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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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gelernt hat, kennt man keine Verlegenheit unter jungen Leuten, mit denen
man durch ein gemeinsames Interesse verbrüdert wird, das keinen Neid er¬
weckt. Ich war ein guter Compagnon und in verschiedenen Gesellschaften
gerne gesehen. Viele, die einige Jahre jünger als ich und mit der Erscheinung
ihres Bartes noch im Streite lagen, konnten ihre Blödigkeit nicht bergen
und wären auf anderen Universitäten für ausgemachte Füchse erklärt worden,
bis sie sich ein oder mehrmal duellirt hätten.

Ueberhaupt war in Leipzig der Studententon feiner und unverdorbener,
denn diese Stadt ist nicht blos Musensitz. -- Ihre Lage als Handelsstadt,
die Nähe von Dresden, der Besuch der Fremden, die Durchreise der Großen
und die sehr anständig dort lebende französische Colonie haben diese kleine
Stadt zu einer der cultivirtesten in Deutschland erhoben. Der beträchtliche
in ganz Europa bekannte Buchhandel, die Bibliothek, die Menge der Anti¬
quare, die vortrefflichen dresdner Schauspieler, unter welchen ein Reineke
und Opitz wenig ähnliche Nachfolger haben werden, gaben Leipzig einen
Werth auch für den Gelehrten, Künstler und gebildeten Menschen.

Alle diese Vortheile mußten auch auf den Studenten wirken und dieser
Stadt einen Vorzug zugestehen vor anderen Universitäten, unter welchen einige
nur in Dörfern, Kegelbahnen und Wirthshäusern Erholung zuließen.

In drei Jahren lernt man eine Menschenclasse, besonders das Studenten¬
wesen kennen; für Diejenigen, die keine Universität besucht haben, finde ich es
hier nicht ungelegen, meine Idee vom Studenten zu sagen. --

Dieser ist eine eigene unverkennbar von sich eingenommene Person. --
Seine Verhältnisse berechtigen ihn, sich in seinem Werthe zu fühlen, und er
dünkt sich glücklicher als ein Staatsmann und Excellenz, weil er auf dem
Wege ist, Beide dereinst einholen zu können. Die Idee selner Unabhängigkeit,
die Freiheit sich seine Lehrer und seine Studien zu wählen, nur sich selbst
hierüber Rechenschaft schuldig zu sein, verbunden mit der übereinstimmenden
Gesinnung seiner Cameraden, gibt ihm ein eigenes Wohlgefühl. In den
schönsten und kräftigsten Jahren seines Lebens, wo sein Kopf so viel Aus¬
gesuchtes auffassen kann, ist er sich seines Glückes, seines Gewinnstes bewußt
und bringt einen freimüthigen Stolz zu Tage, der, so lange er die Sittlich¬
keit nicht beleidigt, auch verzeihlich wird. Man gönnt ihm die kleine Figu-
ration und seine Paraden, man weiß, daß sie nicht bleibend sind und -daß
bei Anstellungen und Berufspflichten sich auch der Studentennacken beugen
und daß er sich seines ehemaligen Großthuns sehr bescheiden erinnern muß.
-- Auffallend ist, daß zu jetziger Zeit -- ich schreibe 40 Jahre später -- die
Studenten eine ganz neue Form angenommen haben. Das Militärische und
Ritterliche hat einem anderen Ideal den Vorrang zugestanden. Die neuen
Regierungssysteme, die neue Philosophie, der Befreiungskrieg, ein allgemeines


gelernt hat, kennt man keine Verlegenheit unter jungen Leuten, mit denen
man durch ein gemeinsames Interesse verbrüdert wird, das keinen Neid er¬
weckt. Ich war ein guter Compagnon und in verschiedenen Gesellschaften
gerne gesehen. Viele, die einige Jahre jünger als ich und mit der Erscheinung
ihres Bartes noch im Streite lagen, konnten ihre Blödigkeit nicht bergen
und wären auf anderen Universitäten für ausgemachte Füchse erklärt worden,
bis sie sich ein oder mehrmal duellirt hätten.

Ueberhaupt war in Leipzig der Studententon feiner und unverdorbener,
denn diese Stadt ist nicht blos Musensitz. — Ihre Lage als Handelsstadt,
die Nähe von Dresden, der Besuch der Fremden, die Durchreise der Großen
und die sehr anständig dort lebende französische Colonie haben diese kleine
Stadt zu einer der cultivirtesten in Deutschland erhoben. Der beträchtliche
in ganz Europa bekannte Buchhandel, die Bibliothek, die Menge der Anti¬
quare, die vortrefflichen dresdner Schauspieler, unter welchen ein Reineke
und Opitz wenig ähnliche Nachfolger haben werden, gaben Leipzig einen
Werth auch für den Gelehrten, Künstler und gebildeten Menschen.

Alle diese Vortheile mußten auch auf den Studenten wirken und dieser
Stadt einen Vorzug zugestehen vor anderen Universitäten, unter welchen einige
nur in Dörfern, Kegelbahnen und Wirthshäusern Erholung zuließen.

In drei Jahren lernt man eine Menschenclasse, besonders das Studenten¬
wesen kennen; für Diejenigen, die keine Universität besucht haben, finde ich es
hier nicht ungelegen, meine Idee vom Studenten zu sagen. —

Dieser ist eine eigene unverkennbar von sich eingenommene Person. —
Seine Verhältnisse berechtigen ihn, sich in seinem Werthe zu fühlen, und er
dünkt sich glücklicher als ein Staatsmann und Excellenz, weil er auf dem
Wege ist, Beide dereinst einholen zu können. Die Idee selner Unabhängigkeit,
die Freiheit sich seine Lehrer und seine Studien zu wählen, nur sich selbst
hierüber Rechenschaft schuldig zu sein, verbunden mit der übereinstimmenden
Gesinnung seiner Cameraden, gibt ihm ein eigenes Wohlgefühl. In den
schönsten und kräftigsten Jahren seines Lebens, wo sein Kopf so viel Aus¬
gesuchtes auffassen kann, ist er sich seines Glückes, seines Gewinnstes bewußt
und bringt einen freimüthigen Stolz zu Tage, der, so lange er die Sittlich¬
keit nicht beleidigt, auch verzeihlich wird. Man gönnt ihm die kleine Figu-
ration und seine Paraden, man weiß, daß sie nicht bleibend sind und -daß
bei Anstellungen und Berufspflichten sich auch der Studentennacken beugen
und daß er sich seines ehemaligen Großthuns sehr bescheiden erinnern muß.
— Auffallend ist, daß zu jetziger Zeit — ich schreibe 40 Jahre später — die
Studenten eine ganz neue Form angenommen haben. Das Militärische und
Ritterliche hat einem anderen Ideal den Vorrang zugestanden. Die neuen
Regierungssysteme, die neue Philosophie, der Befreiungskrieg, ein allgemeines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/54>, abgerufen am 28.09.2024.