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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Er mag sich nur beruhigen; in den Punkten des Civilrechts, die hier in
Frage kommen, differiren unsere.Particulargesetze nur selten; und wo das
der Fall ist, da gilt eben wieder das oben vom Proceßrecht Gesagte.

Mit Vorliebe behandelt schließlich der Verfasser das Seerecht und hier
ist es nicht sowohl die Idee eines obersten Gerichtshofes an sich, welche ihm
Schrecken einflößt, als die Wahl der Binnenstadt Leipzig zum Sitze desselben.
Für dieses war in den Motiven geltend gemacht die centrale Lage -- mit
Recht hat man dabei den künftigen Eintritt der Südstaaten in Rechnung
gezogen, in denen die Angelegenheit mit begreiflichen Interesse verfolgt
wird --, die Universität, die commercielle Bedeutung des Platzes, seine Stel¬
lung zum deutschen Buchhandel; auf seine nationale Gesinnung hat Laster
ergänzend hingewiesen. .Das Einzige" - so schließen die Motive -- "was
Leipzig fehlt, ist die Schifffahrt. Allein abgesehen davon, daß diese mit neu-
traler Lage nirgends vereinigt zu finden ist, erfreut sich die Seeversicherung,
welche Kenntnisse in fast allen Theilen des Seerechts voraussetzt, in Leipzig
einer gedeihlichen Entwickelung, und außerdem wird bei der Wahl der Mit-
glieder des obersten Gerichtshofs auf eine gründliche Vertretung des See¬
rechts besondere Rücksicht zu nehmen sein." Mit gutem Grunde hat der
Abg. Stephani den Einwendungen der Gegner das Beispiel des Berliner
Obertribunals entgegengesetzt; und die offene Erklärung des Abg. Meier-
Bremen, für die Vorlage stimmen zu wollen, wird auch die Bedenken ängst¬
licher Gemüther zerstreut haben.

Die sachlichen Bedenken erweisen sich nach alle dem so fadenscheinig, daß
es den Gegnern des Entwurfs nicht gelingen wird, die Blöße ihrer wahren
Herzensmeinung damit zu bedecken. Und zum Ueberfluß wird diese uns von
der Sächsischen Zeitung, die bei dieser Gelegenheit wieder einmal als erMilt
terridls der Partei auftritt, offen verkündet. Sie beklagt das offene Dementi,
das die sächsische Regierung der Sache des Particularismus gegeben, und
stimmt eine Elegie an um das bedrohte "Recht des Landes auf den
Besitz vaterländischer Gerichtshöfe." Das ist es. Zur Zeit des
heiligen römischen Reichs war auch keine Stadt, keine "Immunität" zufrie¬
den, wenn sie nicht ihre Strauchdiebe an ihren eigenen Galgen hängen konnte,
und das "jus Ah vor" axpellaiulo" war das Symbol der sich entwickelnden
Landeshoheit. Wehe der Regierung, die sich dieses Hoheitsrechts entäußert.
Sie begibt sich vamit auf eine schiefe Ebene, und Arm in Arm mit "den
"nationalen, einem Laster und Consorten", rutscht sie unaufhaltsam dem
Einheitsstaat in den Rachen.

Das ist die wahre Meinung. Sollen wir es da mit der "freien Ver-
einbarung" des ehemaligen Ministers Windthorst versuchen? Uns scheint
denn doch der "Weg des Gesetzes" sicherer. Aber die Competenz! Nun, wir


Er mag sich nur beruhigen; in den Punkten des Civilrechts, die hier in
Frage kommen, differiren unsere.Particulargesetze nur selten; und wo das
der Fall ist, da gilt eben wieder das oben vom Proceßrecht Gesagte.

Mit Vorliebe behandelt schließlich der Verfasser das Seerecht und hier
ist es nicht sowohl die Idee eines obersten Gerichtshofes an sich, welche ihm
Schrecken einflößt, als die Wahl der Binnenstadt Leipzig zum Sitze desselben.
Für dieses war in den Motiven geltend gemacht die centrale Lage — mit
Recht hat man dabei den künftigen Eintritt der Südstaaten in Rechnung
gezogen, in denen die Angelegenheit mit begreiflichen Interesse verfolgt
wird —, die Universität, die commercielle Bedeutung des Platzes, seine Stel¬
lung zum deutschen Buchhandel; auf seine nationale Gesinnung hat Laster
ergänzend hingewiesen. .Das Einzige" - so schließen die Motive — „was
Leipzig fehlt, ist die Schifffahrt. Allein abgesehen davon, daß diese mit neu-
traler Lage nirgends vereinigt zu finden ist, erfreut sich die Seeversicherung,
welche Kenntnisse in fast allen Theilen des Seerechts voraussetzt, in Leipzig
einer gedeihlichen Entwickelung, und außerdem wird bei der Wahl der Mit-
glieder des obersten Gerichtshofs auf eine gründliche Vertretung des See¬
rechts besondere Rücksicht zu nehmen sein." Mit gutem Grunde hat der
Abg. Stephani den Einwendungen der Gegner das Beispiel des Berliner
Obertribunals entgegengesetzt; und die offene Erklärung des Abg. Meier-
Bremen, für die Vorlage stimmen zu wollen, wird auch die Bedenken ängst¬
licher Gemüther zerstreut haben.

Die sachlichen Bedenken erweisen sich nach alle dem so fadenscheinig, daß
es den Gegnern des Entwurfs nicht gelingen wird, die Blöße ihrer wahren
Herzensmeinung damit zu bedecken. Und zum Ueberfluß wird diese uns von
der Sächsischen Zeitung, die bei dieser Gelegenheit wieder einmal als erMilt
terridls der Partei auftritt, offen verkündet. Sie beklagt das offene Dementi,
das die sächsische Regierung der Sache des Particularismus gegeben, und
stimmt eine Elegie an um das bedrohte „Recht des Landes auf den
Besitz vaterländischer Gerichtshöfe." Das ist es. Zur Zeit des
heiligen römischen Reichs war auch keine Stadt, keine „Immunität" zufrie¬
den, wenn sie nicht ihre Strauchdiebe an ihren eigenen Galgen hängen konnte,
und das „jus Ah vor» axpellaiulo" war das Symbol der sich entwickelnden
Landeshoheit. Wehe der Regierung, die sich dieses Hoheitsrechts entäußert.
Sie begibt sich vamit auf eine schiefe Ebene, und Arm in Arm mit „den
„nationalen, einem Laster und Consorten", rutscht sie unaufhaltsam dem
Einheitsstaat in den Rachen.

Das ist die wahre Meinung. Sollen wir es da mit der „freien Ver-
einbarung" des ehemaligen Ministers Windthorst versuchen? Uns scheint
denn doch der „Weg des Gesetzes" sicherer. Aber die Competenz! Nun, wir


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[0173] Er mag sich nur beruhigen; in den Punkten des Civilrechts, die hier in Frage kommen, differiren unsere.Particulargesetze nur selten; und wo das der Fall ist, da gilt eben wieder das oben vom Proceßrecht Gesagte. Mit Vorliebe behandelt schließlich der Verfasser das Seerecht und hier ist es nicht sowohl die Idee eines obersten Gerichtshofes an sich, welche ihm Schrecken einflößt, als die Wahl der Binnenstadt Leipzig zum Sitze desselben. Für dieses war in den Motiven geltend gemacht die centrale Lage — mit Recht hat man dabei den künftigen Eintritt der Südstaaten in Rechnung gezogen, in denen die Angelegenheit mit begreiflichen Interesse verfolgt wird —, die Universität, die commercielle Bedeutung des Platzes, seine Stel¬ lung zum deutschen Buchhandel; auf seine nationale Gesinnung hat Laster ergänzend hingewiesen. .Das Einzige" - so schließen die Motive — „was Leipzig fehlt, ist die Schifffahrt. Allein abgesehen davon, daß diese mit neu- traler Lage nirgends vereinigt zu finden ist, erfreut sich die Seeversicherung, welche Kenntnisse in fast allen Theilen des Seerechts voraussetzt, in Leipzig einer gedeihlichen Entwickelung, und außerdem wird bei der Wahl der Mit- glieder des obersten Gerichtshofs auf eine gründliche Vertretung des See¬ rechts besondere Rücksicht zu nehmen sein." Mit gutem Grunde hat der Abg. Stephani den Einwendungen der Gegner das Beispiel des Berliner Obertribunals entgegengesetzt; und die offene Erklärung des Abg. Meier- Bremen, für die Vorlage stimmen zu wollen, wird auch die Bedenken ängst¬ licher Gemüther zerstreut haben. Die sachlichen Bedenken erweisen sich nach alle dem so fadenscheinig, daß es den Gegnern des Entwurfs nicht gelingen wird, die Blöße ihrer wahren Herzensmeinung damit zu bedecken. Und zum Ueberfluß wird diese uns von der Sächsischen Zeitung, die bei dieser Gelegenheit wieder einmal als erMilt terridls der Partei auftritt, offen verkündet. Sie beklagt das offene Dementi, das die sächsische Regierung der Sache des Particularismus gegeben, und stimmt eine Elegie an um das bedrohte „Recht des Landes auf den Besitz vaterländischer Gerichtshöfe." Das ist es. Zur Zeit des heiligen römischen Reichs war auch keine Stadt, keine „Immunität" zufrie¬ den, wenn sie nicht ihre Strauchdiebe an ihren eigenen Galgen hängen konnte, und das „jus Ah vor» axpellaiulo" war das Symbol der sich entwickelnden Landeshoheit. Wehe der Regierung, die sich dieses Hoheitsrechts entäußert. Sie begibt sich vamit auf eine schiefe Ebene, und Arm in Arm mit „den „nationalen, einem Laster und Consorten", rutscht sie unaufhaltsam dem Einheitsstaat in den Rachen. Das ist die wahre Meinung. Sollen wir es da mit der „freien Ver- einbarung" des ehemaligen Ministers Windthorst versuchen? Uns scheint denn doch der „Weg des Gesetzes" sicherer. Aber die Competenz! Nun, wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/173>, abgerufen am 24.07.2024.