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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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über die Sache selbst geht der Kaiser sehr kurz hinweg und die Klagen über
die Verleumdungen der Presse trugen mehr den Charakter des Aergers als
der Empörung. Vollends irrelevant und dazu widerspruchsvoll erscheint aber
das von dem Herrn Verfasser aufgefundene Memoire des Fürsten Colloredo,
welches die Niederschlagung der Untersuchung wenigstens beiläufig zum Gegen¬
stande hat. Daß dasselbe keinerlei gegen die Emigranten sprechende Jn-
dicien enthält, diese nicht einmal direkt beschuldigt, sondern höchstens auf die
Möglichkeit ihrer Theilnahme "hindeutet", geht schon aus dem einfachen Um¬
stände hervor, daß Herr Mendelssohn dasselbe nur sehr flüchtig berührt und
keinen einzigen Passus anzuführen weiß, der darauf hinwiese, daß Colloredo
auch nur entfernte gegen bestimmte Personen gerichtete Jndicien in Händen
gehabt. Unter solchen Umständen können wir absolut nicht verstehe", was
Herrn Mendelssohn zu seiner Apologie der von Wien aus dekretirten Nieder¬
schlagung der Untersuchung berechtigt. "Man war", heißt es S. 66 ff.,
"billig denkend genug, um willenlosen und schwachen Werkzeugen nicht entgelten
zu lassen, was die großen Schuldigen verbrochen hatten". Auf die Gründe,
aus denen Oestreichs Nichtvorgehen gegen die Emigranten erklärt wird, kom¬
men wir später -- gleich hier aber müssen wir fragen, wie von "großen
Schuldigen" die Rede sein kann, wo die Schuldigen überhaupt nicht ermittelt,
nicht einmal Namen genannt sind. Wenn man in Wien gegen gewisse Per¬
sonen nicht vorgehen wollte, so mußten diese Personen doch überhaupt be¬
kannt sein -- davon aber ist in dem angezogenen Wiener Aktenstücken mit
keiner Silbe die Rede. Und fragen wir weiter, kann von schwachen, willen¬
losen Werkzeugen gesprochen werden, wo es sich im günstigsten Fall um
Kapitalverbrechen k. k. Offiziere handelt? Auch wenn wir mit Herrn Mendels¬
sohn annehmen, daß verkleidete Emigranten sich unter die Szekler gemischt
hatten, so bleibt Burkhard (dessen Mitwisserischast Herr Mendelssohn nicht
in Frage stellt) ein Verbrecher; ein Ojfizier, der fremden Vagabunden ge¬
stattet, k. k. Husarenuniform anzulegen und sich zum Behuf eines Mordes
unter seine Leute zu mischen (und das ist bei der mildesten Auffassung ge¬
schehen), wird zu Kriegszeiten von jedem Militärgericht der Welt zum Tode
verurtheilt werden und weder von militairischen noch civilistischen Richtern wegen
"Schwäche und Willenlosigkeit" exculpirt werden können. Mag man aus po¬
litischen Rücksichten im Uebrigen ein Auge zudrücken -- eine so freche Ver¬
letzung der Disciplin darf nicht ungestraft bleiben. Im vorliegenden Falle
würde es sich außerdem aber noch um Barvaczy gehandelt haben; daß man
diesem "aus Billigkeitsrückfichten" sein Regiment gelassen, ohne auch nur
festzustellen, in wie weit er Mitwisser des Geschehenen gewesen, -- das ist zu
unglaublich, um bei kaltem Blut von irgend Jemand geglaubt, geschweige
denn gerechtfertigt werden zu können.


über die Sache selbst geht der Kaiser sehr kurz hinweg und die Klagen über
die Verleumdungen der Presse trugen mehr den Charakter des Aergers als
der Empörung. Vollends irrelevant und dazu widerspruchsvoll erscheint aber
das von dem Herrn Verfasser aufgefundene Memoire des Fürsten Colloredo,
welches die Niederschlagung der Untersuchung wenigstens beiläufig zum Gegen¬
stande hat. Daß dasselbe keinerlei gegen die Emigranten sprechende Jn-
dicien enthält, diese nicht einmal direkt beschuldigt, sondern höchstens auf die
Möglichkeit ihrer Theilnahme „hindeutet", geht schon aus dem einfachen Um¬
stände hervor, daß Herr Mendelssohn dasselbe nur sehr flüchtig berührt und
keinen einzigen Passus anzuführen weiß, der darauf hinwiese, daß Colloredo
auch nur entfernte gegen bestimmte Personen gerichtete Jndicien in Händen
gehabt. Unter solchen Umständen können wir absolut nicht verstehe», was
Herrn Mendelssohn zu seiner Apologie der von Wien aus dekretirten Nieder¬
schlagung der Untersuchung berechtigt. „Man war", heißt es S. 66 ff.,
„billig denkend genug, um willenlosen und schwachen Werkzeugen nicht entgelten
zu lassen, was die großen Schuldigen verbrochen hatten". Auf die Gründe,
aus denen Oestreichs Nichtvorgehen gegen die Emigranten erklärt wird, kom¬
men wir später — gleich hier aber müssen wir fragen, wie von „großen
Schuldigen" die Rede sein kann, wo die Schuldigen überhaupt nicht ermittelt,
nicht einmal Namen genannt sind. Wenn man in Wien gegen gewisse Per¬
sonen nicht vorgehen wollte, so mußten diese Personen doch überhaupt be¬
kannt sein — davon aber ist in dem angezogenen Wiener Aktenstücken mit
keiner Silbe die Rede. Und fragen wir weiter, kann von schwachen, willen¬
losen Werkzeugen gesprochen werden, wo es sich im günstigsten Fall um
Kapitalverbrechen k. k. Offiziere handelt? Auch wenn wir mit Herrn Mendels¬
sohn annehmen, daß verkleidete Emigranten sich unter die Szekler gemischt
hatten, so bleibt Burkhard (dessen Mitwisserischast Herr Mendelssohn nicht
in Frage stellt) ein Verbrecher; ein Ojfizier, der fremden Vagabunden ge¬
stattet, k. k. Husarenuniform anzulegen und sich zum Behuf eines Mordes
unter seine Leute zu mischen (und das ist bei der mildesten Auffassung ge¬
schehen), wird zu Kriegszeiten von jedem Militärgericht der Welt zum Tode
verurtheilt werden und weder von militairischen noch civilistischen Richtern wegen
„Schwäche und Willenlosigkeit" exculpirt werden können. Mag man aus po¬
litischen Rücksichten im Uebrigen ein Auge zudrücken — eine so freche Ver¬
letzung der Disciplin darf nicht ungestraft bleiben. Im vorliegenden Falle
würde es sich außerdem aber noch um Barvaczy gehandelt haben; daß man
diesem „aus Billigkeitsrückfichten" sein Regiment gelassen, ohne auch nur
festzustellen, in wie weit er Mitwisser des Geschehenen gewesen, — das ist zu
unglaublich, um bei kaltem Blut von irgend Jemand geglaubt, geschweige
denn gerechtfertigt werden zu können.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/467>, abgerufen am 28.09.2024.