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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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erklärte und willigte in die Erhöhung der Zölle für Zucker, Eisen"). Toise,
Garne, Leinwand und Manufacturen.

Es gereicht dem Verf. sehr zur Ehre, daß er in dieser Frage vollkommen
scharf und unbefangen urtheilt und jenen falschen Patriotismus, der einfach
auf nackten Standesegoismus hinauslief, verurtheilt. Es ist wahr, daß
gerade in jener Zeit Frankreich und Belgien ihre schon unerschwinglich hohen
Zölle noch mehr steigerten, aber wie Festenberg richtig bemerkt, glichen die
Retorfionsmaßregeln des Zollvereins dem Unternehmen, einen trennenden
Gebirgskamm noch höher und unzugänglicher zu machen, statt in ihm Durch¬
gangspässe zu suchen. "Bevorzugungen", sagt er, "haben das Eigenthümliche,
daß immer die eine die andere hervorruft. Gerade weil dem Einen ein Pri¬
vilegium entgegensteht, das ihn verdrießt, ihn verletzt, verlangt er zuletzt
gleichfalls ein Privilegium, um sich zu vertheidigen und an einem Dritten zu
erholen, der dann auch wieder eins für sich fordert, und aus allen diesen
Forderungen, Behauptungen. Zurückweisungen und Anschuldigungen ent¬
steht denn eben der Kampf Aller gegen Alle, welcher der Gegensatz der
Einigkeit und der Einheit ist."

So ging es auch hier, neben dem Schutzzoll wucherten die Differential¬
zölle und Ausfuhrprämien auf; man suchte durch eine Reihe von Verträgen
den Schutzzoll in ein internationales System zu bringen. Auch hier drängte
der Süden, welcher glaubte die Fragen des Welthandels besser zu verstehen
als die Seestaaten, und Preußen gab nach. Wesentlich dem Widerstande
Hamburgs, dem sich die Handelskammern der Ostseeplätze anschlössen, ist es
zuzuschreiben, daß nicht eine allgemeine differentielle deutsche Schifffahrtsacte
zu Stande kam. Das Resultat dieser verkehrten Richtung war ein Zoll¬
krieg mit den Nachbarstaaten und fortwährendes Markten und Feilschen um
Concessionen, keiner der abgeschlossenen Verträge befriedigte, der einzige Fort¬
schritt, den der Zollverein in dieser Zeit machte, war der Beitritt Braun-
schweigs. So fand das Jahr 1848 Deutschlands handelspolitischen Zustand;
von der Nationalversammlung erwartete man materielle wie politische Eini¬
gung. Es wurden auch wirklich auf diesem Gebiet weit realere Fortschritte
gemacht, als auf irgend einem andern; während man sich in der Paulskirche
in unfruchtbaren Discussionen über die Grundrechte erschöpfte, vereinbarten
die berufenen Sachverständigen nach angestrengter Arbeit in vier Monaten
den Zolltarif für das vereinte Deutschland, welcher den Weg zum richtigen
System der Finanzzölle wieder betrat, auf den man später wesentlich bei dem
französischen Vertrage zurückgriff und dessen Erörterung der erste Schritt zu



") Ein lehrreicher Aufsatz in diesen Blättern (Frühjahr 1868) hat ausgeführt, welchen
Schaden die künstliche Begünstigung der Rübenzucker- und Eisenindustrie beispielsweise den
Ostseeprovinzen zugefügt hat.

erklärte und willigte in die Erhöhung der Zölle für Zucker, Eisen"). Toise,
Garne, Leinwand und Manufacturen.

Es gereicht dem Verf. sehr zur Ehre, daß er in dieser Frage vollkommen
scharf und unbefangen urtheilt und jenen falschen Patriotismus, der einfach
auf nackten Standesegoismus hinauslief, verurtheilt. Es ist wahr, daß
gerade in jener Zeit Frankreich und Belgien ihre schon unerschwinglich hohen
Zölle noch mehr steigerten, aber wie Festenberg richtig bemerkt, glichen die
Retorfionsmaßregeln des Zollvereins dem Unternehmen, einen trennenden
Gebirgskamm noch höher und unzugänglicher zu machen, statt in ihm Durch¬
gangspässe zu suchen. „Bevorzugungen", sagt er, „haben das Eigenthümliche,
daß immer die eine die andere hervorruft. Gerade weil dem Einen ein Pri¬
vilegium entgegensteht, das ihn verdrießt, ihn verletzt, verlangt er zuletzt
gleichfalls ein Privilegium, um sich zu vertheidigen und an einem Dritten zu
erholen, der dann auch wieder eins für sich fordert, und aus allen diesen
Forderungen, Behauptungen. Zurückweisungen und Anschuldigungen ent¬
steht denn eben der Kampf Aller gegen Alle, welcher der Gegensatz der
Einigkeit und der Einheit ist."

So ging es auch hier, neben dem Schutzzoll wucherten die Differential¬
zölle und Ausfuhrprämien auf; man suchte durch eine Reihe von Verträgen
den Schutzzoll in ein internationales System zu bringen. Auch hier drängte
der Süden, welcher glaubte die Fragen des Welthandels besser zu verstehen
als die Seestaaten, und Preußen gab nach. Wesentlich dem Widerstande
Hamburgs, dem sich die Handelskammern der Ostseeplätze anschlössen, ist es
zuzuschreiben, daß nicht eine allgemeine differentielle deutsche Schifffahrtsacte
zu Stande kam. Das Resultat dieser verkehrten Richtung war ein Zoll¬
krieg mit den Nachbarstaaten und fortwährendes Markten und Feilschen um
Concessionen, keiner der abgeschlossenen Verträge befriedigte, der einzige Fort¬
schritt, den der Zollverein in dieser Zeit machte, war der Beitritt Braun-
schweigs. So fand das Jahr 1848 Deutschlands handelspolitischen Zustand;
von der Nationalversammlung erwartete man materielle wie politische Eini¬
gung. Es wurden auch wirklich auf diesem Gebiet weit realere Fortschritte
gemacht, als auf irgend einem andern; während man sich in der Paulskirche
in unfruchtbaren Discussionen über die Grundrechte erschöpfte, vereinbarten
die berufenen Sachverständigen nach angestrengter Arbeit in vier Monaten
den Zolltarif für das vereinte Deutschland, welcher den Weg zum richtigen
System der Finanzzölle wieder betrat, auf den man später wesentlich bei dem
französischen Vertrage zurückgriff und dessen Erörterung der erste Schritt zu



") Ein lehrreicher Aufsatz in diesen Blättern (Frühjahr 1868) hat ausgeführt, welchen
Schaden die künstliche Begünstigung der Rübenzucker- und Eisenindustrie beispielsweise den
Ostseeprovinzen zugefügt hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/102>, abgerufen am 24.07.2024.