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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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zu einem unversöhnlichen Conflict mit der höchsten Kirchengewalt, in welchem
er untergeht.

Man pflegt Savonarola mit Arnold von Brescia zusammen zu nennen;
ihr tragisches Schicksal legt den Vergleich nahe. Ein einsamer Mönch hier
wie dort, der in ungleichem Kampf zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt
erdrückt wird. Ein Prophet Jeder, hingeopfert für den Glauben an ein
fernes Ideal der Menschheit. Aber die Art der Prophetie ist eine andere.
Auch der Schüler Abälard's eifert wider die Laster der verweltlichten Kirche,
aber mit merkwürdiger Klarheit faßt er des Uebels Kern und predigt er die
Trennung der weltlichen und geistlichen Gewalt, die Säcularisation des
Kirchenstaats. Man vergißt, daß er ein Mönch des 12. Jahrhunderts ist.
Im Dienst der ewigen Stadt, die ihre Freiheit wiedergewonnen, lebend in
den Erinnerungen der antiken Welt, erscheint er, soweit seine Züge heute
noch kenntlich sind, selbst als ein antiker Charakter von einfacher Größe, und
weit den Jahrhunderten voraneilend läßt er, von den beiden Mächten des
Mittelalters zermalmt. Nichts zurück als den Gedanken, den 6 Jahrhunderte
nach ihm erst die Gegenwart wieder zur Wirklichkeit zu machen sucht.

Viel complicirter und widerspruchsvoller ist die Erscheinung des Do¬
minicaners von San Marco. In seinem Geist streiten sich eine abster¬
bende und eine werdende Welt. Von einem mönchischen Ideenkreise erfüllt
wirst er sich der lichten Renaissance entgegen, an deren besten Gütern er
Theil hat, während er sie bekämpft. In das Kloster geflüchtet, "nur um
Ruhe und Freiheit zu finden", lenkt er Jahre lang das aufgeregteste Volk
der Welt nach seinem Willen und ist wieder wie ein Kind unter den teuf¬
lischen Verfolgungen seiner Feinde. Aus der Stille seiner Zelle wird er
zum Staatsmann und wirkt am Ausbau des modernen Staates mit, der einst
das Mittelalter mit allen seinen Klöstern zu Grabe trägt. Ein, einseitiger
fanatischer Mönch, wundergläubig und den Wunderglauben pflegend, hat er
doch zugleich einen Hauch des neuen Geists verspürt. Mit aller Gluth der
Seele für seine Kirche streitend findet er in seinem Gewissen den festen
Ankergrund, von wo es ihm möglich und zur Pflicht wird, der höchsten
Autorität der Kirche mit scharfem Widerspruch entgegenzutreten. Und indem
er die Freiheit seines Geistes mit dem Tode besiegelt, zu einer Zeit, da der
Grund des Papstthums zu wanken beginnt, da die wachsende Bildung der
Geister von allen Seiten die Herrschaft der Autorität untergräbt, steht er
dicht vor den Pforten der Reformation.

Man hat viel darüber gestritten, ob Savonarola wirklich zu den "Vor¬
läufern der Reformation", wie der Ausdruck in den Compendien lautet, zu
zählen sei oder nicht. Der Streit gehört nicht in die Geschichte, man sollte
ihn der Eifersucht der Bekenntnisse lassen. Er wäre wohl auch gar nicht


zu einem unversöhnlichen Conflict mit der höchsten Kirchengewalt, in welchem
er untergeht.

Man pflegt Savonarola mit Arnold von Brescia zusammen zu nennen;
ihr tragisches Schicksal legt den Vergleich nahe. Ein einsamer Mönch hier
wie dort, der in ungleichem Kampf zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt
erdrückt wird. Ein Prophet Jeder, hingeopfert für den Glauben an ein
fernes Ideal der Menschheit. Aber die Art der Prophetie ist eine andere.
Auch der Schüler Abälard's eifert wider die Laster der verweltlichten Kirche,
aber mit merkwürdiger Klarheit faßt er des Uebels Kern und predigt er die
Trennung der weltlichen und geistlichen Gewalt, die Säcularisation des
Kirchenstaats. Man vergißt, daß er ein Mönch des 12. Jahrhunderts ist.
Im Dienst der ewigen Stadt, die ihre Freiheit wiedergewonnen, lebend in
den Erinnerungen der antiken Welt, erscheint er, soweit seine Züge heute
noch kenntlich sind, selbst als ein antiker Charakter von einfacher Größe, und
weit den Jahrhunderten voraneilend läßt er, von den beiden Mächten des
Mittelalters zermalmt. Nichts zurück als den Gedanken, den 6 Jahrhunderte
nach ihm erst die Gegenwart wieder zur Wirklichkeit zu machen sucht.

Viel complicirter und widerspruchsvoller ist die Erscheinung des Do¬
minicaners von San Marco. In seinem Geist streiten sich eine abster¬
bende und eine werdende Welt. Von einem mönchischen Ideenkreise erfüllt
wirst er sich der lichten Renaissance entgegen, an deren besten Gütern er
Theil hat, während er sie bekämpft. In das Kloster geflüchtet, „nur um
Ruhe und Freiheit zu finden", lenkt er Jahre lang das aufgeregteste Volk
der Welt nach seinem Willen und ist wieder wie ein Kind unter den teuf¬
lischen Verfolgungen seiner Feinde. Aus der Stille seiner Zelle wird er
zum Staatsmann und wirkt am Ausbau des modernen Staates mit, der einst
das Mittelalter mit allen seinen Klöstern zu Grabe trägt. Ein, einseitiger
fanatischer Mönch, wundergläubig und den Wunderglauben pflegend, hat er
doch zugleich einen Hauch des neuen Geists verspürt. Mit aller Gluth der
Seele für seine Kirche streitend findet er in seinem Gewissen den festen
Ankergrund, von wo es ihm möglich und zur Pflicht wird, der höchsten
Autorität der Kirche mit scharfem Widerspruch entgegenzutreten. Und indem
er die Freiheit seines Geistes mit dem Tode besiegelt, zu einer Zeit, da der
Grund des Papstthums zu wanken beginnt, da die wachsende Bildung der
Geister von allen Seiten die Herrschaft der Autorität untergräbt, steht er
dicht vor den Pforten der Reformation.

Man hat viel darüber gestritten, ob Savonarola wirklich zu den „Vor¬
läufern der Reformation", wie der Ausdruck in den Compendien lautet, zu
zählen sei oder nicht. Der Streit gehört nicht in die Geschichte, man sollte
ihn der Eifersucht der Bekenntnisse lassen. Er wäre wohl auch gar nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/95>, abgerufen am 28.09.2024.