leben geben. So geschieht es uns Holländern häufig, daß wir draußen — und nicht zuletzt in Deutschland — schiefen Vorstellungen über unsere Zustände, häufiger noch gänzlicher Unkenntniß derselben begegnen. Und doch kann ein kleines Volk einen ebenso eigenarti¬ gen und kraftvollen Entwickelungsgang durchmachen wie ein großes. Ist doch det Organismus eines kleineren Individuums nicht weniger gegliedert als der des großen, und nehmen doch die Factoren im Leben einer Nation nicht immer mit der Zahl ihrer Köpfe zu! Ein in der letzten Zeit mit dem Nationalbewußtsein erwachter National¬ dünkel veranlaßt Manchen in Deutschland, auf vieles Ausländische mit Ge¬ ringschätzung herabzusehen. Dennoch glaube ich, daß je der vorurtheilsfreie Deutsche gern die Bekanntschaft auch holländischer Zustände verwerthen wird, zumal wenn dieselben in mancher Rücksicht der Nachahmung werth sind. Der Zweck dieser Zeilen ist, den Lesern der „Grenzboten" das möglichst getreue Bild eines Kampfes zu geben, der in der letzten Zeit sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern begonnen hat, in den Nieder¬ landen jedoch schon seit längerer Zeit geführt wird. Es ist der Streit der konfessionellen gegen die confessionslose, neutrale Schule. Im Gegensatz zu anderen Ländern besteht in den Niederlanden die neu¬ trale Schule als bereits anerkanntes Staatsinstitut; dieses Institut wird von einem Feinde angegriffen, der sich die „christlich-nationale Partei" nennt und Herrn Groen van Prinsterer zum Führer hat. Diese Partei, die auf rein politischem Gebiete eher liberal als conservativ genannt werden muß, hät in der letzten Zeit an den Ultramontanen einen Bundesgenossen in ihren Bestrebungen auf dem Felde des Schulstreites erhaltet! und schließt sich zuweilen auch den politisch ConservattveN 'an. Nachdem im Jahre 1795 die reformirte Kirche als Staatsreligion ge¬ fallen war und alle Confessionen gleiche Rechte erhalten hatten, entstand im Jahre 1806 ein Schulgesetz, nach welchem alle öffentlichen, durch die Re¬ gierung öder bürgerliche Gemeinden errichteten Elementarschulen konfessions¬ los sein sollten. Privatschulen konnten konfessionell sein, bedurften aber zu ihrer Errichtung der Zustimmung der örtlichen Schulbehörde. Unterricht durften nur examinirte Lehrer ertheilen, und zwar bestand ein besonderes Examen für die Hauptlehrer, die einer Schule selbständig vorstehen durften, und eines für Hülfslehrer. Der Religionsunterricht war von den Stäats- schulen ausgeschlossen und obwohl die Richtung des Unterrichts religiös sein sollte, so durfte doch nichts vorgetragen werden, was der eintzn oder anderen Confession anstößig erscheinen konnte. Schulgeld konnte zwar erhoben vier¬ ten. rbÄr aber meistens nicht gebräuchlich. Der Religionsunterricht war den kirchlichen Gemeinden überlassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/175>, abgerufen am 24.07.2024.