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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Trachten der Frauen, dann aber ganz besonders wider die Tyrannen pre¬
digte. Pavia hatte sich damals von den Visconti in Mailand freigemacht,
und der junge Augustiner, der die Partei des kaiserlichen Statthalters Mark¬
grafen von Monserrat hielt, wußte einen solchen Enthusiasmus zu erregen,
daß die Stadt furchtlos die Belagerung durch ein überlegenes Heer der
Visconti bestand und in einem gelungenen Ausfalle, den der geistliche Held
befehligte, dasselbe sogar in die Flucht schlug. Das war im Jahre 13S6.
Nun baute er auf Grundlage des Evangeliums eine phantastische Republik
auf, Freiheit und Gleichheit waren die Schlagworte seiner Predigt; seine
Ermahnungen aber fruchteten so, daß die Stadt, die der verrufensten eine
war, zu einem Muster frommer Sitten wurde. Um sie von dem letzten Ty¬
rannen zu befreien, führte er einen unablässigen Krieg gegen das hervor¬
ragende Geschlecht der Beccaria und ruhte nicht, bis diese sammt ihren An¬
hängern aus der Stadt vertrieben waren. Von der Kanzel herab organisirte
der Mönch eine Art Volksbewaffnung und blieb die Seele der Vertheidigung,
als die Visconti, von den Beccaria gerufen, aufs Neue im Frühjahr 1339
gegen Pavia zogen. Nun wußte er den Fanatismus der Bürger auf das
Aeußerste zu steigern. Die Frauen kleideten sich in Schwarz und gingen in
Kapuzen verhüllt, Männer und Frauen trugen ihren Ueberfluß, ihr Ge¬
schmeide, ihre Kleider herbei, um es zum Verkauf nach Venedig zu schicken
und aus dem Erlös die Truppen des Markgrafen zu bezahlen. Allein der
Krieg ging unglücklich aus. Bussolari mußte capituliren und starb im Ge¬
fängniß. Im November desselben Jahrs zog Galeazzo Visconti in Pavia
ein und herrschte von da an unumschränkt über die Stadt.

Diese Phänomene sind wie die rohen Skizzen, welche die Natur ver¬
suchsweise hinwarf, um wieder ein Jahrhundert später aus edleren Stoff die
Gestalt des Mönchs von San Marco zu bilden. An Jene erinnert Savona-
rola zunächst, obwohl er sie unendlich überragt. Schon daß der Schauplatz
seiner reformatorischen Thätigkeit Florenz ist, das Florenz des 15. Jahr¬
hunderts, hebt ihn aus den engen Grenzen einer Stadt hinaus auf die Scene
der Weltgeschichte. Nicht ziellose Städtefehden sind der Boden, auf dem sich
seine Persönlichkeit erhebt: mitten in der blühenden Renaissance steht der
düstere von innerem Feuer verzehrte Prediger auf. durch seinen Willen ver¬
wandeln sich die lustigen Lieder der Florentiner in ernste Bußgesänge, Platon's
und Aristoteles' Schüler werfen sich vor dem Kreuze nieder, durch sein Wort
allein beherrscht er ein Gemeinwesen, wo Politik die Beschäftigung und Leiden¬
schaft Aller war, er ist die Seele einer Verfassung, die ihn überlebt und von
den größten Geschichtschreibern als ein Muster gepriesen wird, und die Un¬
abhängigkeit seiner Seele reißt den, der ewigen Gehorsam geschworen, fort


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Trachten der Frauen, dann aber ganz besonders wider die Tyrannen pre¬
digte. Pavia hatte sich damals von den Visconti in Mailand freigemacht,
und der junge Augustiner, der die Partei des kaiserlichen Statthalters Mark¬
grafen von Monserrat hielt, wußte einen solchen Enthusiasmus zu erregen,
daß die Stadt furchtlos die Belagerung durch ein überlegenes Heer der
Visconti bestand und in einem gelungenen Ausfalle, den der geistliche Held
befehligte, dasselbe sogar in die Flucht schlug. Das war im Jahre 13S6.
Nun baute er auf Grundlage des Evangeliums eine phantastische Republik
auf, Freiheit und Gleichheit waren die Schlagworte seiner Predigt; seine
Ermahnungen aber fruchteten so, daß die Stadt, die der verrufensten eine
war, zu einem Muster frommer Sitten wurde. Um sie von dem letzten Ty¬
rannen zu befreien, führte er einen unablässigen Krieg gegen das hervor¬
ragende Geschlecht der Beccaria und ruhte nicht, bis diese sammt ihren An¬
hängern aus der Stadt vertrieben waren. Von der Kanzel herab organisirte
der Mönch eine Art Volksbewaffnung und blieb die Seele der Vertheidigung,
als die Visconti, von den Beccaria gerufen, aufs Neue im Frühjahr 1339
gegen Pavia zogen. Nun wußte er den Fanatismus der Bürger auf das
Aeußerste zu steigern. Die Frauen kleideten sich in Schwarz und gingen in
Kapuzen verhüllt, Männer und Frauen trugen ihren Ueberfluß, ihr Ge¬
schmeide, ihre Kleider herbei, um es zum Verkauf nach Venedig zu schicken
und aus dem Erlös die Truppen des Markgrafen zu bezahlen. Allein der
Krieg ging unglücklich aus. Bussolari mußte capituliren und starb im Ge¬
fängniß. Im November desselben Jahrs zog Galeazzo Visconti in Pavia
ein und herrschte von da an unumschränkt über die Stadt.

Diese Phänomene sind wie die rohen Skizzen, welche die Natur ver¬
suchsweise hinwarf, um wieder ein Jahrhundert später aus edleren Stoff die
Gestalt des Mönchs von San Marco zu bilden. An Jene erinnert Savona-
rola zunächst, obwohl er sie unendlich überragt. Schon daß der Schauplatz
seiner reformatorischen Thätigkeit Florenz ist, das Florenz des 15. Jahr¬
hunderts, hebt ihn aus den engen Grenzen einer Stadt hinaus auf die Scene
der Weltgeschichte. Nicht ziellose Städtefehden sind der Boden, auf dem sich
seine Persönlichkeit erhebt: mitten in der blühenden Renaissance steht der
düstere von innerem Feuer verzehrte Prediger auf. durch seinen Willen ver¬
wandeln sich die lustigen Lieder der Florentiner in ernste Bußgesänge, Platon's
und Aristoteles' Schüler werfen sich vor dem Kreuze nieder, durch sein Wort
allein beherrscht er ein Gemeinwesen, wo Politik die Beschäftigung und Leiden¬
schaft Aller war, er ist die Seele einer Verfassung, die ihn überlebt und von
den größten Geschichtschreibern als ein Muster gepriesen wird, und die Un¬
abhängigkeit seiner Seele reißt den, der ewigen Gehorsam geschworen, fort


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/94>, abgerufen am 28.09.2024.