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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Volksgefühl machen aus dem ehemaligen braven Burschen, aus dem Renom¬
misten einen Nationalisirten, einen Weltbürger, einen Citoyen, einen deutschen
Bauern, einen Demokraten. Ein Jeder glaubt das Vaterland retten zu müs¬
sen, und anstatt daß der ehemalige Student brav für seine Person, für seine
Landsmannschaft war und deshalb einen guten Hieber, lange Sporen und
Kasket trug, hat er nunmehr einen weiten altmodischen Rock, herunterhängen¬
des oft unausgekämmtes Haar, eine schlaffe Mütze und einen Wanderstab.

Es ist leider in den Jahren der Studentenfreiheit nicht selten, daß junge
Männer, durch Beispiel und Leidenschaft hingerissen, sich von den Besseren abson¬
dern und dem Laster und der Schwelgerei ergeben. Dennoch war in den
drei Jahren von 1780--82, wo Leipzig zwischen 1600 und 1700 Studenten
zählte, kein einziger recht schlechter Mensch zu bemerken, aber viele brave,
gute und schöne Leute.

Zu meiner Zeit bestand unsere Landsmannschaft aus etwa dreißig Liv-,
Esth- und Kurländern. Die Meisten von uns studirten Rechtswissenschaft,
Wir hielten zusammen, doch ohne großes Aufsehen zu erregen, bis Graf
Siepers sich einfand, der als russischer Gardelieutenant die Universität besuchte,
um sich von einem angeknüpften Ehebündniß los zu machen, und sich deshalb
ein Jahr in Leipzig und ebenso lange in Dresden und Berlin aufhielt. Dieser
war locker und schwelgte gern. Er zog Manche in seine Banquets, und
da er mich einmal fast gewaltsam nöthigen wollte, ein Punsch- und Sauf-
gelag gegen Mitternacht zu geben, und ich ihm sehr bestimmt und fest er¬
klärte, daß ich mich nicht zwingen ließe, forderte er mich aus und wir schlu¬
gen uns den andern Morgen in Apels Garten im Duell. -- Wir hieben uns
lange ohne Erfolg, bis ich ihm einen Hieb auf seinen großen Hut versetzte
und er mich in den Finger hieb, sodaß die Secundärem die Affaire be¬
endigten.

Dieser Graf Carl Siepers, Majoratsherr der Lagena'schen Güter, war in
Se. Petersburg erzogen. Der Ort und seine Wohlhabenheit hatten seinen guten
Anlagen keine gute Richtung gegeben. -- Eine Aetrice, Madame Spengler,
fesselte ihn in Leipzig und raubte ihm seine Zeit und sein Geld. Er hatte
Sprach-, Musik- und Zeichen-Lehrer, bei denen er nur die ersten Stunden
arbeitete, sie aber alle dejouriren ließ bis der Monat um war. Als Stu¬
dent nahm er blos privatissima, die er kaum eine Woche besuchte; alsdann
ließ er einen andern armen Studenten für sich hingehen, welches der stolze
Platner nicht wenig übel nahm. Uebrigens lebte er gesellig und gut, gab
Concerte, indem er nicht übel Clarinette und Violine spielte, und suchte sich
auf mannigfaltige Weise zu zerstreuen. Er war es, der uns zuerst zu einer
Landsmannschaft verleitete; wir hatten Zusammenkünfte gemeiniglich bei der
Punschschale oder in der Maurerversammlung, in welcher er zu Se. Peters-


Volksgefühl machen aus dem ehemaligen braven Burschen, aus dem Renom¬
misten einen Nationalisirten, einen Weltbürger, einen Citoyen, einen deutschen
Bauern, einen Demokraten. Ein Jeder glaubt das Vaterland retten zu müs¬
sen, und anstatt daß der ehemalige Student brav für seine Person, für seine
Landsmannschaft war und deshalb einen guten Hieber, lange Sporen und
Kasket trug, hat er nunmehr einen weiten altmodischen Rock, herunterhängen¬
des oft unausgekämmtes Haar, eine schlaffe Mütze und einen Wanderstab.

Es ist leider in den Jahren der Studentenfreiheit nicht selten, daß junge
Männer, durch Beispiel und Leidenschaft hingerissen, sich von den Besseren abson¬
dern und dem Laster und der Schwelgerei ergeben. Dennoch war in den
drei Jahren von 1780—82, wo Leipzig zwischen 1600 und 1700 Studenten
zählte, kein einziger recht schlechter Mensch zu bemerken, aber viele brave,
gute und schöne Leute.

Zu meiner Zeit bestand unsere Landsmannschaft aus etwa dreißig Liv-,
Esth- und Kurländern. Die Meisten von uns studirten Rechtswissenschaft,
Wir hielten zusammen, doch ohne großes Aufsehen zu erregen, bis Graf
Siepers sich einfand, der als russischer Gardelieutenant die Universität besuchte,
um sich von einem angeknüpften Ehebündniß los zu machen, und sich deshalb
ein Jahr in Leipzig und ebenso lange in Dresden und Berlin aufhielt. Dieser
war locker und schwelgte gern. Er zog Manche in seine Banquets, und
da er mich einmal fast gewaltsam nöthigen wollte, ein Punsch- und Sauf-
gelag gegen Mitternacht zu geben, und ich ihm sehr bestimmt und fest er¬
klärte, daß ich mich nicht zwingen ließe, forderte er mich aus und wir schlu¬
gen uns den andern Morgen in Apels Garten im Duell. — Wir hieben uns
lange ohne Erfolg, bis ich ihm einen Hieb auf seinen großen Hut versetzte
und er mich in den Finger hieb, sodaß die Secundärem die Affaire be¬
endigten.

Dieser Graf Carl Siepers, Majoratsherr der Lagena'schen Güter, war in
Se. Petersburg erzogen. Der Ort und seine Wohlhabenheit hatten seinen guten
Anlagen keine gute Richtung gegeben. — Eine Aetrice, Madame Spengler,
fesselte ihn in Leipzig und raubte ihm seine Zeit und sein Geld. Er hatte
Sprach-, Musik- und Zeichen-Lehrer, bei denen er nur die ersten Stunden
arbeitete, sie aber alle dejouriren ließ bis der Monat um war. Als Stu¬
dent nahm er blos privatissima, die er kaum eine Woche besuchte; alsdann
ließ er einen andern armen Studenten für sich hingehen, welches der stolze
Platner nicht wenig übel nahm. Uebrigens lebte er gesellig und gut, gab
Concerte, indem er nicht übel Clarinette und Violine spielte, und suchte sich
auf mannigfaltige Weise zu zerstreuen. Er war es, der uns zuerst zu einer
Landsmannschaft verleitete; wir hatten Zusammenkünfte gemeiniglich bei der
Punschschale oder in der Maurerversammlung, in welcher er zu Se. Peters-


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[0055] Volksgefühl machen aus dem ehemaligen braven Burschen, aus dem Renom¬ misten einen Nationalisirten, einen Weltbürger, einen Citoyen, einen deutschen Bauern, einen Demokraten. Ein Jeder glaubt das Vaterland retten zu müs¬ sen, und anstatt daß der ehemalige Student brav für seine Person, für seine Landsmannschaft war und deshalb einen guten Hieber, lange Sporen und Kasket trug, hat er nunmehr einen weiten altmodischen Rock, herunterhängen¬ des oft unausgekämmtes Haar, eine schlaffe Mütze und einen Wanderstab. Es ist leider in den Jahren der Studentenfreiheit nicht selten, daß junge Männer, durch Beispiel und Leidenschaft hingerissen, sich von den Besseren abson¬ dern und dem Laster und der Schwelgerei ergeben. Dennoch war in den drei Jahren von 1780—82, wo Leipzig zwischen 1600 und 1700 Studenten zählte, kein einziger recht schlechter Mensch zu bemerken, aber viele brave, gute und schöne Leute. Zu meiner Zeit bestand unsere Landsmannschaft aus etwa dreißig Liv-, Esth- und Kurländern. Die Meisten von uns studirten Rechtswissenschaft, Wir hielten zusammen, doch ohne großes Aufsehen zu erregen, bis Graf Siepers sich einfand, der als russischer Gardelieutenant die Universität besuchte, um sich von einem angeknüpften Ehebündniß los zu machen, und sich deshalb ein Jahr in Leipzig und ebenso lange in Dresden und Berlin aufhielt. Dieser war locker und schwelgte gern. Er zog Manche in seine Banquets, und da er mich einmal fast gewaltsam nöthigen wollte, ein Punsch- und Sauf- gelag gegen Mitternacht zu geben, und ich ihm sehr bestimmt und fest er¬ klärte, daß ich mich nicht zwingen ließe, forderte er mich aus und wir schlu¬ gen uns den andern Morgen in Apels Garten im Duell. — Wir hieben uns lange ohne Erfolg, bis ich ihm einen Hieb auf seinen großen Hut versetzte und er mich in den Finger hieb, sodaß die Secundärem die Affaire be¬ endigten. Dieser Graf Carl Siepers, Majoratsherr der Lagena'schen Güter, war in Se. Petersburg erzogen. Der Ort und seine Wohlhabenheit hatten seinen guten Anlagen keine gute Richtung gegeben. — Eine Aetrice, Madame Spengler, fesselte ihn in Leipzig und raubte ihm seine Zeit und sein Geld. Er hatte Sprach-, Musik- und Zeichen-Lehrer, bei denen er nur die ersten Stunden arbeitete, sie aber alle dejouriren ließ bis der Monat um war. Als Stu¬ dent nahm er blos privatissima, die er kaum eine Woche besuchte; alsdann ließ er einen andern armen Studenten für sich hingehen, welches der stolze Platner nicht wenig übel nahm. Uebrigens lebte er gesellig und gut, gab Concerte, indem er nicht übel Clarinette und Violine spielte, und suchte sich auf mannigfaltige Weise zu zerstreuen. Er war es, der uns zuerst zu einer Landsmannschaft verleitete; wir hatten Zusammenkünfte gemeiniglich bei der Punschschale oder in der Maurerversammlung, in welcher er zu Se. Peters-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/55>, abgerufen am 28.09.2024.