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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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der Studenten und doch dabei ein seiner Weltmann, der den Damen die
artigsten Sachen sagte. Seine Unterhaltung belustigte Alt und Jung, er
wußte sich nach der Beschaffenheit seiner Gesellschaft zu erheben und herab¬
zulassen, und ob er gleich nicht mehr jung und von den Blattern sehr be¬
zeichnet war, so hörten und sahen die jungen Damen ihn recht gerne --
und die ältern fanden sich durch ihn besonders geschmeichelt. Die säch-
sischen Minister und Fremde vom Range suchten seine Meinung in häus¬
lichen Gesellschaften half er Sprichwörter und Spiele ausführen, in welchen
er sich bis zu der Verkleidung in ein Frauenzimmer herabließ. Er war
es der mich mit den Lehrern bekannt machte, die ich zu hören hatte. Ich
konnte ihn selbst erst spät benutzen, weil es mir an allen Vorkenntnissen fehlte,
aber in meinem letzten Jahre hörte ich bei ihm den Proceß und arbeitete
im Nelatorium als Privatissimum bei ihm.

Mein erster Professor war Clodius -- ich hörte seine Vorlesungen über
den Cicero und den Horaz. Sein Vortrag war lebhaft mit Laune und An¬
spielungen auf die deutschen Dichter verwebt, der Schluß war eine seiner
eigenen Uebersetzungen aus den horazischen Oden, welche er sehr vortheilhaft
declamirte. Wenn gleich als Dichter nicht von besonderem Rufe, wußte er
seinen römischen Abgott mit so viel Enthusiasmus und Ausdruck zu erheben,
daß ich oft mit Bewunderung und Hochgefühl ihm meine Verehrung
zollte. -- Elodius war ein armer aber gastfreier Mann und ermangelte nicht,
Durchreisende von Stande und auswärtige Gelehrte, die ihn besuchten, bei
sich einzuladen. Eines Tages bat er einen durchreisenden Chevalier aus
Frankreich zu sich, der sehr viel von seinem Vaterlande sprach. Als Clodius,
der sich auf seine Musenstadt auch etwas zu Gute that, fragte, wie ihm denn
^'pz'g gefiele, antwortete dieser Chevalier ganz gleichgiltig: "mais e'LSt un
I>ot.it trou g,8L<Z2 Miculo," Die französische Hintenansetzung einer der be¬
kanntesten Städte Deutschlands zeigt den Charakter dieser von sich und ihrem
Lande eingenommenen Nation und ist mit ihrer Artigkeit im Widerspruch
-- so war der gute Clodius für seine Gastfreundschaft übel belohnt und
verstummte wie geschlagen.

Ich repetirte, schrieb juristische Collegia wegen des darnach eingerichteten
Vortrags nach, bereitete mich vor und galt für einen fleißigen Studenten. --
Einige Erholung und die Stärkung meines schwächlichen Körpers verschaffte
mir die Feast- und Reitschule.

Gleich in den ersten Tagen meiner neuen Lebensart fügte ich mich in
das Studentenverhalten; mein ältliches Gesicht und meine Führung ließ mich
für einen etwa von Göttingen herüber gekommenen Studenten passiren. --
Im 21. Jahre seines Alters, wenn man eine gute Erziehung genossen, wenn
man Se. Petersburg gesehen und Menschen von mehreren Ständen kennen


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der Studenten und doch dabei ein seiner Weltmann, der den Damen die
artigsten Sachen sagte. Seine Unterhaltung belustigte Alt und Jung, er
wußte sich nach der Beschaffenheit seiner Gesellschaft zu erheben und herab¬
zulassen, und ob er gleich nicht mehr jung und von den Blattern sehr be¬
zeichnet war, so hörten und sahen die jungen Damen ihn recht gerne —
und die ältern fanden sich durch ihn besonders geschmeichelt. Die säch-
sischen Minister und Fremde vom Range suchten seine Meinung in häus¬
lichen Gesellschaften half er Sprichwörter und Spiele ausführen, in welchen
er sich bis zu der Verkleidung in ein Frauenzimmer herabließ. Er war
es der mich mit den Lehrern bekannt machte, die ich zu hören hatte. Ich
konnte ihn selbst erst spät benutzen, weil es mir an allen Vorkenntnissen fehlte,
aber in meinem letzten Jahre hörte ich bei ihm den Proceß und arbeitete
im Nelatorium als Privatissimum bei ihm.

Mein erster Professor war Clodius — ich hörte seine Vorlesungen über
den Cicero und den Horaz. Sein Vortrag war lebhaft mit Laune und An¬
spielungen auf die deutschen Dichter verwebt, der Schluß war eine seiner
eigenen Uebersetzungen aus den horazischen Oden, welche er sehr vortheilhaft
declamirte. Wenn gleich als Dichter nicht von besonderem Rufe, wußte er
seinen römischen Abgott mit so viel Enthusiasmus und Ausdruck zu erheben,
daß ich oft mit Bewunderung und Hochgefühl ihm meine Verehrung
zollte. — Elodius war ein armer aber gastfreier Mann und ermangelte nicht,
Durchreisende von Stande und auswärtige Gelehrte, die ihn besuchten, bei
sich einzuladen. Eines Tages bat er einen durchreisenden Chevalier aus
Frankreich zu sich, der sehr viel von seinem Vaterlande sprach. Als Clodius,
der sich auf seine Musenstadt auch etwas zu Gute that, fragte, wie ihm denn
^'pz'g gefiele, antwortete dieser Chevalier ganz gleichgiltig: „mais e'LSt un
I>ot.it trou g,8L<Z2 Miculo," Die französische Hintenansetzung einer der be¬
kanntesten Städte Deutschlands zeigt den Charakter dieser von sich und ihrem
Lande eingenommenen Nation und ist mit ihrer Artigkeit im Widerspruch
— so war der gute Clodius für seine Gastfreundschaft übel belohnt und
verstummte wie geschlagen.

Ich repetirte, schrieb juristische Collegia wegen des darnach eingerichteten
Vortrags nach, bereitete mich vor und galt für einen fleißigen Studenten. —
Einige Erholung und die Stärkung meines schwächlichen Körpers verschaffte
mir die Feast- und Reitschule.

Gleich in den ersten Tagen meiner neuen Lebensart fügte ich mich in
das Studentenverhalten; mein ältliches Gesicht und meine Führung ließ mich
für einen etwa von Göttingen herüber gekommenen Studenten passiren. —
Im 21. Jahre seines Alters, wenn man eine gute Erziehung genossen, wenn
man Se. Petersburg gesehen und Menschen von mehreren Ständen kennen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/53>, abgerufen am 28.09.2024.