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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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theoretisch jederzeit fest und noch zuletzt, als er die Fürsten Europas auf¬
bietet zu einem Concil, als dessen erste Handlung er die Absetzung Borgia's
betrachtet, müht er sich peinlich ab zu vereinigen, was ihm Beides in gleicher
Weise feststeht, nämlich die Unfehlbarkeit des Haupts der Kirche und das
Recht des Gewissens, sich aufzulehnen gegen offenbares Unrecht, das von die¬
sem Haupte kommt. Allein hier steht er nun auch haarscharf auf dem
Punkte, wo an seinem Schicksal die Wende der Zeiten sich ankündigt. Noch
thut er nicht den entscheidenden Schritt; aber man empfindet, daß bald ein
Andrer ihn thun wird. Aus der Asche, die im Arno verstreut ist, mußte sich
ruhelos der rächende Geist erheben. Und dieselbe entflammte Predigt wider
die Laster der Kirche, dasselbe Ringen um die Erneuerung der Menschheit,
dieselbe Furchtlosigkeit des Gewissens wird in einer neuen stärkeren Kraft
verkörpert den Weg aus dem Labyrinth finden, in dem Jener noch verstrickt
blieb. Luther selbst fühlte sich zu dem "heiligen Mann" hingezogen und er¬
kannte den protestantischen Geist, der aus dessen Schriften wie aus seinem
Leben sprach, und wenn auch er den Irrthum theilte, Savonarola für einen
Apostel seiner Rechtfertigungslehre zu halten, so bleibt dennoch das bekannte
Wort des deutschen Reformators bestehen: "Er erlitt den Tod, weil er Rom,
den Abgrund alles Verderbens, reinigen wollte. Aber siehe, er lebt und sein
Gedächtniß ist im Segen. Christus canonisirt ihn durch uns, sollten gleich
die Päpste und Papisten mit einander darüber zerbersten."




Savonarola steht im vollen Licht der Geschichte. Er selbst hat als
authentische Denkmäler seines Geistes eine Reihe von Schriften der verschie¬
densten Gattung hinterlassen: Lehrhaftes und Erbauliches, Briefe, Gedichte
und politische Broschüren, vor Allem aber eine große Anzahl von Predigten,
deren mangelhafte Redaction freilich kaum die ursprüngliche Gestalt, in der
sie so zündend wirkten, erkennen läßt. Sein Leben war in den letzten Jahren
ein öffentliches, verflochten in die Geschichte des florentinischen Staats, zum
Theil selbst der Gegenstand von Staatsactionen. Und die damaligen Floren¬
tiner waren aufmerksam auf alle Begebnisse, deren Zeugen sie waren. Mit
der unendlichen Beweglichkeit des äußeren Lebens hielt eine staunenswerthe
literarische Betriebsamkeit gleichen Schritt. Mönche, Gelehrte, Staatsmänner
zeichneten auf, wie sie die Dinge sahen; Vieles davon ruht ungedruckt in
den Archiven. Schüler und Freunde Savonarola's sammelten nach dessen
Tod ihre Erinnerungen, und wenn ihnen vielfach blinde, abergläubische Ver¬
ehrung die Feder führte, so fehlt es nicht an anderen nüchterneren Denk¬
mälern der Epoche; denn eben damals wuchs jenes Geschlecht heran, das, in


theoretisch jederzeit fest und noch zuletzt, als er die Fürsten Europas auf¬
bietet zu einem Concil, als dessen erste Handlung er die Absetzung Borgia's
betrachtet, müht er sich peinlich ab zu vereinigen, was ihm Beides in gleicher
Weise feststeht, nämlich die Unfehlbarkeit des Haupts der Kirche und das
Recht des Gewissens, sich aufzulehnen gegen offenbares Unrecht, das von die¬
sem Haupte kommt. Allein hier steht er nun auch haarscharf auf dem
Punkte, wo an seinem Schicksal die Wende der Zeiten sich ankündigt. Noch
thut er nicht den entscheidenden Schritt; aber man empfindet, daß bald ein
Andrer ihn thun wird. Aus der Asche, die im Arno verstreut ist, mußte sich
ruhelos der rächende Geist erheben. Und dieselbe entflammte Predigt wider
die Laster der Kirche, dasselbe Ringen um die Erneuerung der Menschheit,
dieselbe Furchtlosigkeit des Gewissens wird in einer neuen stärkeren Kraft
verkörpert den Weg aus dem Labyrinth finden, in dem Jener noch verstrickt
blieb. Luther selbst fühlte sich zu dem „heiligen Mann" hingezogen und er¬
kannte den protestantischen Geist, der aus dessen Schriften wie aus seinem
Leben sprach, und wenn auch er den Irrthum theilte, Savonarola für einen
Apostel seiner Rechtfertigungslehre zu halten, so bleibt dennoch das bekannte
Wort des deutschen Reformators bestehen: „Er erlitt den Tod, weil er Rom,
den Abgrund alles Verderbens, reinigen wollte. Aber siehe, er lebt und sein
Gedächtniß ist im Segen. Christus canonisirt ihn durch uns, sollten gleich
die Päpste und Papisten mit einander darüber zerbersten."




Savonarola steht im vollen Licht der Geschichte. Er selbst hat als
authentische Denkmäler seines Geistes eine Reihe von Schriften der verschie¬
densten Gattung hinterlassen: Lehrhaftes und Erbauliches, Briefe, Gedichte
und politische Broschüren, vor Allem aber eine große Anzahl von Predigten,
deren mangelhafte Redaction freilich kaum die ursprüngliche Gestalt, in der
sie so zündend wirkten, erkennen läßt. Sein Leben war in den letzten Jahren
ein öffentliches, verflochten in die Geschichte des florentinischen Staats, zum
Theil selbst der Gegenstand von Staatsactionen. Und die damaligen Floren¬
tiner waren aufmerksam auf alle Begebnisse, deren Zeugen sie waren. Mit
der unendlichen Beweglichkeit des äußeren Lebens hielt eine staunenswerthe
literarische Betriebsamkeit gleichen Schritt. Mönche, Gelehrte, Staatsmänner
zeichneten auf, wie sie die Dinge sahen; Vieles davon ruht ungedruckt in
den Archiven. Schüler und Freunde Savonarola's sammelten nach dessen
Tod ihre Erinnerungen, und wenn ihnen vielfach blinde, abergläubische Ver¬
ehrung die Feder führte, so fehlt es nicht an anderen nüchterneren Denk¬
mälern der Epoche; denn eben damals wuchs jenes Geschlecht heran, das, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/97>, abgerufen am 28.09.2024.