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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Ausführlich geht auf die technischen Bedenken gegen den Entwurf eine
speciell diesem Zwecke gewsdniete Broschüre*) ein, die, in Berlin erschienen,
nach dem Wasser der Niederelbe oder Trave schmeckt. In der vom 26. März
datirten Vorrede zu dem uns heute erst (17. April) als Novität zugekommenen
Schriftchen erklärt der ungenannte Verfasser ausdrücklich, die Frage nicht erörtern
zu wollen, "ob es Billigung verdienen würde, diejenigen Bundesstaaten, welche
in der Verwirklichung des Vorschlags eine Gefährdung und Verkümmerung
ihrer Rechtspflege erblicken und erblicken müssen, zur Annahme der Maß.
reget zu nöthigen." Wir dürfen folglich überzeugt sein, haß wir es mit
einem völlig unparteiischen Manne zu thun haben.

Der Verfasser findet zunächst die dem neuen Gerichtshofe zuzuweisende
Thätigkeit "in hohem Grade abnorm" und vermißt insbesondere eine Be¬
stimmung darüber, nach welchen processualischen Vorschriften dieses seine Ent¬
scheidungen zu fällen hat. Unseres Wissens enthält der Entwurf die ausdrück¬
liche Bestimmung, daß in der Reges das Proceßgesetz des Gebiets maßgebend
sein soll, aus welchem die Sache an dqs Oberhandelsgericht gelangt. Das
ist freilich dem Verfasser undenkbar: "ein solcher Gerichtshof ist sicherlich
weder jemals projectirt worden, poch hat er, zu irgend einer Zeit bestanden."
Das Erstere widerlegt sich, wie gesagt, durch die Vorlage selbst. Wegen
des zweiten möchten wir allerdings nicht gern an das Reichskammergericht
erinnern. Aber müssen nicht auch das Oberappellationsgericht zu Lübeck,
dessen der Verfasser an anderer Stelle mit Hochachtung gedenkt, ferner das
zu Jena, von dem der Abgeordnete Endemann aus Erfahrung berichten konnte,
und ebenso das Berliner Obertribunal mit je mehreren und zum Theil sehr
verschiedenartigen Proceßrechten arbeiten? Und was hat denn der deutsche
Juristentag, dessen Mitglieder doch die Zerrissenheit unserer Rechtszustände
am eigenen Leibe genugsam erfahren, sich dabei gedacht, als er bei seinem
ersten Zusammentritt, sechs Jahre por deur Schlafengehen des Bundestages,
sich für einen gemeinsamen oberstes, Gerichtshof aussprach und dabei bezüglich
des Wechselrechts und des zu schaffenden gemeinsamen Handelsrechts dessen
sofortige Errichtung als wünschenswerth bezeichnete? War damals kein
Zehner da, um von so unbesonnenen Beginnen abzurathen? -- Die Mög¬
lichkeit, daß die deutsche Civilproceßordnung zu Stande kommt, ehe das Ge¬
bäude für den neuen Gerichtshof fertig ist, wollen wir ganz bei Seite lassen.
Wir gehen wefter.

"Durch die in der nächsten Zeit zu erwqrtende Publication der Wechsel¬
ordnung und des Handelsgesetzbuchs als Bundesgesetze -- so war in den



') Da? "Pundes-Obtrhandelsgmcht." Bedenken gegen den K. Sächsischen Antrag vom
2?. Abruar M9. Be.ehr. Besser'sche Buchhandlung.
21*

Ausführlich geht auf die technischen Bedenken gegen den Entwurf eine
speciell diesem Zwecke gewsdniete Broschüre*) ein, die, in Berlin erschienen,
nach dem Wasser der Niederelbe oder Trave schmeckt. In der vom 26. März
datirten Vorrede zu dem uns heute erst (17. April) als Novität zugekommenen
Schriftchen erklärt der ungenannte Verfasser ausdrücklich, die Frage nicht erörtern
zu wollen, „ob es Billigung verdienen würde, diejenigen Bundesstaaten, welche
in der Verwirklichung des Vorschlags eine Gefährdung und Verkümmerung
ihrer Rechtspflege erblicken und erblicken müssen, zur Annahme der Maß.
reget zu nöthigen." Wir dürfen folglich überzeugt sein, haß wir es mit
einem völlig unparteiischen Manne zu thun haben.

Der Verfasser findet zunächst die dem neuen Gerichtshofe zuzuweisende
Thätigkeit „in hohem Grade abnorm" und vermißt insbesondere eine Be¬
stimmung darüber, nach welchen processualischen Vorschriften dieses seine Ent¬
scheidungen zu fällen hat. Unseres Wissens enthält der Entwurf die ausdrück¬
liche Bestimmung, daß in der Reges das Proceßgesetz des Gebiets maßgebend
sein soll, aus welchem die Sache an dqs Oberhandelsgericht gelangt. Das
ist freilich dem Verfasser undenkbar: „ein solcher Gerichtshof ist sicherlich
weder jemals projectirt worden, poch hat er, zu irgend einer Zeit bestanden."
Das Erstere widerlegt sich, wie gesagt, durch die Vorlage selbst. Wegen
des zweiten möchten wir allerdings nicht gern an das Reichskammergericht
erinnern. Aber müssen nicht auch das Oberappellationsgericht zu Lübeck,
dessen der Verfasser an anderer Stelle mit Hochachtung gedenkt, ferner das
zu Jena, von dem der Abgeordnete Endemann aus Erfahrung berichten konnte,
und ebenso das Berliner Obertribunal mit je mehreren und zum Theil sehr
verschiedenartigen Proceßrechten arbeiten? Und was hat denn der deutsche
Juristentag, dessen Mitglieder doch die Zerrissenheit unserer Rechtszustände
am eigenen Leibe genugsam erfahren, sich dabei gedacht, als er bei seinem
ersten Zusammentritt, sechs Jahre por deur Schlafengehen des Bundestages,
sich für einen gemeinsamen oberstes, Gerichtshof aussprach und dabei bezüglich
des Wechselrechts und des zu schaffenden gemeinsamen Handelsrechts dessen
sofortige Errichtung als wünschenswerth bezeichnete? War damals kein
Zehner da, um von so unbesonnenen Beginnen abzurathen? — Die Mög¬
lichkeit, daß die deutsche Civilproceßordnung zu Stande kommt, ehe das Ge¬
bäude für den neuen Gerichtshof fertig ist, wollen wir ganz bei Seite lassen.
Wir gehen wefter.

„Durch die in der nächsten Zeit zu erwqrtende Publication der Wechsel¬
ordnung und des Handelsgesetzbuchs als Bundesgesetze — so war in den



') Da? „Pundes-Obtrhandelsgmcht." Bedenken gegen den K. Sächsischen Antrag vom
2?. Abruar M9. Be.ehr. Besser'sche Buchhandlung.
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[0171] Ausführlich geht auf die technischen Bedenken gegen den Entwurf eine speciell diesem Zwecke gewsdniete Broschüre*) ein, die, in Berlin erschienen, nach dem Wasser der Niederelbe oder Trave schmeckt. In der vom 26. März datirten Vorrede zu dem uns heute erst (17. April) als Novität zugekommenen Schriftchen erklärt der ungenannte Verfasser ausdrücklich, die Frage nicht erörtern zu wollen, „ob es Billigung verdienen würde, diejenigen Bundesstaaten, welche in der Verwirklichung des Vorschlags eine Gefährdung und Verkümmerung ihrer Rechtspflege erblicken und erblicken müssen, zur Annahme der Maß. reget zu nöthigen." Wir dürfen folglich überzeugt sein, haß wir es mit einem völlig unparteiischen Manne zu thun haben. Der Verfasser findet zunächst die dem neuen Gerichtshofe zuzuweisende Thätigkeit „in hohem Grade abnorm" und vermißt insbesondere eine Be¬ stimmung darüber, nach welchen processualischen Vorschriften dieses seine Ent¬ scheidungen zu fällen hat. Unseres Wissens enthält der Entwurf die ausdrück¬ liche Bestimmung, daß in der Reges das Proceßgesetz des Gebiets maßgebend sein soll, aus welchem die Sache an dqs Oberhandelsgericht gelangt. Das ist freilich dem Verfasser undenkbar: „ein solcher Gerichtshof ist sicherlich weder jemals projectirt worden, poch hat er, zu irgend einer Zeit bestanden." Das Erstere widerlegt sich, wie gesagt, durch die Vorlage selbst. Wegen des zweiten möchten wir allerdings nicht gern an das Reichskammergericht erinnern. Aber müssen nicht auch das Oberappellationsgericht zu Lübeck, dessen der Verfasser an anderer Stelle mit Hochachtung gedenkt, ferner das zu Jena, von dem der Abgeordnete Endemann aus Erfahrung berichten konnte, und ebenso das Berliner Obertribunal mit je mehreren und zum Theil sehr verschiedenartigen Proceßrechten arbeiten? Und was hat denn der deutsche Juristentag, dessen Mitglieder doch die Zerrissenheit unserer Rechtszustände am eigenen Leibe genugsam erfahren, sich dabei gedacht, als er bei seinem ersten Zusammentritt, sechs Jahre por deur Schlafengehen des Bundestages, sich für einen gemeinsamen oberstes, Gerichtshof aussprach und dabei bezüglich des Wechselrechts und des zu schaffenden gemeinsamen Handelsrechts dessen sofortige Errichtung als wünschenswerth bezeichnete? War damals kein Zehner da, um von so unbesonnenen Beginnen abzurathen? — Die Mög¬ lichkeit, daß die deutsche Civilproceßordnung zu Stande kommt, ehe das Ge¬ bäude für den neuen Gerichtshof fertig ist, wollen wir ganz bei Seite lassen. Wir gehen wefter. „Durch die in der nächsten Zeit zu erwqrtende Publication der Wechsel¬ ordnung und des Handelsgesetzbuchs als Bundesgesetze — so war in den ') Da? „Pundes-Obtrhandelsgmcht." Bedenken gegen den K. Sächsischen Antrag vom 2?. Abruar M9. Be.ehr. Besser'sche Buchhandlung. 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/171>, abgerufen am 24.07.2024.