Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dessen Kanzel ein dicker Küster mit einer Brille, und man muß gestehn, daß
dieser wie mehrere Küster etwas Lachenerregendes an sich hatte. Helmersen
hatte sich zu Hause den Brustknochen einer Gans mit einem Sprungfaden
zubereitet, und als Jener im besten Singen war, ließ er seinen Knochen so
geschickt los, daß er über die Gemeinde weg des Küsters Nase berührte und
diesen aus aller Fassung sowie die Gemeinde aus ihrer Andacht brachte.

Dies war allerdings ein unanständiger Streich. Aber durch wahren
Witz aus erfinderischen Kopfe und gutem Herzen wurde mancher Lehrer,
mancher Student von seinen Schwachheiten zurückgerufen. -- Ein kluger
Lehrer weiß durch guten Einfall auch einem drohenden Studentenauszuge zu
begegnen. Mehr als hundert Studenten verlangten einmal von dem alten
Rector Bortz eine ungehörige Bewilligung. Dieser Alte sah sie von ferne
kommen und setzte sich an einen Tisch der mit Schreibzeug versehen war.
Die Masse trat ein und an ihrer Spitze der Sprecher. Der Alte bat diesen
Letzteren ruhig, seine Forderung mit seinem Namen niederzuschreiben. Das
machte Bedenken; der-Sprecher fragte, ob die Andern mit unterschreiben
wollten, aber Keiner machte den Anfang und die Schaar zog, die Sache
besser überlegend, davon.

Die gute Meinung vieler Studenten, besonders der Sachsen, erkannte
ich bei verschiedenen Ereignissen, am meisten aber bei einem Aufzuge. Eines
Tages, als ich in meinem Zimmer arbeitete, traten mehr als zwölf aus¬
gezeichnete junge Leute herein. Kaum hatte ich einige von ihnen als säch¬
sische Studenten erkannt, als Einer sagte: er und seine Landsleute bäten mich,
ihnen zu einem Aufzuge die Hand zu bieten und ihr Anführer zu werden,
indem sie die Absicht hätten, dem alten Doctor der Theologie und Rector
Bursch er für seine Wohlthätigkeit gegen so viele arme Studenten einen
Beweis von Achtung zu bringen. Ich dankte für diesen schmeichelhaften An-
trag und wollte gerne Theil nehmen, wenn sie einen älteren Studenten
zum Anführer wählten. Die Herren aber drangen so ernstlich in mich, daß
ich ihnen zusagte; nur bat ich sie mir einen Compagnon beizulegen, mit
welchem ich den Auftrag übernehmen könnte, und so gaben sie mir diesen
gleich in der Person des Herrn Mie. welcher Sohn eines soliden Hauses in
Hamburg und einer der ältesten und bravsten Studenten in Leipzig war.

Wir legten den Plan militärisch an; wir bestimmten 3 Colonnen,
in welche gegen 1S00 Studenten vertheilt wurden. Ein jeder Anführer,
unter denen ich die erste Colonne hatte, war von 2 Generaladjutanten und
24 Flügeladjutanten begleitet, jede Colonne hatte ihr eigenes Corps Musik
und einen Beschließer in Uniform. Vor der ersten Colonne sollte ein Redner
gehen, begleitet von 12 Marschällen, schwarz gekleidet; ihm folgte der Träger
eines dem Dr. Burscher zu verfertigenden Gedichts, welches ihm in dieser


dessen Kanzel ein dicker Küster mit einer Brille, und man muß gestehn, daß
dieser wie mehrere Küster etwas Lachenerregendes an sich hatte. Helmersen
hatte sich zu Hause den Brustknochen einer Gans mit einem Sprungfaden
zubereitet, und als Jener im besten Singen war, ließ er seinen Knochen so
geschickt los, daß er über die Gemeinde weg des Küsters Nase berührte und
diesen aus aller Fassung sowie die Gemeinde aus ihrer Andacht brachte.

Dies war allerdings ein unanständiger Streich. Aber durch wahren
Witz aus erfinderischen Kopfe und gutem Herzen wurde mancher Lehrer,
mancher Student von seinen Schwachheiten zurückgerufen. — Ein kluger
Lehrer weiß durch guten Einfall auch einem drohenden Studentenauszuge zu
begegnen. Mehr als hundert Studenten verlangten einmal von dem alten
Rector Bortz eine ungehörige Bewilligung. Dieser Alte sah sie von ferne
kommen und setzte sich an einen Tisch der mit Schreibzeug versehen war.
Die Masse trat ein und an ihrer Spitze der Sprecher. Der Alte bat diesen
Letzteren ruhig, seine Forderung mit seinem Namen niederzuschreiben. Das
machte Bedenken; der-Sprecher fragte, ob die Andern mit unterschreiben
wollten, aber Keiner machte den Anfang und die Schaar zog, die Sache
besser überlegend, davon.

Die gute Meinung vieler Studenten, besonders der Sachsen, erkannte
ich bei verschiedenen Ereignissen, am meisten aber bei einem Aufzuge. Eines
Tages, als ich in meinem Zimmer arbeitete, traten mehr als zwölf aus¬
gezeichnete junge Leute herein. Kaum hatte ich einige von ihnen als säch¬
sische Studenten erkannt, als Einer sagte: er und seine Landsleute bäten mich,
ihnen zu einem Aufzuge die Hand zu bieten und ihr Anführer zu werden,
indem sie die Absicht hätten, dem alten Doctor der Theologie und Rector
Bursch er für seine Wohlthätigkeit gegen so viele arme Studenten einen
Beweis von Achtung zu bringen. Ich dankte für diesen schmeichelhaften An-
trag und wollte gerne Theil nehmen, wenn sie einen älteren Studenten
zum Anführer wählten. Die Herren aber drangen so ernstlich in mich, daß
ich ihnen zusagte; nur bat ich sie mir einen Compagnon beizulegen, mit
welchem ich den Auftrag übernehmen könnte, und so gaben sie mir diesen
gleich in der Person des Herrn Mie. welcher Sohn eines soliden Hauses in
Hamburg und einer der ältesten und bravsten Studenten in Leipzig war.

Wir legten den Plan militärisch an; wir bestimmten 3 Colonnen,
in welche gegen 1S00 Studenten vertheilt wurden. Ein jeder Anführer,
unter denen ich die erste Colonne hatte, war von 2 Generaladjutanten und
24 Flügeladjutanten begleitet, jede Colonne hatte ihr eigenes Corps Musik
und einen Beschließer in Uniform. Vor der ersten Colonne sollte ein Redner
gehen, begleitet von 12 Marschällen, schwarz gekleidet; ihm folgte der Träger
eines dem Dr. Burscher zu verfertigenden Gedichts, welches ihm in dieser


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120250"/>
          <p xml:id="ID_164" prev="#ID_163"> dessen Kanzel ein dicker Küster mit einer Brille, und man muß gestehn, daß<lb/>
dieser wie mehrere Küster etwas Lachenerregendes an sich hatte. Helmersen<lb/>
hatte sich zu Hause den Brustknochen einer Gans mit einem Sprungfaden<lb/>
zubereitet, und als Jener im besten Singen war, ließ er seinen Knochen so<lb/>
geschickt los, daß er über die Gemeinde weg des Küsters Nase berührte und<lb/>
diesen aus aller Fassung sowie die Gemeinde aus ihrer Andacht brachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_165"> Dies war allerdings ein unanständiger Streich. Aber durch wahren<lb/>
Witz aus erfinderischen Kopfe und gutem Herzen wurde mancher Lehrer,<lb/>
mancher Student von seinen Schwachheiten zurückgerufen. &#x2014; Ein kluger<lb/>
Lehrer weiß durch guten Einfall auch einem drohenden Studentenauszuge zu<lb/>
begegnen. Mehr als hundert Studenten verlangten einmal von dem alten<lb/>
Rector Bortz eine ungehörige Bewilligung. Dieser Alte sah sie von ferne<lb/>
kommen und setzte sich an einen Tisch der mit Schreibzeug versehen war.<lb/>
Die Masse trat ein und an ihrer Spitze der Sprecher. Der Alte bat diesen<lb/>
Letzteren ruhig, seine Forderung mit seinem Namen niederzuschreiben. Das<lb/>
machte Bedenken; der-Sprecher fragte, ob die Andern mit unterschreiben<lb/>
wollten, aber Keiner machte den Anfang und die Schaar zog, die Sache<lb/>
besser überlegend, davon.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_166"> Die gute Meinung vieler Studenten, besonders der Sachsen, erkannte<lb/>
ich bei verschiedenen Ereignissen, am meisten aber bei einem Aufzuge. Eines<lb/>
Tages, als ich in meinem Zimmer arbeitete, traten mehr als zwölf aus¬<lb/>
gezeichnete junge Leute herein. Kaum hatte ich einige von ihnen als säch¬<lb/>
sische Studenten erkannt, als Einer sagte: er und seine Landsleute bäten mich,<lb/>
ihnen zu einem Aufzuge die Hand zu bieten und ihr Anführer zu werden,<lb/>
indem sie die Absicht hätten, dem alten Doctor der Theologie und Rector<lb/>
Bursch er für seine Wohlthätigkeit gegen so viele arme Studenten einen<lb/>
Beweis von Achtung zu bringen. Ich dankte für diesen schmeichelhaften An-<lb/>
trag und wollte gerne Theil nehmen, wenn sie einen älteren Studenten<lb/>
zum Anführer wählten. Die Herren aber drangen so ernstlich in mich, daß<lb/>
ich ihnen zusagte; nur bat ich sie mir einen Compagnon beizulegen, mit<lb/>
welchem ich den Auftrag übernehmen könnte, und so gaben sie mir diesen<lb/>
gleich in der Person des Herrn Mie. welcher Sohn eines soliden Hauses in<lb/>
Hamburg und einer der ältesten und bravsten Studenten in Leipzig war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_167" next="#ID_168"> Wir legten den Plan militärisch an; wir bestimmten 3 Colonnen,<lb/>
in welche gegen 1S00 Studenten vertheilt wurden. Ein jeder Anführer,<lb/>
unter denen ich die erste Colonne hatte, war von 2 Generaladjutanten und<lb/>
24 Flügeladjutanten begleitet, jede Colonne hatte ihr eigenes Corps Musik<lb/>
und einen Beschließer in Uniform. Vor der ersten Colonne sollte ein Redner<lb/>
gehen, begleitet von 12 Marschällen, schwarz gekleidet; ihm folgte der Träger<lb/>
eines dem Dr. Burscher zu verfertigenden Gedichts, welches ihm in dieser</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] dessen Kanzel ein dicker Küster mit einer Brille, und man muß gestehn, daß dieser wie mehrere Küster etwas Lachenerregendes an sich hatte. Helmersen hatte sich zu Hause den Brustknochen einer Gans mit einem Sprungfaden zubereitet, und als Jener im besten Singen war, ließ er seinen Knochen so geschickt los, daß er über die Gemeinde weg des Küsters Nase berührte und diesen aus aller Fassung sowie die Gemeinde aus ihrer Andacht brachte. Dies war allerdings ein unanständiger Streich. Aber durch wahren Witz aus erfinderischen Kopfe und gutem Herzen wurde mancher Lehrer, mancher Student von seinen Schwachheiten zurückgerufen. — Ein kluger Lehrer weiß durch guten Einfall auch einem drohenden Studentenauszuge zu begegnen. Mehr als hundert Studenten verlangten einmal von dem alten Rector Bortz eine ungehörige Bewilligung. Dieser Alte sah sie von ferne kommen und setzte sich an einen Tisch der mit Schreibzeug versehen war. Die Masse trat ein und an ihrer Spitze der Sprecher. Der Alte bat diesen Letzteren ruhig, seine Forderung mit seinem Namen niederzuschreiben. Das machte Bedenken; der-Sprecher fragte, ob die Andern mit unterschreiben wollten, aber Keiner machte den Anfang und die Schaar zog, die Sache besser überlegend, davon. Die gute Meinung vieler Studenten, besonders der Sachsen, erkannte ich bei verschiedenen Ereignissen, am meisten aber bei einem Aufzuge. Eines Tages, als ich in meinem Zimmer arbeitete, traten mehr als zwölf aus¬ gezeichnete junge Leute herein. Kaum hatte ich einige von ihnen als säch¬ sische Studenten erkannt, als Einer sagte: er und seine Landsleute bäten mich, ihnen zu einem Aufzuge die Hand zu bieten und ihr Anführer zu werden, indem sie die Absicht hätten, dem alten Doctor der Theologie und Rector Bursch er für seine Wohlthätigkeit gegen so viele arme Studenten einen Beweis von Achtung zu bringen. Ich dankte für diesen schmeichelhaften An- trag und wollte gerne Theil nehmen, wenn sie einen älteren Studenten zum Anführer wählten. Die Herren aber drangen so ernstlich in mich, daß ich ihnen zusagte; nur bat ich sie mir einen Compagnon beizulegen, mit welchem ich den Auftrag übernehmen könnte, und so gaben sie mir diesen gleich in der Person des Herrn Mie. welcher Sohn eines soliden Hauses in Hamburg und einer der ältesten und bravsten Studenten in Leipzig war. Wir legten den Plan militärisch an; wir bestimmten 3 Colonnen, in welche gegen 1S00 Studenten vertheilt wurden. Ein jeder Anführer, unter denen ich die erste Colonne hatte, war von 2 Generaladjutanten und 24 Flügeladjutanten begleitet, jede Colonne hatte ihr eigenes Corps Musik und einen Beschließer in Uniform. Vor der ersten Colonne sollte ein Redner gehen, begleitet von 12 Marschällen, schwarz gekleidet; ihm folgte der Träger eines dem Dr. Burscher zu verfertigenden Gedichts, welches ihm in dieser

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/61>, abgerufen am 28.09.2024.