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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Selbstverwaltung, während man anderwärts die Keime davon erst zu pflegen
hat. Aber die Sacke steht ganz anders. Man höre sich auf unseren Uni¬
versitäten um: Jedermann ist der Ansicht, daß die gegenwärtigen Zustände
unhaltbar seien, daß eine vollständige und gründliche Reform an Haupt und
Gliedern unumgänglich nöthig. Nur über die Art und die Ziele derselben
gehen die Ansichten so weit auseinander, als man einzelne Stimmen hört.
Und nicht blos über Detailfragen, sondern über die eigentlichen Principien.
Da es nun im gewöhnlichen nächsten Interesse der meisten Betheiligten liegt,
die Zustände, die man theoretisch verurtheilt, doch wenigstens noch praktisch
gelten zu lassen, wenn man gar keinen Ausweg sieht, wie man zu anderen
besseren oder doch wenigstens erträglichen gelangen soll, so würde also von
dieser Seite her der solus suo für alle Ewigkeit conservirt bleiben können.
Jeder, der daran rühren wollte, hat das Gefühl, daß der Einsturz des mor¬
schen Gebäudes zugleich eine sehr ernste Gefahr für alles das bedeutet, wo¬
rauf seine äußere Stellung, ja sogar seine Existenz beruht, und dieser Gefahr
setzt sich Niemand" aus, wenn er nicht von außen oder durch die Uebermacht
einer Idee dazu gezwungen wird.

Daß ein solcher Zustand der Würde des Instituts und seiner Vertreter
nicht wol entspreche, dürfte auf der Hand liegen. Aber er hat auch seine
großen praktischen Gefahren in sich. Wenn die Universitäten nach den ein¬
zelnen Köpfen und Stimmen, aus denen sie zusammengesetzt sind, sich selbst
für im höchsten Grade reformbedürftig, aber zugleich für mundtodt erklären,
so wird über kurz oder lang irgend eine außerhalb stehende Kraft sich befugt
oder gar genöthigt glauben, thätlich einzugreifen. Selbst wenn dieses, wie
keineswegs zu erwarten, ganz im Geiste der Universitäten selbst geschähe, so
würde doch im besten Falle die Reform nur octroyirt und damit wahrscheinlich
eine Scheinreform. Aber wer die Zeichen der Zeit beachtet, weiß, daß die¬
jenigen Kreise, welche zunächst sich für befugt halten möchten, die Reform¬
erbschaft der Universitäten anzutreten, die Bureaukraten, keineswegs geneigt
sein dürsten, gerade diejenigen unter ihren berechtigten Eigenthümlichkeiten
zu schonen, welche ihren Nutznießern am meisten ans Herz gewachsen sind
freilich aber auch nicht diejenigen, welche für die gesammte nationale Bildung
am werthvollsten sind, was noch viel mehr besagen will.

In diesem Sinne begrüßen wir'das Buch: "Von deutschen Hoch¬
schulen Allerlei was da ist und was da sein sollte, von einem deutschen Pro¬
fessor" mit herzlicher Freude. Es ist nach langem indolenten Schweigen zum
ersten Mal wieder ein kräftiges und entschiedenes Wort zur Sache, das, wenn
auch nichts weiteres, ganz gewiß den Anstoß zu frischen Discussionen geben
wird. Und diese ist vor allen Dingen nöthig, damit das negative nergeln und
Kritteln aufhöre, mit dem gar Nichts gewonnen und viel verloren wird.


Selbstverwaltung, während man anderwärts die Keime davon erst zu pflegen
hat. Aber die Sacke steht ganz anders. Man höre sich auf unseren Uni¬
versitäten um: Jedermann ist der Ansicht, daß die gegenwärtigen Zustände
unhaltbar seien, daß eine vollständige und gründliche Reform an Haupt und
Gliedern unumgänglich nöthig. Nur über die Art und die Ziele derselben
gehen die Ansichten so weit auseinander, als man einzelne Stimmen hört.
Und nicht blos über Detailfragen, sondern über die eigentlichen Principien.
Da es nun im gewöhnlichen nächsten Interesse der meisten Betheiligten liegt,
die Zustände, die man theoretisch verurtheilt, doch wenigstens noch praktisch
gelten zu lassen, wenn man gar keinen Ausweg sieht, wie man zu anderen
besseren oder doch wenigstens erträglichen gelangen soll, so würde also von
dieser Seite her der solus suo für alle Ewigkeit conservirt bleiben können.
Jeder, der daran rühren wollte, hat das Gefühl, daß der Einsturz des mor¬
schen Gebäudes zugleich eine sehr ernste Gefahr für alles das bedeutet, wo¬
rauf seine äußere Stellung, ja sogar seine Existenz beruht, und dieser Gefahr
setzt sich Niemand« aus, wenn er nicht von außen oder durch die Uebermacht
einer Idee dazu gezwungen wird.

Daß ein solcher Zustand der Würde des Instituts und seiner Vertreter
nicht wol entspreche, dürfte auf der Hand liegen. Aber er hat auch seine
großen praktischen Gefahren in sich. Wenn die Universitäten nach den ein¬
zelnen Köpfen und Stimmen, aus denen sie zusammengesetzt sind, sich selbst
für im höchsten Grade reformbedürftig, aber zugleich für mundtodt erklären,
so wird über kurz oder lang irgend eine außerhalb stehende Kraft sich befugt
oder gar genöthigt glauben, thätlich einzugreifen. Selbst wenn dieses, wie
keineswegs zu erwarten, ganz im Geiste der Universitäten selbst geschähe, so
würde doch im besten Falle die Reform nur octroyirt und damit wahrscheinlich
eine Scheinreform. Aber wer die Zeichen der Zeit beachtet, weiß, daß die¬
jenigen Kreise, welche zunächst sich für befugt halten möchten, die Reform¬
erbschaft der Universitäten anzutreten, die Bureaukraten, keineswegs geneigt
sein dürsten, gerade diejenigen unter ihren berechtigten Eigenthümlichkeiten
zu schonen, welche ihren Nutznießern am meisten ans Herz gewachsen sind
freilich aber auch nicht diejenigen, welche für die gesammte nationale Bildung
am werthvollsten sind, was noch viel mehr besagen will.

In diesem Sinne begrüßen wir'das Buch: „Von deutschen Hoch¬
schulen Allerlei was da ist und was da sein sollte, von einem deutschen Pro¬
fessor" mit herzlicher Freude. Es ist nach langem indolenten Schweigen zum
ersten Mal wieder ein kräftiges und entschiedenes Wort zur Sache, das, wenn
auch nichts weiteres, ganz gewiß den Anstoß zu frischen Discussionen geben
wird. Und diese ist vor allen Dingen nöthig, damit das negative nergeln und
Kritteln aufhöre, mit dem gar Nichts gewonnen und viel verloren wird.


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[0418] Selbstverwaltung, während man anderwärts die Keime davon erst zu pflegen hat. Aber die Sacke steht ganz anders. Man höre sich auf unseren Uni¬ versitäten um: Jedermann ist der Ansicht, daß die gegenwärtigen Zustände unhaltbar seien, daß eine vollständige und gründliche Reform an Haupt und Gliedern unumgänglich nöthig. Nur über die Art und die Ziele derselben gehen die Ansichten so weit auseinander, als man einzelne Stimmen hört. Und nicht blos über Detailfragen, sondern über die eigentlichen Principien. Da es nun im gewöhnlichen nächsten Interesse der meisten Betheiligten liegt, die Zustände, die man theoretisch verurtheilt, doch wenigstens noch praktisch gelten zu lassen, wenn man gar keinen Ausweg sieht, wie man zu anderen besseren oder doch wenigstens erträglichen gelangen soll, so würde also von dieser Seite her der solus suo für alle Ewigkeit conservirt bleiben können. Jeder, der daran rühren wollte, hat das Gefühl, daß der Einsturz des mor¬ schen Gebäudes zugleich eine sehr ernste Gefahr für alles das bedeutet, wo¬ rauf seine äußere Stellung, ja sogar seine Existenz beruht, und dieser Gefahr setzt sich Niemand« aus, wenn er nicht von außen oder durch die Uebermacht einer Idee dazu gezwungen wird. Daß ein solcher Zustand der Würde des Instituts und seiner Vertreter nicht wol entspreche, dürfte auf der Hand liegen. Aber er hat auch seine großen praktischen Gefahren in sich. Wenn die Universitäten nach den ein¬ zelnen Köpfen und Stimmen, aus denen sie zusammengesetzt sind, sich selbst für im höchsten Grade reformbedürftig, aber zugleich für mundtodt erklären, so wird über kurz oder lang irgend eine außerhalb stehende Kraft sich befugt oder gar genöthigt glauben, thätlich einzugreifen. Selbst wenn dieses, wie keineswegs zu erwarten, ganz im Geiste der Universitäten selbst geschähe, so würde doch im besten Falle die Reform nur octroyirt und damit wahrscheinlich eine Scheinreform. Aber wer die Zeichen der Zeit beachtet, weiß, daß die¬ jenigen Kreise, welche zunächst sich für befugt halten möchten, die Reform¬ erbschaft der Universitäten anzutreten, die Bureaukraten, keineswegs geneigt sein dürsten, gerade diejenigen unter ihren berechtigten Eigenthümlichkeiten zu schonen, welche ihren Nutznießern am meisten ans Herz gewachsen sind freilich aber auch nicht diejenigen, welche für die gesammte nationale Bildung am werthvollsten sind, was noch viel mehr besagen will. In diesem Sinne begrüßen wir'das Buch: „Von deutschen Hoch¬ schulen Allerlei was da ist und was da sein sollte, von einem deutschen Pro¬ fessor" mit herzlicher Freude. Es ist nach langem indolenten Schweigen zum ersten Mal wieder ein kräftiges und entschiedenes Wort zur Sache, das, wenn auch nichts weiteres, ganz gewiß den Anstoß zu frischen Discussionen geben wird. Und diese ist vor allen Dingen nöthig, damit das negative nergeln und Kritteln aufhöre, mit dem gar Nichts gewonnen und viel verloren wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/418>, abgerufen am 20.10.2024.