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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Motiven des vorliegenden Entwurfs gesagt -- "wird eine gemeinsame Ge¬
setzgebung für das Wechsel- und Handelsrecht im Gebiete des norddeutschen
Bundes erzielt werden. Indeß scheint diese Gemeinsamkeit dadurch wieder
gefährdet, daß die obersten Gerichtshöfe in den verschiedenen Bundesstaaten
die Bestimmungen der Wechselordnung und des Handelsgesetzbuchs in ver¬
schiedener Weise auslegen, wie dies aus den in großer Zahl veröffentlichten
Entscheidungen dieser Gerichtshöfe hervorgeht. Es würde daher der durch
die Gemeinsamkeit der Gesetzgebung erreichte Vortheil verkümmert werden,
wenn nicht die Entscheidung derjenigen streitigen Rechtsverhältnisse, sür welche
eine gemeinsame Gesetzgebung besteht, einem gemeinschaftlichen obersten Ge¬
richtshofe überwiesen und dadurch einer abweichenden Auslegung jener Ge¬
setze möglichst vorgebeugt wird." Der Verfasser der "Bedenken" glaubt
Zweifel darüber erheben zu dürfen, ob nicht die Auffassung der Motive eine
zu ungünstige sei; "den deutschen Richtern", sagt er. "wird Niemand Ein¬
sicht und Gewissenhaftigkeit absprechen, und doch würde es nur bei dem
Mangel an der einen oder der anderen dieser Eigenschaften, oder an beiden,
geschehen können, wenn durch die Richtersprüche unwissentlich oder gar wissent¬
lich die Gesetze verletzt (!) und die von der Gesetzgebung erstrebte Rechtssicherheit
untergraben würden." Der Verfasser scheint hier auf ein sehr naives Publi-
cum gerechnet zu haben, dem eine so handgreifliche Verdrehung entgehen
könnte. Wer nur einmal in den Borchardtschen Kommentar der deutschen
Wechselordnung einen Blick geworfen hat. der kann über die Richtigkeit des
in den Motiven Gesagten nicht in Zweifel sein; die Ausgabe dieses mit
Bienenfleiß gearbeiteten Werkes gibt nicht weniger als 886 "Zusätze" zur
Wechselordnung, und 631 Anmerkungen enthalten dazu so zahllose "Präju-
dicien" der so und so viel obersten Gerichtshöfe, daß ein schwindelfreier Kopf
dazu gehört, um sich in diesem wohlgeordneten Labyrinthe nur über einen
einzelnen Artikel zu ortentiren. Und dabei ist unsere Wechselordnung aner¬
kanntermaßen ein vorzügliches Gesetz, so musterhaft redigirt, daß die nach
zehn Jahren mit der Revision beauftragte Commission kaum einige wenige
Punkte zu ändern fand. Der "Nothstand", welchen der Verfasser erwähnt,
ist in der That vorhanden.

Ein anderes Bedenken ist eher geeignet, den Laien zu blenden. Das
Handelsgesetzbuch, sagt unser Schriftchen, enthält nur einen kleinen Theil der
rechtlichen Normen, welche im Handelsverkehr zur Anwendung kommen. Man
muß das bürgerliche Recht zu Hilfe nehmen; kaum eine schwierige Handels¬
sache läßt sich beurtheilen, ohne daß man auf die entsprechenden Partieen
des Civilrechts (Kauf. Mandat. Mietsvertrag u. s. w.) eingeht. Und da nun
jeder Laie weiß, daß das Civilrecht in Deutschland ein sehr vielgestaltiges ist.
so wird er natürlich vor diesem^ gelehrten Einwände gebührend zurückschrecken.


Motiven des vorliegenden Entwurfs gesagt — „wird eine gemeinsame Ge¬
setzgebung für das Wechsel- und Handelsrecht im Gebiete des norddeutschen
Bundes erzielt werden. Indeß scheint diese Gemeinsamkeit dadurch wieder
gefährdet, daß die obersten Gerichtshöfe in den verschiedenen Bundesstaaten
die Bestimmungen der Wechselordnung und des Handelsgesetzbuchs in ver¬
schiedener Weise auslegen, wie dies aus den in großer Zahl veröffentlichten
Entscheidungen dieser Gerichtshöfe hervorgeht. Es würde daher der durch
die Gemeinsamkeit der Gesetzgebung erreichte Vortheil verkümmert werden,
wenn nicht die Entscheidung derjenigen streitigen Rechtsverhältnisse, sür welche
eine gemeinsame Gesetzgebung besteht, einem gemeinschaftlichen obersten Ge¬
richtshofe überwiesen und dadurch einer abweichenden Auslegung jener Ge¬
setze möglichst vorgebeugt wird." Der Verfasser der „Bedenken" glaubt
Zweifel darüber erheben zu dürfen, ob nicht die Auffassung der Motive eine
zu ungünstige sei; „den deutschen Richtern", sagt er. „wird Niemand Ein¬
sicht und Gewissenhaftigkeit absprechen, und doch würde es nur bei dem
Mangel an der einen oder der anderen dieser Eigenschaften, oder an beiden,
geschehen können, wenn durch die Richtersprüche unwissentlich oder gar wissent¬
lich die Gesetze verletzt (!) und die von der Gesetzgebung erstrebte Rechtssicherheit
untergraben würden." Der Verfasser scheint hier auf ein sehr naives Publi-
cum gerechnet zu haben, dem eine so handgreifliche Verdrehung entgehen
könnte. Wer nur einmal in den Borchardtschen Kommentar der deutschen
Wechselordnung einen Blick geworfen hat. der kann über die Richtigkeit des
in den Motiven Gesagten nicht in Zweifel sein; die Ausgabe dieses mit
Bienenfleiß gearbeiteten Werkes gibt nicht weniger als 886 „Zusätze" zur
Wechselordnung, und 631 Anmerkungen enthalten dazu so zahllose „Präju-
dicien" der so und so viel obersten Gerichtshöfe, daß ein schwindelfreier Kopf
dazu gehört, um sich in diesem wohlgeordneten Labyrinthe nur über einen
einzelnen Artikel zu ortentiren. Und dabei ist unsere Wechselordnung aner¬
kanntermaßen ein vorzügliches Gesetz, so musterhaft redigirt, daß die nach
zehn Jahren mit der Revision beauftragte Commission kaum einige wenige
Punkte zu ändern fand. Der „Nothstand", welchen der Verfasser erwähnt,
ist in der That vorhanden.

Ein anderes Bedenken ist eher geeignet, den Laien zu blenden. Das
Handelsgesetzbuch, sagt unser Schriftchen, enthält nur einen kleinen Theil der
rechtlichen Normen, welche im Handelsverkehr zur Anwendung kommen. Man
muß das bürgerliche Recht zu Hilfe nehmen; kaum eine schwierige Handels¬
sache läßt sich beurtheilen, ohne daß man auf die entsprechenden Partieen
des Civilrechts (Kauf. Mandat. Mietsvertrag u. s. w.) eingeht. Und da nun
jeder Laie weiß, daß das Civilrecht in Deutschland ein sehr vielgestaltiges ist.
so wird er natürlich vor diesem^ gelehrten Einwände gebührend zurückschrecken.


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[0172] Motiven des vorliegenden Entwurfs gesagt — „wird eine gemeinsame Ge¬ setzgebung für das Wechsel- und Handelsrecht im Gebiete des norddeutschen Bundes erzielt werden. Indeß scheint diese Gemeinsamkeit dadurch wieder gefährdet, daß die obersten Gerichtshöfe in den verschiedenen Bundesstaaten die Bestimmungen der Wechselordnung und des Handelsgesetzbuchs in ver¬ schiedener Weise auslegen, wie dies aus den in großer Zahl veröffentlichten Entscheidungen dieser Gerichtshöfe hervorgeht. Es würde daher der durch die Gemeinsamkeit der Gesetzgebung erreichte Vortheil verkümmert werden, wenn nicht die Entscheidung derjenigen streitigen Rechtsverhältnisse, sür welche eine gemeinsame Gesetzgebung besteht, einem gemeinschaftlichen obersten Ge¬ richtshofe überwiesen und dadurch einer abweichenden Auslegung jener Ge¬ setze möglichst vorgebeugt wird." Der Verfasser der „Bedenken" glaubt Zweifel darüber erheben zu dürfen, ob nicht die Auffassung der Motive eine zu ungünstige sei; „den deutschen Richtern", sagt er. „wird Niemand Ein¬ sicht und Gewissenhaftigkeit absprechen, und doch würde es nur bei dem Mangel an der einen oder der anderen dieser Eigenschaften, oder an beiden, geschehen können, wenn durch die Richtersprüche unwissentlich oder gar wissent¬ lich die Gesetze verletzt (!) und die von der Gesetzgebung erstrebte Rechtssicherheit untergraben würden." Der Verfasser scheint hier auf ein sehr naives Publi- cum gerechnet zu haben, dem eine so handgreifliche Verdrehung entgehen könnte. Wer nur einmal in den Borchardtschen Kommentar der deutschen Wechselordnung einen Blick geworfen hat. der kann über die Richtigkeit des in den Motiven Gesagten nicht in Zweifel sein; die Ausgabe dieses mit Bienenfleiß gearbeiteten Werkes gibt nicht weniger als 886 „Zusätze" zur Wechselordnung, und 631 Anmerkungen enthalten dazu so zahllose „Präju- dicien" der so und so viel obersten Gerichtshöfe, daß ein schwindelfreier Kopf dazu gehört, um sich in diesem wohlgeordneten Labyrinthe nur über einen einzelnen Artikel zu ortentiren. Und dabei ist unsere Wechselordnung aner¬ kanntermaßen ein vorzügliches Gesetz, so musterhaft redigirt, daß die nach zehn Jahren mit der Revision beauftragte Commission kaum einige wenige Punkte zu ändern fand. Der „Nothstand", welchen der Verfasser erwähnt, ist in der That vorhanden. Ein anderes Bedenken ist eher geeignet, den Laien zu blenden. Das Handelsgesetzbuch, sagt unser Schriftchen, enthält nur einen kleinen Theil der rechtlichen Normen, welche im Handelsverkehr zur Anwendung kommen. Man muß das bürgerliche Recht zu Hilfe nehmen; kaum eine schwierige Handels¬ sache läßt sich beurtheilen, ohne daß man auf die entsprechenden Partieen des Civilrechts (Kauf. Mandat. Mietsvertrag u. s. w.) eingeht. Und da nun jeder Laie weiß, daß das Civilrecht in Deutschland ein sehr vielgestaltiges ist. so wird er natürlich vor diesem^ gelehrten Einwände gebührend zurückschrecken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/172>, abgerufen am 24.07.2024.