Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

entstanden, wenn man immer zu unterscheiden gewußt hätte zwischen Vor¬
läufer der Reformation und Vorläufer der Lehre Luther's. Auf dem Denk¬
mal, das dem deutschen Reformationswerk zu Worms errichtet worden ist,
hat man neben Petrus Waldus, neben Winkes und Huß, neben dem Fran¬
zosen, Engländer und Böhmen auch dem Italiener Savonarola seine Stelle
angewiesen. Dadurch ist, wie vorauszusehen war, aufs Neue heftige Fehde
entbrannt. Das gegenwärtige Ordenshaupt der Dominicaner selbst hat sich
gedrungen gefühlt, im Namen des Ordens und der katholischen Kirche Protest
einzulegen gegen den öffentlichen Frevel, einen der Ihrigen in Verbindung
zu setzen mit den Häuptern der deutschen Ketzerei.*) Er glaubte es dem An¬
denken seines Ordensbruders schuldig zu sein, ihn zu reinigen von jedem
Verdacht der Abtrünnigkeit, und so weist denn der Doctor der Theologie
und Provincial des Predigerordens mit unleugbaren Eifer am Privatwandel
wie am öffentlichen Leben, an der Lehre wie am Sterben seines Helden nach,
daß derselbe als ein treuer Sohn und Diener seiner Kirche gelebt, gelehrt
und den Tod erlitten habe.

Diese Ausführung ist auch in der That völlig siegreich, nur beweist sie
nicht was sie beweisen soll. Sie ist ganz im Recht gegen die protestantische
Strebsamkeit, die in Savonarola einen Lutheraner vor Luther erblicken wollte
und wo nicht dessen Schriften Gewalt anthat, doch mit gefärbten Gläsern in
ihnen las. Allein damit, daß dieser unberechtigte Eifer zurückgewiesen wird,
ist die geschichtliche Stellung des Mönchs aus Ferrara noch nicht erschöpft.
Es ist wahr, Savonvrola hat nie auch nur entfernt an eine Trennung von
der Kirche gedacht. Wenn er ihre Reform verlangte, so geschah dies in dem¬
selben Sinn, in welchem innerhalb der Kirche selbst dieser Ruf immer wieder
sich erhob. Wenn er das Ganze der christlichen Lehre darstellt, so hält er
sich streng an Thomas von Aquino und erlaubt sich nicht größere Freiheit
als bei einem geistvollen Mann selbstverständlich ist, der in seiner Weise den
überlieferten Stoff vorträgt. Gerade die Lehren, welche später die Refor¬
matoren zur Grundlage ihres Systems machen, vom knechtischen Willen, von
der Prädestination, von der Rechtfertigung allein durch den Glauben, diese
Lehren alle sucht man bei ihm vergebens, wenigstens nirgends mit dogma¬
tischer Absicht und Bestimmtheit ausgesprochen; immer wandte er sich in
seiner Predigt an den freien Willen der Menschen, an die Werke, an die
Liebe; er hätte sicher den Reformatoren in diesen Stücken nicht einen Fuß
breit nachgegeben. In der That hat ihm. so parteiisch sein Proceß geführt
Wurde und trotz der offenbarsten Fälschungen, nie eine Ketzerei Schuld gegeben
werden können. Die unbedingte Autorität des Papstes stand ihm wenigstens



*) G. Savonarola und das Lutherdenkmal zu Worms. Von P. Jo. Pius Maria Round
°e Card, Predigcrordensprovincial. öl-. der Theologie. Aus dem Französischen, Berlin 1868.

entstanden, wenn man immer zu unterscheiden gewußt hätte zwischen Vor¬
läufer der Reformation und Vorläufer der Lehre Luther's. Auf dem Denk¬
mal, das dem deutschen Reformationswerk zu Worms errichtet worden ist,
hat man neben Petrus Waldus, neben Winkes und Huß, neben dem Fran¬
zosen, Engländer und Böhmen auch dem Italiener Savonarola seine Stelle
angewiesen. Dadurch ist, wie vorauszusehen war, aufs Neue heftige Fehde
entbrannt. Das gegenwärtige Ordenshaupt der Dominicaner selbst hat sich
gedrungen gefühlt, im Namen des Ordens und der katholischen Kirche Protest
einzulegen gegen den öffentlichen Frevel, einen der Ihrigen in Verbindung
zu setzen mit den Häuptern der deutschen Ketzerei.*) Er glaubte es dem An¬
denken seines Ordensbruders schuldig zu sein, ihn zu reinigen von jedem
Verdacht der Abtrünnigkeit, und so weist denn der Doctor der Theologie
und Provincial des Predigerordens mit unleugbaren Eifer am Privatwandel
wie am öffentlichen Leben, an der Lehre wie am Sterben seines Helden nach,
daß derselbe als ein treuer Sohn und Diener seiner Kirche gelebt, gelehrt
und den Tod erlitten habe.

Diese Ausführung ist auch in der That völlig siegreich, nur beweist sie
nicht was sie beweisen soll. Sie ist ganz im Recht gegen die protestantische
Strebsamkeit, die in Savonarola einen Lutheraner vor Luther erblicken wollte
und wo nicht dessen Schriften Gewalt anthat, doch mit gefärbten Gläsern in
ihnen las. Allein damit, daß dieser unberechtigte Eifer zurückgewiesen wird,
ist die geschichtliche Stellung des Mönchs aus Ferrara noch nicht erschöpft.
Es ist wahr, Savonvrola hat nie auch nur entfernt an eine Trennung von
der Kirche gedacht. Wenn er ihre Reform verlangte, so geschah dies in dem¬
selben Sinn, in welchem innerhalb der Kirche selbst dieser Ruf immer wieder
sich erhob. Wenn er das Ganze der christlichen Lehre darstellt, so hält er
sich streng an Thomas von Aquino und erlaubt sich nicht größere Freiheit
als bei einem geistvollen Mann selbstverständlich ist, der in seiner Weise den
überlieferten Stoff vorträgt. Gerade die Lehren, welche später die Refor¬
matoren zur Grundlage ihres Systems machen, vom knechtischen Willen, von
der Prädestination, von der Rechtfertigung allein durch den Glauben, diese
Lehren alle sucht man bei ihm vergebens, wenigstens nirgends mit dogma¬
tischer Absicht und Bestimmtheit ausgesprochen; immer wandte er sich in
seiner Predigt an den freien Willen der Menschen, an die Werke, an die
Liebe; er hätte sicher den Reformatoren in diesen Stücken nicht einen Fuß
breit nachgegeben. In der That hat ihm. so parteiisch sein Proceß geführt
Wurde und trotz der offenbarsten Fälschungen, nie eine Ketzerei Schuld gegeben
werden können. Die unbedingte Autorität des Papstes stand ihm wenigstens



*) G. Savonarola und das Lutherdenkmal zu Worms. Von P. Jo. Pius Maria Round
°e Card, Predigcrordensprovincial. öl-. der Theologie. Aus dem Französischen, Berlin 1868.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120285"/>
            <p xml:id="ID_263" prev="#ID_262"> entstanden, wenn man immer zu unterscheiden gewußt hätte zwischen Vor¬<lb/>
läufer der Reformation und Vorläufer der Lehre Luther's. Auf dem Denk¬<lb/>
mal, das dem deutschen Reformationswerk zu Worms errichtet worden ist,<lb/>
hat man neben Petrus Waldus, neben Winkes und Huß, neben dem Fran¬<lb/>
zosen, Engländer und Böhmen auch dem Italiener Savonarola seine Stelle<lb/>
angewiesen. Dadurch ist, wie vorauszusehen war, aufs Neue heftige Fehde<lb/>
entbrannt. Das gegenwärtige Ordenshaupt der Dominicaner selbst hat sich<lb/>
gedrungen gefühlt, im Namen des Ordens und der katholischen Kirche Protest<lb/>
einzulegen gegen den öffentlichen Frevel, einen der Ihrigen in Verbindung<lb/>
zu setzen mit den Häuptern der deutschen Ketzerei.*) Er glaubte es dem An¬<lb/>
denken seines Ordensbruders schuldig zu sein, ihn zu reinigen von jedem<lb/>
Verdacht der Abtrünnigkeit, und so weist denn der Doctor der Theologie<lb/>
und Provincial des Predigerordens mit unleugbaren Eifer am Privatwandel<lb/>
wie am öffentlichen Leben, an der Lehre wie am Sterben seines Helden nach,<lb/>
daß derselbe als ein treuer Sohn und Diener seiner Kirche gelebt, gelehrt<lb/>
und den Tod erlitten habe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_264" next="#ID_265"> Diese Ausführung ist auch in der That völlig siegreich, nur beweist sie<lb/>
nicht was sie beweisen soll. Sie ist ganz im Recht gegen die protestantische<lb/>
Strebsamkeit, die in Savonarola einen Lutheraner vor Luther erblicken wollte<lb/>
und wo nicht dessen Schriften Gewalt anthat, doch mit gefärbten Gläsern in<lb/>
ihnen las. Allein damit, daß dieser unberechtigte Eifer zurückgewiesen wird,<lb/>
ist die geschichtliche Stellung des Mönchs aus Ferrara noch nicht erschöpft.<lb/>
Es ist wahr, Savonvrola hat nie auch nur entfernt an eine Trennung von<lb/>
der Kirche gedacht. Wenn er ihre Reform verlangte, so geschah dies in dem¬<lb/>
selben Sinn, in welchem innerhalb der Kirche selbst dieser Ruf immer wieder<lb/>
sich erhob. Wenn er das Ganze der christlichen Lehre darstellt, so hält er<lb/>
sich streng an Thomas von Aquino und erlaubt sich nicht größere Freiheit<lb/>
als bei einem geistvollen Mann selbstverständlich ist, der in seiner Weise den<lb/>
überlieferten Stoff vorträgt. Gerade die Lehren, welche später die Refor¬<lb/>
matoren zur Grundlage ihres Systems machen, vom knechtischen Willen, von<lb/>
der Prädestination, von der Rechtfertigung allein durch den Glauben, diese<lb/>
Lehren alle sucht man bei ihm vergebens, wenigstens nirgends mit dogma¬<lb/>
tischer Absicht und Bestimmtheit ausgesprochen; immer wandte er sich in<lb/>
seiner Predigt an den freien Willen der Menschen, an die Werke, an die<lb/>
Liebe; er hätte sicher den Reformatoren in diesen Stücken nicht einen Fuß<lb/>
breit nachgegeben. In der That hat ihm. so parteiisch sein Proceß geführt<lb/>
Wurde und trotz der offenbarsten Fälschungen, nie eine Ketzerei Schuld gegeben<lb/>
werden können. Die unbedingte Autorität des Papstes stand ihm wenigstens</p><lb/>
            <note xml:id="FID_3" place="foot"> *) G. Savonarola und das Lutherdenkmal zu Worms. Von P. Jo. Pius Maria Round<lb/>
°e Card, Predigcrordensprovincial. öl-. der Theologie. Aus dem Französischen, Berlin 1868.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] entstanden, wenn man immer zu unterscheiden gewußt hätte zwischen Vor¬ läufer der Reformation und Vorläufer der Lehre Luther's. Auf dem Denk¬ mal, das dem deutschen Reformationswerk zu Worms errichtet worden ist, hat man neben Petrus Waldus, neben Winkes und Huß, neben dem Fran¬ zosen, Engländer und Böhmen auch dem Italiener Savonarola seine Stelle angewiesen. Dadurch ist, wie vorauszusehen war, aufs Neue heftige Fehde entbrannt. Das gegenwärtige Ordenshaupt der Dominicaner selbst hat sich gedrungen gefühlt, im Namen des Ordens und der katholischen Kirche Protest einzulegen gegen den öffentlichen Frevel, einen der Ihrigen in Verbindung zu setzen mit den Häuptern der deutschen Ketzerei.*) Er glaubte es dem An¬ denken seines Ordensbruders schuldig zu sein, ihn zu reinigen von jedem Verdacht der Abtrünnigkeit, und so weist denn der Doctor der Theologie und Provincial des Predigerordens mit unleugbaren Eifer am Privatwandel wie am öffentlichen Leben, an der Lehre wie am Sterben seines Helden nach, daß derselbe als ein treuer Sohn und Diener seiner Kirche gelebt, gelehrt und den Tod erlitten habe. Diese Ausführung ist auch in der That völlig siegreich, nur beweist sie nicht was sie beweisen soll. Sie ist ganz im Recht gegen die protestantische Strebsamkeit, die in Savonarola einen Lutheraner vor Luther erblicken wollte und wo nicht dessen Schriften Gewalt anthat, doch mit gefärbten Gläsern in ihnen las. Allein damit, daß dieser unberechtigte Eifer zurückgewiesen wird, ist die geschichtliche Stellung des Mönchs aus Ferrara noch nicht erschöpft. Es ist wahr, Savonvrola hat nie auch nur entfernt an eine Trennung von der Kirche gedacht. Wenn er ihre Reform verlangte, so geschah dies in dem¬ selben Sinn, in welchem innerhalb der Kirche selbst dieser Ruf immer wieder sich erhob. Wenn er das Ganze der christlichen Lehre darstellt, so hält er sich streng an Thomas von Aquino und erlaubt sich nicht größere Freiheit als bei einem geistvollen Mann selbstverständlich ist, der in seiner Weise den überlieferten Stoff vorträgt. Gerade die Lehren, welche später die Refor¬ matoren zur Grundlage ihres Systems machen, vom knechtischen Willen, von der Prädestination, von der Rechtfertigung allein durch den Glauben, diese Lehren alle sucht man bei ihm vergebens, wenigstens nirgends mit dogma¬ tischer Absicht und Bestimmtheit ausgesprochen; immer wandte er sich in seiner Predigt an den freien Willen der Menschen, an die Werke, an die Liebe; er hätte sicher den Reformatoren in diesen Stücken nicht einen Fuß breit nachgegeben. In der That hat ihm. so parteiisch sein Proceß geführt Wurde und trotz der offenbarsten Fälschungen, nie eine Ketzerei Schuld gegeben werden können. Die unbedingte Autorität des Papstes stand ihm wenigstens *) G. Savonarola und das Lutherdenkmal zu Worms. Von P. Jo. Pius Maria Round °e Card, Predigcrordensprovincial. öl-. der Theologie. Aus dem Französischen, Berlin 1868.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/96
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/96>, abgerufen am 28.09.2024.