Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

phalen und der Rheinprovinz; vielmehr war die Rohproduction in Ackerbau,
Viehzucht und Weincultur ganz überwiegend, man fürchtete nun durch die
überlegenen Fabriken des Nordens ausgebeutet zu werden. In Sachsen da¬
gegen, welches eine blühende Industrie hatte, machte sich die schutzzöllnerische
Angst vor der preußischen Concurrenz in heftigen Klagen über den bevor¬
stehenden Verfall Leipzigs Luft; man beschuldigte die Unterhändler des Ver¬
trages, von Preußen bestochen zu sein. Aber schon als Ende 1841 sämmt¬
liche Zollvereinsverträge abliefen, hatte sich die Einsicht in die überwiegenden
Vortheile so geklärt, daß keine Regierung von ihrem Kündigungsrecht Ge¬
brauch machte, und ebenso bei der Bevölkerung aller Widerspruch verstummt
war. Es ist eine eigenthümliche Verkettung der nationalen Geschicke: die
Regierungen faßten allmälig den Gedanken der materiellen Einigung, weil
sie durch die hohen Kosten, welche die Ueberwachung getrennter Gebiete for"
derte, empfindliche Einbuße erlitten und weil die Verkehrsinterefsen die
einzigen waren, auf denen eine Einigung möglich war, ohne der Souve-
rainetät der Einzelstaaten wesentlich nahe zu treten, jeder Regierung blieb
bei jeder Veränderung das libsrum veto, Preußen unterwarf sich gleichem
Gesetz mit Bückeburg. So wurde die unentbehrliche Unterlage geschaffen, die
im Laufe der Zeit so rasch erstarkte, daß dann die Bewegung für die poli¬
tische Einigung von den Bevölkerungen ausging, im Gegensatz zu den Re¬
gierungen, welche sie zu hindern suchten.

Nachdem nun durch Erneuerung der Verträge auf zwölf Jahre (bis 1863)
die erreichte Einigung gesichert war, sollte das Errungene befestigt und aus¬
gebaut werden. Aber hier trat die Schwierigkeit entgegen, daß dem Zoll¬
verein jede Organisation fehlte, daß er nichts Anderes war als ein Bund im
Bunde, um gemeinsam eine Reihe indirecter Steuern zu erheben und zu ver¬
theilen; innerhalb dieser Grenzen verfolgte jeder Staat seine Sonderinteressen
und hinderte so das gemeinsame Fortschreiten, eine Centralbehörde gab es
nicht, die periodischen Generalconferenzen gaben hierfür keinen Ersatz, meistens
mußte jede Frage auf dem diplomatischen Correspondenzwege erledigt werden,
jede Veränderung, wenn sie bei den Regierungen durchgesetzt war, mußte
dann den sämmtlichen Ständeversammlungen zur Begutachtung vorgelegt
werden. So wurde zwar viel berathen, aber jedes gemeinsame Handeln fast
unmöglich dadurch, daß 26 verschiedene Finanzministerien unabhängig von
einander und ohne Rücksicht auf einander zu nehmen wirthschafteten. Opfer
brachte freiwillig nur Preußen, welches, um den Verein zu erhalten, sich
den Maßstab der Kopfzahlvertheilung gefallen ließ, obwohl bei seiner größeren
Consumtionsfähigkeit die jährliche Einbuße auf ein Minimum von l'I, Mill.
Thlr. berechnet ward.

Nur in einer Hinsicht ward eine Veränderung erzielt und zwar eine


phalen und der Rheinprovinz; vielmehr war die Rohproduction in Ackerbau,
Viehzucht und Weincultur ganz überwiegend, man fürchtete nun durch die
überlegenen Fabriken des Nordens ausgebeutet zu werden. In Sachsen da¬
gegen, welches eine blühende Industrie hatte, machte sich die schutzzöllnerische
Angst vor der preußischen Concurrenz in heftigen Klagen über den bevor¬
stehenden Verfall Leipzigs Luft; man beschuldigte die Unterhändler des Ver¬
trages, von Preußen bestochen zu sein. Aber schon als Ende 1841 sämmt¬
liche Zollvereinsverträge abliefen, hatte sich die Einsicht in die überwiegenden
Vortheile so geklärt, daß keine Regierung von ihrem Kündigungsrecht Ge¬
brauch machte, und ebenso bei der Bevölkerung aller Widerspruch verstummt
war. Es ist eine eigenthümliche Verkettung der nationalen Geschicke: die
Regierungen faßten allmälig den Gedanken der materiellen Einigung, weil
sie durch die hohen Kosten, welche die Ueberwachung getrennter Gebiete for»
derte, empfindliche Einbuße erlitten und weil die Verkehrsinterefsen die
einzigen waren, auf denen eine Einigung möglich war, ohne der Souve-
rainetät der Einzelstaaten wesentlich nahe zu treten, jeder Regierung blieb
bei jeder Veränderung das libsrum veto, Preußen unterwarf sich gleichem
Gesetz mit Bückeburg. So wurde die unentbehrliche Unterlage geschaffen, die
im Laufe der Zeit so rasch erstarkte, daß dann die Bewegung für die poli¬
tische Einigung von den Bevölkerungen ausging, im Gegensatz zu den Re¬
gierungen, welche sie zu hindern suchten.

Nachdem nun durch Erneuerung der Verträge auf zwölf Jahre (bis 1863)
die erreichte Einigung gesichert war, sollte das Errungene befestigt und aus¬
gebaut werden. Aber hier trat die Schwierigkeit entgegen, daß dem Zoll¬
verein jede Organisation fehlte, daß er nichts Anderes war als ein Bund im
Bunde, um gemeinsam eine Reihe indirecter Steuern zu erheben und zu ver¬
theilen; innerhalb dieser Grenzen verfolgte jeder Staat seine Sonderinteressen
und hinderte so das gemeinsame Fortschreiten, eine Centralbehörde gab es
nicht, die periodischen Generalconferenzen gaben hierfür keinen Ersatz, meistens
mußte jede Frage auf dem diplomatischen Correspondenzwege erledigt werden,
jede Veränderung, wenn sie bei den Regierungen durchgesetzt war, mußte
dann den sämmtlichen Ständeversammlungen zur Begutachtung vorgelegt
werden. So wurde zwar viel berathen, aber jedes gemeinsame Handeln fast
unmöglich dadurch, daß 26 verschiedene Finanzministerien unabhängig von
einander und ohne Rücksicht auf einander zu nehmen wirthschafteten. Opfer
brachte freiwillig nur Preußen, welches, um den Verein zu erhalten, sich
den Maßstab der Kopfzahlvertheilung gefallen ließ, obwohl bei seiner größeren
Consumtionsfähigkeit die jährliche Einbuße auf ein Minimum von l'I, Mill.
Thlr. berechnet ward.

Nur in einer Hinsicht ward eine Veränderung erzielt und zwar eine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120787"/>
          <p xml:id="ID_249" prev="#ID_248"> phalen und der Rheinprovinz; vielmehr war die Rohproduction in Ackerbau,<lb/>
Viehzucht und Weincultur ganz überwiegend, man fürchtete nun durch die<lb/>
überlegenen Fabriken des Nordens ausgebeutet zu werden. In Sachsen da¬<lb/>
gegen, welches eine blühende Industrie hatte, machte sich die schutzzöllnerische<lb/>
Angst vor der preußischen Concurrenz in heftigen Klagen über den bevor¬<lb/>
stehenden Verfall Leipzigs Luft; man beschuldigte die Unterhändler des Ver¬<lb/>
trages, von Preußen bestochen zu sein. Aber schon als Ende 1841 sämmt¬<lb/>
liche Zollvereinsverträge abliefen, hatte sich die Einsicht in die überwiegenden<lb/>
Vortheile so geklärt, daß keine Regierung von ihrem Kündigungsrecht Ge¬<lb/>
brauch machte, und ebenso bei der Bevölkerung aller Widerspruch verstummt<lb/>
war. Es ist eine eigenthümliche Verkettung der nationalen Geschicke: die<lb/>
Regierungen faßten allmälig den Gedanken der materiellen Einigung, weil<lb/>
sie durch die hohen Kosten, welche die Ueberwachung getrennter Gebiete for»<lb/>
derte, empfindliche Einbuße erlitten und weil die Verkehrsinterefsen die<lb/>
einzigen waren, auf denen eine Einigung möglich war, ohne der Souve-<lb/>
rainetät der Einzelstaaten wesentlich nahe zu treten, jeder Regierung blieb<lb/>
bei jeder Veränderung das libsrum veto, Preußen unterwarf sich gleichem<lb/>
Gesetz mit Bückeburg. So wurde die unentbehrliche Unterlage geschaffen, die<lb/>
im Laufe der Zeit so rasch erstarkte, daß dann die Bewegung für die poli¬<lb/>
tische Einigung von den Bevölkerungen ausging, im Gegensatz zu den Re¬<lb/>
gierungen, welche sie zu hindern suchten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_250"> Nachdem nun durch Erneuerung der Verträge auf zwölf Jahre (bis 1863)<lb/>
die erreichte Einigung gesichert war, sollte das Errungene befestigt und aus¬<lb/>
gebaut werden. Aber hier trat die Schwierigkeit entgegen, daß dem Zoll¬<lb/>
verein jede Organisation fehlte, daß er nichts Anderes war als ein Bund im<lb/>
Bunde, um gemeinsam eine Reihe indirecter Steuern zu erheben und zu ver¬<lb/>
theilen; innerhalb dieser Grenzen verfolgte jeder Staat seine Sonderinteressen<lb/>
und hinderte so das gemeinsame Fortschreiten, eine Centralbehörde gab es<lb/>
nicht, die periodischen Generalconferenzen gaben hierfür keinen Ersatz, meistens<lb/>
mußte jede Frage auf dem diplomatischen Correspondenzwege erledigt werden,<lb/>
jede Veränderung, wenn sie bei den Regierungen durchgesetzt war, mußte<lb/>
dann den sämmtlichen Ständeversammlungen zur Begutachtung vorgelegt<lb/>
werden. So wurde zwar viel berathen, aber jedes gemeinsame Handeln fast<lb/>
unmöglich dadurch, daß 26 verschiedene Finanzministerien unabhängig von<lb/>
einander und ohne Rücksicht auf einander zu nehmen wirthschafteten. Opfer<lb/>
brachte freiwillig nur Preußen, welches, um den Verein zu erhalten, sich<lb/>
den Maßstab der Kopfzahlvertheilung gefallen ließ, obwohl bei seiner größeren<lb/>
Consumtionsfähigkeit die jährliche Einbuße auf ein Minimum von l'I, Mill.<lb/>
Thlr. berechnet ward.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_251" next="#ID_252"> Nur in einer Hinsicht ward eine Veränderung erzielt und zwar eine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] phalen und der Rheinprovinz; vielmehr war die Rohproduction in Ackerbau, Viehzucht und Weincultur ganz überwiegend, man fürchtete nun durch die überlegenen Fabriken des Nordens ausgebeutet zu werden. In Sachsen da¬ gegen, welches eine blühende Industrie hatte, machte sich die schutzzöllnerische Angst vor der preußischen Concurrenz in heftigen Klagen über den bevor¬ stehenden Verfall Leipzigs Luft; man beschuldigte die Unterhändler des Ver¬ trages, von Preußen bestochen zu sein. Aber schon als Ende 1841 sämmt¬ liche Zollvereinsverträge abliefen, hatte sich die Einsicht in die überwiegenden Vortheile so geklärt, daß keine Regierung von ihrem Kündigungsrecht Ge¬ brauch machte, und ebenso bei der Bevölkerung aller Widerspruch verstummt war. Es ist eine eigenthümliche Verkettung der nationalen Geschicke: die Regierungen faßten allmälig den Gedanken der materiellen Einigung, weil sie durch die hohen Kosten, welche die Ueberwachung getrennter Gebiete for» derte, empfindliche Einbuße erlitten und weil die Verkehrsinterefsen die einzigen waren, auf denen eine Einigung möglich war, ohne der Souve- rainetät der Einzelstaaten wesentlich nahe zu treten, jeder Regierung blieb bei jeder Veränderung das libsrum veto, Preußen unterwarf sich gleichem Gesetz mit Bückeburg. So wurde die unentbehrliche Unterlage geschaffen, die im Laufe der Zeit so rasch erstarkte, daß dann die Bewegung für die poli¬ tische Einigung von den Bevölkerungen ausging, im Gegensatz zu den Re¬ gierungen, welche sie zu hindern suchten. Nachdem nun durch Erneuerung der Verträge auf zwölf Jahre (bis 1863) die erreichte Einigung gesichert war, sollte das Errungene befestigt und aus¬ gebaut werden. Aber hier trat die Schwierigkeit entgegen, daß dem Zoll¬ verein jede Organisation fehlte, daß er nichts Anderes war als ein Bund im Bunde, um gemeinsam eine Reihe indirecter Steuern zu erheben und zu ver¬ theilen; innerhalb dieser Grenzen verfolgte jeder Staat seine Sonderinteressen und hinderte so das gemeinsame Fortschreiten, eine Centralbehörde gab es nicht, die periodischen Generalconferenzen gaben hierfür keinen Ersatz, meistens mußte jede Frage auf dem diplomatischen Correspondenzwege erledigt werden, jede Veränderung, wenn sie bei den Regierungen durchgesetzt war, mußte dann den sämmtlichen Ständeversammlungen zur Begutachtung vorgelegt werden. So wurde zwar viel berathen, aber jedes gemeinsame Handeln fast unmöglich dadurch, daß 26 verschiedene Finanzministerien unabhängig von einander und ohne Rücksicht auf einander zu nehmen wirthschafteten. Opfer brachte freiwillig nur Preußen, welches, um den Verein zu erhalten, sich den Maßstab der Kopfzahlvertheilung gefallen ließ, obwohl bei seiner größeren Consumtionsfähigkeit die jährliche Einbuße auf ein Minimum von l'I, Mill. Thlr. berechnet ward. Nur in einer Hinsicht ward eine Veränderung erzielt und zwar eine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/100>, abgerufen am 24.07.2024.