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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Augenblick verkaufen. Und endlich giebt's immer noch Unschuldige: das
Reich ist ja so groß! Einen Beweis rührender Naivetät lieferten vor eini¬
gen Monaten die Capitalien eines südwestlichen Kronlandes. Dort hatte
man endlich die längst ersehnte Eisenbahnconcession ergattert, und nun galt
es. das Unternehmen populär zu machen und Regierung und Volksvertretung
behufs der Zinsengarantie günstig zu stimmen. Ein Interessent, welcher der
Feder mächtig war. setzte gründlich auseinander, welche Wohlthat die neue
Linie für das Kronland und für das ganze Reich sein werde, wie sicher selbe
sich rentiren müsse, belegte alle seine Behauptungen mit statistischen Daten und
schickte den Aufsatz der in dortiger Gegend weitverbreitetsten Zeitung Wiens
ein. Nach wenigen Tagen erhielt er sein Manuscript mit der Bemerkung
zurück, auf die Besprechung von Eisenbahnprojecten könne man sich nicht ein¬
lassen. Die guten Provinzler trauten ihren Augen nicht: waren doch fast
täglich ganze Spalten mit dergleichen Angelegenheiten gefüllt! Einer setzte
sich auf nach Wien und nahm einen ganzen Jahrgang der Zeitung mit. um
die Redacteure von ihrem Irrthum zu überführen. Zu seinem Heil besprach
er sich aber zuerst in Wien mit kundigen Personen, welche ihm riethen, die
Maculatur in seinem Koffer zu lassen und dafür andere Papiere in seine
Brieftasche zu stecken. Und siehe da. bei seiner Rückkehr konnte er der Ge¬
sellschaft berichten, seine Reise sei wohl ein wenig kostipielig geworden, dafür
werde aber von jetzt an die betreffende Bahn nickt nur von jenem unabhän¬
gigen Journal, sondern auch von dem geehrten Abgeordneten sür Eisenbahnen
und Jndustrieunternebmungen. überhaupt aufs Wärmste unterstützt werden.

Im vergangenen Winter ließ es sick so an, als sollten dem Publicum
endlich einmal die Augen über diesen Unfug geöffnet werden. Ein Wochen¬
blatt kündigte der Creditanstalt Fehde an, weil es bei einer "Betheilung" über¬
gangen worden war. und da die Anstalt murhige Vertheidiger fand, hagelte
es von beiden Seiten Schimpf und Schande und.Enthüllungen. Aehnliche
Scenen sind uns schon oft aufgeführt worden, Warrens und Zang. Alte
und Neue Presse verbissen sich schon wiederholt wie Bulldoggs in einander.
Doch da spielte Jeder den Se. Georg, welcher die Welt von einem Drachen-
ungethüm befreien wollte. Die Persönlichkeit, welche diesmal in den Kampf
eintrat, nahm nicht die Larve sittlicher Entrüstung vor, sondern erklärte rund
heraus: "Ihr hattet anderthalb Millionen zur Bestechung der Zeitungen, habt
aber nur fünfmalhunderttausend Gulden in Actien diesem schönen Zweck zu-
geführt, und in Folge dieser Oekonomie bin ich ganz leer ausgegangen. Das
lasse ich mir nicht bieten. -- Hätte die Creditanstalt mich in so ausgiebiger
Weise bedacht, wie einen ihrer Vertheidiger, so hätte sie sich den Angriff und
die Kosten der Vertheidigung ersparen können" -- so stand wörtlich zu lesen.
Das war doch mindestens aufrichtig und mußte den Leuten endlich zeigen,


Augenblick verkaufen. Und endlich giebt's immer noch Unschuldige: das
Reich ist ja so groß! Einen Beweis rührender Naivetät lieferten vor eini¬
gen Monaten die Capitalien eines südwestlichen Kronlandes. Dort hatte
man endlich die längst ersehnte Eisenbahnconcession ergattert, und nun galt
es. das Unternehmen populär zu machen und Regierung und Volksvertretung
behufs der Zinsengarantie günstig zu stimmen. Ein Interessent, welcher der
Feder mächtig war. setzte gründlich auseinander, welche Wohlthat die neue
Linie für das Kronland und für das ganze Reich sein werde, wie sicher selbe
sich rentiren müsse, belegte alle seine Behauptungen mit statistischen Daten und
schickte den Aufsatz der in dortiger Gegend weitverbreitetsten Zeitung Wiens
ein. Nach wenigen Tagen erhielt er sein Manuscript mit der Bemerkung
zurück, auf die Besprechung von Eisenbahnprojecten könne man sich nicht ein¬
lassen. Die guten Provinzler trauten ihren Augen nicht: waren doch fast
täglich ganze Spalten mit dergleichen Angelegenheiten gefüllt! Einer setzte
sich auf nach Wien und nahm einen ganzen Jahrgang der Zeitung mit. um
die Redacteure von ihrem Irrthum zu überführen. Zu seinem Heil besprach
er sich aber zuerst in Wien mit kundigen Personen, welche ihm riethen, die
Maculatur in seinem Koffer zu lassen und dafür andere Papiere in seine
Brieftasche zu stecken. Und siehe da. bei seiner Rückkehr konnte er der Ge¬
sellschaft berichten, seine Reise sei wohl ein wenig kostipielig geworden, dafür
werde aber von jetzt an die betreffende Bahn nickt nur von jenem unabhän¬
gigen Journal, sondern auch von dem geehrten Abgeordneten sür Eisenbahnen
und Jndustrieunternebmungen. überhaupt aufs Wärmste unterstützt werden.

Im vergangenen Winter ließ es sick so an, als sollten dem Publicum
endlich einmal die Augen über diesen Unfug geöffnet werden. Ein Wochen¬
blatt kündigte der Creditanstalt Fehde an, weil es bei einer „Betheilung" über¬
gangen worden war. und da die Anstalt murhige Vertheidiger fand, hagelte
es von beiden Seiten Schimpf und Schande und.Enthüllungen. Aehnliche
Scenen sind uns schon oft aufgeführt worden, Warrens und Zang. Alte
und Neue Presse verbissen sich schon wiederholt wie Bulldoggs in einander.
Doch da spielte Jeder den Se. Georg, welcher die Welt von einem Drachen-
ungethüm befreien wollte. Die Persönlichkeit, welche diesmal in den Kampf
eintrat, nahm nicht die Larve sittlicher Entrüstung vor, sondern erklärte rund
heraus: „Ihr hattet anderthalb Millionen zur Bestechung der Zeitungen, habt
aber nur fünfmalhunderttausend Gulden in Actien diesem schönen Zweck zu-
geführt, und in Folge dieser Oekonomie bin ich ganz leer ausgegangen. Das
lasse ich mir nicht bieten. — Hätte die Creditanstalt mich in so ausgiebiger
Weise bedacht, wie einen ihrer Vertheidiger, so hätte sie sich den Angriff und
die Kosten der Vertheidigung ersparen können" — so stand wörtlich zu lesen.
Das war doch mindestens aufrichtig und mußte den Leuten endlich zeigen,


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[0157] Augenblick verkaufen. Und endlich giebt's immer noch Unschuldige: das Reich ist ja so groß! Einen Beweis rührender Naivetät lieferten vor eini¬ gen Monaten die Capitalien eines südwestlichen Kronlandes. Dort hatte man endlich die längst ersehnte Eisenbahnconcession ergattert, und nun galt es. das Unternehmen populär zu machen und Regierung und Volksvertretung behufs der Zinsengarantie günstig zu stimmen. Ein Interessent, welcher der Feder mächtig war. setzte gründlich auseinander, welche Wohlthat die neue Linie für das Kronland und für das ganze Reich sein werde, wie sicher selbe sich rentiren müsse, belegte alle seine Behauptungen mit statistischen Daten und schickte den Aufsatz der in dortiger Gegend weitverbreitetsten Zeitung Wiens ein. Nach wenigen Tagen erhielt er sein Manuscript mit der Bemerkung zurück, auf die Besprechung von Eisenbahnprojecten könne man sich nicht ein¬ lassen. Die guten Provinzler trauten ihren Augen nicht: waren doch fast täglich ganze Spalten mit dergleichen Angelegenheiten gefüllt! Einer setzte sich auf nach Wien und nahm einen ganzen Jahrgang der Zeitung mit. um die Redacteure von ihrem Irrthum zu überführen. Zu seinem Heil besprach er sich aber zuerst in Wien mit kundigen Personen, welche ihm riethen, die Maculatur in seinem Koffer zu lassen und dafür andere Papiere in seine Brieftasche zu stecken. Und siehe da. bei seiner Rückkehr konnte er der Ge¬ sellschaft berichten, seine Reise sei wohl ein wenig kostipielig geworden, dafür werde aber von jetzt an die betreffende Bahn nickt nur von jenem unabhän¬ gigen Journal, sondern auch von dem geehrten Abgeordneten sür Eisenbahnen und Jndustrieunternebmungen. überhaupt aufs Wärmste unterstützt werden. Im vergangenen Winter ließ es sick so an, als sollten dem Publicum endlich einmal die Augen über diesen Unfug geöffnet werden. Ein Wochen¬ blatt kündigte der Creditanstalt Fehde an, weil es bei einer „Betheilung" über¬ gangen worden war. und da die Anstalt murhige Vertheidiger fand, hagelte es von beiden Seiten Schimpf und Schande und.Enthüllungen. Aehnliche Scenen sind uns schon oft aufgeführt worden, Warrens und Zang. Alte und Neue Presse verbissen sich schon wiederholt wie Bulldoggs in einander. Doch da spielte Jeder den Se. Georg, welcher die Welt von einem Drachen- ungethüm befreien wollte. Die Persönlichkeit, welche diesmal in den Kampf eintrat, nahm nicht die Larve sittlicher Entrüstung vor, sondern erklärte rund heraus: „Ihr hattet anderthalb Millionen zur Bestechung der Zeitungen, habt aber nur fünfmalhunderttausend Gulden in Actien diesem schönen Zweck zu- geführt, und in Folge dieser Oekonomie bin ich ganz leer ausgegangen. Das lasse ich mir nicht bieten. — Hätte die Creditanstalt mich in so ausgiebiger Weise bedacht, wie einen ihrer Vertheidiger, so hätte sie sich den Angriff und die Kosten der Vertheidigung ersparen können" — so stand wörtlich zu lesen. Das war doch mindestens aufrichtig und mußte den Leuten endlich zeigen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/157>, abgerufen am 24.07.2024.