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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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ihre Verwandtschaft mit den Ideen der Zukunft verrathen, für die sie als
Märtyrer mit ihrem Blute zeugen.

Man glaubt schrittweis verfolgen zu können, wie im Lauf der Jahr¬
hunderte die typische Gestalt dieses politischen Klosterbruders aus dem Rohen
sich herausarbeitet. Im dreizehnten Jahrhundert begegnet uns eine Figur
dieser Art in dem Dominicaner Johann sabio aus Vicenza. Er hatte als
Prediger zu Bologna einen ganz außerordentlichen Ruf erlangt, unzählige
Versöhnungen hatte er bewirkt, so heftig wußte er gegen den Wucher zu
predigen, daß das eifrige Volk weglief und das Haus eines verhaßten Wechs¬
lers zerstörte, und so groß war sein Ansehen, daß er Vollmacht erhielt, die
Gesetze nach seiner Meinung abzuändern. Auf seine eindringlichen Mah¬
nungen legten die Weiber ihren Schmuck ab und verschleierten sich züchtig,
Kinder und Erwachsene folgten schaarenweise dem wunderthätigen Mann,
denn binnen kurzer Zeit hatte er 200 Mirakel gethan und 10 Todte auf¬
erweckt. Diesen Mann ersah sich der Papst, um in der trevisanischen
Mark Friede zu stiften, wo damals heftige Fehde zwischen Ezzelin von
Romano und den lombardischen Städten tobte. Er erschien, ging von Dorf
zu Dorf, überall Friede predigend, und auf einer großen Volksversammlung
in der Ebene von Paquara bei Verona (August 1233). wo 400.000 Men¬
schen erschienen waren, die alle durch ein Wunder jedes seiner Worte ver¬
nahmen, machte er mit seiner Versöhnungspredigt so gewaltigen Eindruck,
daß Alles sich weinend in die Arme stürzte und ein ewiger Friede durch den
Gottesgesandten gesichert schien. Freilich dauerte der Friede kaum einen
Monat. Inzwischen war es ihm gelungen, sich in Vicenza nicht nur in den
Rath wählen, sondern sogar als Graf und Herzog der Stadt anerkennen
zu lassen, und nun fing er an, die Gesetze nach Willkür abzuändern und
Alles nach seinem mönchisch-christlichen Ideal zu reformiren. Kein Wunder,
daß dem Jubel bald das Mißvergnügen folgte. Als er nach Verona gerufen
wurde, um dort gleichfalls die Stadt zu reformiren -- was er damit begann,
daß er 60 Ketzer verbrennen ließ -- fand er bei seiner Rückkehr nach Vicenza
bewaffneten Widerstand; er wurde gefangen, wieder freigegeben; aber sein
Einfluß war erloschen, er verfiel dem Spott. Von Allem was er beschlossen,
sagt der Chronist, blieb Nichts bestehen, und als er später als Reformator
nach Florenz gehen wollte, ließen ihm die Florentiner sagen, er möge zu
Hause bleiben, denn ihre Stadt sei sehr volkreich und habe nicht Platz für
alle die Todten, welche er auserwecke.

Ein Jahrhundert später spielte in der Stadt Pavia der Augustinermönch
Jacob Bussolart eine bedeutende kirchlich-politische Rolle. Er erwarb sich als
Prediger einen ungeheuren Ruf; Alles wollte den Frate Jacopo hören, der
erstaunlich wider die Laster der Zeit, wider den Wucher und die üppigen


ihre Verwandtschaft mit den Ideen der Zukunft verrathen, für die sie als
Märtyrer mit ihrem Blute zeugen.

Man glaubt schrittweis verfolgen zu können, wie im Lauf der Jahr¬
hunderte die typische Gestalt dieses politischen Klosterbruders aus dem Rohen
sich herausarbeitet. Im dreizehnten Jahrhundert begegnet uns eine Figur
dieser Art in dem Dominicaner Johann sabio aus Vicenza. Er hatte als
Prediger zu Bologna einen ganz außerordentlichen Ruf erlangt, unzählige
Versöhnungen hatte er bewirkt, so heftig wußte er gegen den Wucher zu
predigen, daß das eifrige Volk weglief und das Haus eines verhaßten Wechs¬
lers zerstörte, und so groß war sein Ansehen, daß er Vollmacht erhielt, die
Gesetze nach seiner Meinung abzuändern. Auf seine eindringlichen Mah¬
nungen legten die Weiber ihren Schmuck ab und verschleierten sich züchtig,
Kinder und Erwachsene folgten schaarenweise dem wunderthätigen Mann,
denn binnen kurzer Zeit hatte er 200 Mirakel gethan und 10 Todte auf¬
erweckt. Diesen Mann ersah sich der Papst, um in der trevisanischen
Mark Friede zu stiften, wo damals heftige Fehde zwischen Ezzelin von
Romano und den lombardischen Städten tobte. Er erschien, ging von Dorf
zu Dorf, überall Friede predigend, und auf einer großen Volksversammlung
in der Ebene von Paquara bei Verona (August 1233). wo 400.000 Men¬
schen erschienen waren, die alle durch ein Wunder jedes seiner Worte ver¬
nahmen, machte er mit seiner Versöhnungspredigt so gewaltigen Eindruck,
daß Alles sich weinend in die Arme stürzte und ein ewiger Friede durch den
Gottesgesandten gesichert schien. Freilich dauerte der Friede kaum einen
Monat. Inzwischen war es ihm gelungen, sich in Vicenza nicht nur in den
Rath wählen, sondern sogar als Graf und Herzog der Stadt anerkennen
zu lassen, und nun fing er an, die Gesetze nach Willkür abzuändern und
Alles nach seinem mönchisch-christlichen Ideal zu reformiren. Kein Wunder,
daß dem Jubel bald das Mißvergnügen folgte. Als er nach Verona gerufen
wurde, um dort gleichfalls die Stadt zu reformiren — was er damit begann,
daß er 60 Ketzer verbrennen ließ — fand er bei seiner Rückkehr nach Vicenza
bewaffneten Widerstand; er wurde gefangen, wieder freigegeben; aber sein
Einfluß war erloschen, er verfiel dem Spott. Von Allem was er beschlossen,
sagt der Chronist, blieb Nichts bestehen, und als er später als Reformator
nach Florenz gehen wollte, ließen ihm die Florentiner sagen, er möge zu
Hause bleiben, denn ihre Stadt sei sehr volkreich und habe nicht Platz für
alle die Todten, welche er auserwecke.

Ein Jahrhundert später spielte in der Stadt Pavia der Augustinermönch
Jacob Bussolart eine bedeutende kirchlich-politische Rolle. Er erwarb sich als
Prediger einen ungeheuren Ruf; Alles wollte den Frate Jacopo hören, der
erstaunlich wider die Laster der Zeit, wider den Wucher und die üppigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/93>, abgerufen am 28.09.2024.