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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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lMtnisse längst klar werden. Denn das alte Spiel wiederholte sich mit der
größten Regelmäßigkeit immer wieder. Zuerst ist wochenlang von nichts die
Rede als den unerhörten Erfolgen, welche der neuen Bahn oder der neuen
Bank gar nicht entgehen können, dem Publicum wird zugeredet, "wie einem
kranken Roß", bis der Familienvater sich für einen gewissenlosen Menschen
halten müßte, wenn er versäumen wollte, den Seinigen ein so hoch und sicher
rentirendes Besitzthum zu verschaffen. Ist das Publicum gehörig auf den
Leim gegangen, sind die Actien zu einer Höhe hinaufgeschwindelt, die so sehr
außer allem Verhältniß zu den möglichen Geschäften steht, daß sogar die
naiven bedenklich werden, so entäußern sich die Eingeweihten und "Betheil¬
ten" schleunigst ihrer Papiere und gewinnen plötzlich eine ganz neue An¬
schauung von der Sache. Die noch einigermaßen Verschämten, die Kleinen,
maskiren die Schwenkung: die Voraussetzungen sind nicht eingetroffen, die
Leitung zeigt sich ihrer Aufgabe nicht gewachsen u. tgi. in. Die Großen
verschmähen solche Winkelzüge. Als hätten sie ihm nimmer das Wort ge¬
redet, brandmarken sie mit den bittersten Worten den Schwindel, durch welchen
den Leuten das Geld aus dem Sacke gelockt werde. Ist die Unternehmung
besser als der Ruf, welchen man ihr jetzt mit eben so großer Beflissenheit
macht, wie ehevor den guten, so ist's wiederum ein gutes Geschäft, die
Actien zu dem niederen Course zurückzukaufen, über den sie sich ja wieder er¬
heben werden. Häufig haben aber die Blätter das zweite Mal die Wahr¬
heit gesagt, nicht selten macht ein scandalöser Proceß das Ende der ganzen
Geschichte, und dann berufen sich die tugendhaften Zeitungen stolz auf ihre
"bereits vor Monaten erlassenen Warnungen".

Daß solch' Treiben so lange flonren kann, erscheint unglaublich; denn
verborgen kann es doch nicht bleiben. Ein "Gründer" jammerte mir neulich
in Wien die Ohren voll über die unerhörten Contributionen. welche jeder
neuen Unternehmung auferlegt würden. Er schwor hoch und theuer, daß
jeder Zeirungseigenthümer ohne Ausnahme sich bereits auf Kosten der Actio-
naire wenigstens ein Landhaus, wenn nicht gar einen Palast an der Ring¬
straße gekauft habe, und daß betriebsame Jünglinge, welche vor einem Jahre
noch "auf ein warmes Nachtessen anstanden" (wie er sich ausdrückte), heute
ihre fünfzigtausend Gulden im Sacke hätten. Daß das auserwählte Volk
hierbei die Hauptrolle spiele, gab auch er zu. aber er meinte zugleich: die
Zugereisten aus dem norddeutschen Bunde seien in diesen Künsten allen Ein¬
geborenen weit überlegen. Auf die Frage: Warum laßt ihr euch das ge¬
fallen? antwortete er mit einem verlegenen Achselzucken, das beredt genug
war.-- Andere verblendet die Leidenschaft des Spiels. Wer einmal "abge¬
sotten" wurde, will sich seinen Verlust wiederholen; ein Zweiter traut sich
zu. gescheidter zu sein, als die Opfer der Agiotage; er will gewiß im rechten


lMtnisse längst klar werden. Denn das alte Spiel wiederholte sich mit der
größten Regelmäßigkeit immer wieder. Zuerst ist wochenlang von nichts die
Rede als den unerhörten Erfolgen, welche der neuen Bahn oder der neuen
Bank gar nicht entgehen können, dem Publicum wird zugeredet, „wie einem
kranken Roß", bis der Familienvater sich für einen gewissenlosen Menschen
halten müßte, wenn er versäumen wollte, den Seinigen ein so hoch und sicher
rentirendes Besitzthum zu verschaffen. Ist das Publicum gehörig auf den
Leim gegangen, sind die Actien zu einer Höhe hinaufgeschwindelt, die so sehr
außer allem Verhältniß zu den möglichen Geschäften steht, daß sogar die
naiven bedenklich werden, so entäußern sich die Eingeweihten und „Betheil¬
ten" schleunigst ihrer Papiere und gewinnen plötzlich eine ganz neue An¬
schauung von der Sache. Die noch einigermaßen Verschämten, die Kleinen,
maskiren die Schwenkung: die Voraussetzungen sind nicht eingetroffen, die
Leitung zeigt sich ihrer Aufgabe nicht gewachsen u. tgi. in. Die Großen
verschmähen solche Winkelzüge. Als hätten sie ihm nimmer das Wort ge¬
redet, brandmarken sie mit den bittersten Worten den Schwindel, durch welchen
den Leuten das Geld aus dem Sacke gelockt werde. Ist die Unternehmung
besser als der Ruf, welchen man ihr jetzt mit eben so großer Beflissenheit
macht, wie ehevor den guten, so ist's wiederum ein gutes Geschäft, die
Actien zu dem niederen Course zurückzukaufen, über den sie sich ja wieder er¬
heben werden. Häufig haben aber die Blätter das zweite Mal die Wahr¬
heit gesagt, nicht selten macht ein scandalöser Proceß das Ende der ganzen
Geschichte, und dann berufen sich die tugendhaften Zeitungen stolz auf ihre
„bereits vor Monaten erlassenen Warnungen".

Daß solch' Treiben so lange flonren kann, erscheint unglaublich; denn
verborgen kann es doch nicht bleiben. Ein „Gründer" jammerte mir neulich
in Wien die Ohren voll über die unerhörten Contributionen. welche jeder
neuen Unternehmung auferlegt würden. Er schwor hoch und theuer, daß
jeder Zeirungseigenthümer ohne Ausnahme sich bereits auf Kosten der Actio-
naire wenigstens ein Landhaus, wenn nicht gar einen Palast an der Ring¬
straße gekauft habe, und daß betriebsame Jünglinge, welche vor einem Jahre
noch „auf ein warmes Nachtessen anstanden" (wie er sich ausdrückte), heute
ihre fünfzigtausend Gulden im Sacke hätten. Daß das auserwählte Volk
hierbei die Hauptrolle spiele, gab auch er zu. aber er meinte zugleich: die
Zugereisten aus dem norddeutschen Bunde seien in diesen Künsten allen Ein¬
geborenen weit überlegen. Auf die Frage: Warum laßt ihr euch das ge¬
fallen? antwortete er mit einem verlegenen Achselzucken, das beredt genug
war.— Andere verblendet die Leidenschaft des Spiels. Wer einmal „abge¬
sotten" wurde, will sich seinen Verlust wiederholen; ein Zweiter traut sich
zu. gescheidter zu sein, als die Opfer der Agiotage; er will gewiß im rechten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/156>, abgerufen am 24.07.2024.