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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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höchst unglückliche. Der Satz von 10°/o. welcher dem Tarif von 1818 zu
Grunde gelegt war, hatte sich mit dem Sinken der Preise so geändert, daß
er bei vielen Gegenständen jetzt auf 30--S0"/<, und mehr gestiegen war*),
man hatte die entsprechende Reduction unterlassen, weil sie schwierig war
und die Unternehmer auf den einmal bestehenden Satz ihre Arbeit gegründet
hatten. Mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelm IV. aber, mit dem
die Regeln der bisherigen engen aber realistisch nüchternen Politik in ökono¬
mischen Dingen erschüttert wurden, während nur unklare Bestrebungen an
ihre Stelle traten, gab man im mißverstandenen nationalen Interesse dem
Verlangen der Fabrikanten Gehör, jene Zölle noch erhöht zu sehen. Vor-
nehmlich im südwestlichen Deutschland ward die alte Irrlehre der Schutzzöllner
mächtig, daß der Zweck der Zölle nicht sei, der Staatscasse bedeutende Ein-
künfte zu sichern, sondern der inländischen Gewerbsamkeit Schutz zu gewähren
durch Erschwerung der ausländischen Concurrenz. Es ward hier das Schreck-
bild heraufbeschworen, daß England danach strebe sich ein Weltfabrikmonopol
zu sichern und damit die andern Länder auszubeuten. Als Sir Robert Peel
dann seinerseits mit dem bisherigen System brach und Cobdens Schule den
englischen Tarif immer mehr reducirte, rief man, das sei britische Hinterlist;
erst habe England sich durch das Verbot ausländischer Waaren zum über¬
mächtigen Fabrikstaat emporgeschwungen, jetzt, wo niemand mehr mit ihm
concurriren könne, proclamire es das Freihandelsprincip, um die andern
Staaten zu gleichem Vorgehen zu verlocken und dann ihren Markt zu über¬
schwemmen. Und diese Sophismen wurden nicht blos von den Jnteressirten
gepredigt, sondern auch gerade von den liberalen Politikern adoptirt, Dahl-
mann lehrte in diesem Sinne. Gervinus öffnete den Schutzzöllnern seine
Deutsche Zeitung. Nur wenige besonnene Männer, wie Mathy und Nebenius
in Karlsruhe. Kühne in Berlin hielten an den alten Traditionen fest und
wiesen darauf hin, daß Erhöhung des Tarifs gerade die wichtigen Küsten¬
länder, welche noch nicht zum Zollverein gehörten. Hannover. Oldenburg
und die Hansestädte doppelt zurückstoßen müsse; wurde doch noch 1844 der
hannoverschen Regierung von den Ständen für die umsichtige Wahrung der
Landesinteressen gedankt, d. h. für die Ablehnung der preußischen Vorschläge,
in den Zollverein zu treten. Aber ihre Stimme drang nicht durch, die Be¬
sonnenheit in Berlin war verschwunden, man gab dem süddeutschen Drängen
nach, welches die Freihändler für Kosmopoliten und Vaterlandsverräther



-) 1848 ließ die Freihandelspartei zur praktischen Illustration der Segnungen des Schutz,
zolls ein Stück braunes Baumwollenzeug und ein Stück Shilling aus England kommen;
beide Stück- zusammen kosteten frei bis Frankfurt 2 Thlr. S gr.. der Vereinszoll aber betrug
3 Thlr. also 140°/,,

höchst unglückliche. Der Satz von 10°/o. welcher dem Tarif von 1818 zu
Grunde gelegt war, hatte sich mit dem Sinken der Preise so geändert, daß
er bei vielen Gegenständen jetzt auf 30—S0«/<, und mehr gestiegen war*),
man hatte die entsprechende Reduction unterlassen, weil sie schwierig war
und die Unternehmer auf den einmal bestehenden Satz ihre Arbeit gegründet
hatten. Mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelm IV. aber, mit dem
die Regeln der bisherigen engen aber realistisch nüchternen Politik in ökono¬
mischen Dingen erschüttert wurden, während nur unklare Bestrebungen an
ihre Stelle traten, gab man im mißverstandenen nationalen Interesse dem
Verlangen der Fabrikanten Gehör, jene Zölle noch erhöht zu sehen. Vor-
nehmlich im südwestlichen Deutschland ward die alte Irrlehre der Schutzzöllner
mächtig, daß der Zweck der Zölle nicht sei, der Staatscasse bedeutende Ein-
künfte zu sichern, sondern der inländischen Gewerbsamkeit Schutz zu gewähren
durch Erschwerung der ausländischen Concurrenz. Es ward hier das Schreck-
bild heraufbeschworen, daß England danach strebe sich ein Weltfabrikmonopol
zu sichern und damit die andern Länder auszubeuten. Als Sir Robert Peel
dann seinerseits mit dem bisherigen System brach und Cobdens Schule den
englischen Tarif immer mehr reducirte, rief man, das sei britische Hinterlist;
erst habe England sich durch das Verbot ausländischer Waaren zum über¬
mächtigen Fabrikstaat emporgeschwungen, jetzt, wo niemand mehr mit ihm
concurriren könne, proclamire es das Freihandelsprincip, um die andern
Staaten zu gleichem Vorgehen zu verlocken und dann ihren Markt zu über¬
schwemmen. Und diese Sophismen wurden nicht blos von den Jnteressirten
gepredigt, sondern auch gerade von den liberalen Politikern adoptirt, Dahl-
mann lehrte in diesem Sinne. Gervinus öffnete den Schutzzöllnern seine
Deutsche Zeitung. Nur wenige besonnene Männer, wie Mathy und Nebenius
in Karlsruhe. Kühne in Berlin hielten an den alten Traditionen fest und
wiesen darauf hin, daß Erhöhung des Tarifs gerade die wichtigen Küsten¬
länder, welche noch nicht zum Zollverein gehörten. Hannover. Oldenburg
und die Hansestädte doppelt zurückstoßen müsse; wurde doch noch 1844 der
hannoverschen Regierung von den Ständen für die umsichtige Wahrung der
Landesinteressen gedankt, d. h. für die Ablehnung der preußischen Vorschläge,
in den Zollverein zu treten. Aber ihre Stimme drang nicht durch, die Be¬
sonnenheit in Berlin war verschwunden, man gab dem süddeutschen Drängen
nach, welches die Freihändler für Kosmopoliten und Vaterlandsverräther



-) 1848 ließ die Freihandelspartei zur praktischen Illustration der Segnungen des Schutz,
zolls ein Stück braunes Baumwollenzeug und ein Stück Shilling aus England kommen;
beide Stück- zusammen kosteten frei bis Frankfurt 2 Thlr. S gr.. der Vereinszoll aber betrug
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/101>, abgerufen am 24.07.2024.