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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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der Schule der republikanischen Verfassung gebildet, die Beobachtung der
politischen Schicksale von Florenz zum besonderen Studium machte und ihre
Beschreibung zu seltener Fertigkeit trieb, jene großen Geschichtschreiber, die
alle von dem Einfluß Savonarola's Zeugniß geben. So liegt also ein rei¬
ches Material zu der Biographie des außerordentlichen Mannes vor; freilich
weit zerstreut, zum Theil verborgen und nicht Alles von gleichem Werth.
Vieles hat die Kritik zurechtzustellen, was Leidenschaft oder Absicht der Par¬
teien verdunkelt hat. Ein freier geschichtlicher Sinn, durch Rücksichten der
Bekenntnisse nicht getrübt, gehört dazu, um diese Geschichte zu schreiben und
sie kann endlich nur gelingen mit Hilfe eines umfassenden Studiums der
Zeitverhältnisse überhaupt, durch welche diese geschichtliche Erscheinung bedingt
ist. Erst der neuesten Zeit verdanken wir eine Lebensbeschreibung, welche
diesen Anforderungen entspricht.

Die nächsten Vorgänger, deren Verdienst um selbständige Erforschung des
Materials unbestreitbar ist, waren Rudelbach (1835), Karl Meier (1836) und
neben diesen deutschen Arbeiten, denen noch die Charakteristik in Karl Hase's
"Neuen Propheten" (1851) beizuzählen ist, die französische von Perrens (1853,
ins Deutsche übersetzt von I. F. Schröder, 1868). Alle diese Darstellungen sind
überholt durch die Arbeit eines italienischen Gelehrten, welche zum ersten Mal
das Leben Savonarola's im Zusammenhang mit der Zeitgeschichte erschöpfend
behandelt. Die Geschichte Savonarola's von Pasquale Villari erschien in
den Jahren 1859 und 1861 und wurde sofort auch außerhalb Italiens als
eine bedeutende Bereicherung der historischen Literatur begrüßt. Es ist
gleich damals öffentlich der Wunsch einer Verdeutschung ausgesprochen worden.
Eine solche liegt nunmehr vor und das Unternehmen ist in die besten Hände
gefallen. Die Uebersetzung des Herrn M. Berduschek. gegenwärtig Pro¬
fessors der deutschen Sprache an der Normalschule in Visa, ist sorgfältig und
mit Geschmack unter den Augen des Verfassers selbst ausgeführt. Daß von
den Documenten nur die wichtigeren, auf Savonarola selbst bezüglichen, auf¬
genommen sind, ist nur zu billigen. Bei der Popularität Savonarola's in
Deutschland, die doch in der Regel nicht frei ist von gewissen Vorurtheilen,
ist es ein wirkliches Verdienst, das Werk des gelehrten Neapolitaners in die
deutsche historische Literatur eingeführt zu haben.

"Auf Grund zehnjähriger Forschungen" -- bemerkt der Uebersetzer -- "und
an der Hand eines reichen Schatzes neuer von ihm aufgefundener Documente
ist es Villari gelungen, nicht nur viele bisher dunkle oder falsch verstandene
Punkte im Leben Savonarola's aufzuklären, sondern auch die scheinbaren
Widersprüche in dem Charakter des merkwürdigen Mannes in einer Weise
zu lösen, daß derselbe nunmehr als eine vollkommen einheitliche, plastisch
klare Gestalt vor uns steht. Der Hauptreiz seines Werkes liegt aber im


der Schule der republikanischen Verfassung gebildet, die Beobachtung der
politischen Schicksale von Florenz zum besonderen Studium machte und ihre
Beschreibung zu seltener Fertigkeit trieb, jene großen Geschichtschreiber, die
alle von dem Einfluß Savonarola's Zeugniß geben. So liegt also ein rei¬
ches Material zu der Biographie des außerordentlichen Mannes vor; freilich
weit zerstreut, zum Theil verborgen und nicht Alles von gleichem Werth.
Vieles hat die Kritik zurechtzustellen, was Leidenschaft oder Absicht der Par¬
teien verdunkelt hat. Ein freier geschichtlicher Sinn, durch Rücksichten der
Bekenntnisse nicht getrübt, gehört dazu, um diese Geschichte zu schreiben und
sie kann endlich nur gelingen mit Hilfe eines umfassenden Studiums der
Zeitverhältnisse überhaupt, durch welche diese geschichtliche Erscheinung bedingt
ist. Erst der neuesten Zeit verdanken wir eine Lebensbeschreibung, welche
diesen Anforderungen entspricht.

Die nächsten Vorgänger, deren Verdienst um selbständige Erforschung des
Materials unbestreitbar ist, waren Rudelbach (1835), Karl Meier (1836) und
neben diesen deutschen Arbeiten, denen noch die Charakteristik in Karl Hase's
„Neuen Propheten" (1851) beizuzählen ist, die französische von Perrens (1853,
ins Deutsche übersetzt von I. F. Schröder, 1868). Alle diese Darstellungen sind
überholt durch die Arbeit eines italienischen Gelehrten, welche zum ersten Mal
das Leben Savonarola's im Zusammenhang mit der Zeitgeschichte erschöpfend
behandelt. Die Geschichte Savonarola's von Pasquale Villari erschien in
den Jahren 1859 und 1861 und wurde sofort auch außerhalb Italiens als
eine bedeutende Bereicherung der historischen Literatur begrüßt. Es ist
gleich damals öffentlich der Wunsch einer Verdeutschung ausgesprochen worden.
Eine solche liegt nunmehr vor und das Unternehmen ist in die besten Hände
gefallen. Die Uebersetzung des Herrn M. Berduschek. gegenwärtig Pro¬
fessors der deutschen Sprache an der Normalschule in Visa, ist sorgfältig und
mit Geschmack unter den Augen des Verfassers selbst ausgeführt. Daß von
den Documenten nur die wichtigeren, auf Savonarola selbst bezüglichen, auf¬
genommen sind, ist nur zu billigen. Bei der Popularität Savonarola's in
Deutschland, die doch in der Regel nicht frei ist von gewissen Vorurtheilen,
ist es ein wirkliches Verdienst, das Werk des gelehrten Neapolitaners in die
deutsche historische Literatur eingeführt zu haben.

„Auf Grund zehnjähriger Forschungen" — bemerkt der Uebersetzer — „und
an der Hand eines reichen Schatzes neuer von ihm aufgefundener Documente
ist es Villari gelungen, nicht nur viele bisher dunkle oder falsch verstandene
Punkte im Leben Savonarola's aufzuklären, sondern auch die scheinbaren
Widersprüche in dem Charakter des merkwürdigen Mannes in einer Weise
zu lösen, daß derselbe nunmehr als eine vollkommen einheitliche, plastisch
klare Gestalt vor uns steht. Der Hauptreiz seines Werkes liegt aber im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/98>, abgerufen am 28.09.2024.