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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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und Manches von dem, was damals als Postulat der Zukunft aufgestellt
worden, inzwischen erreicht. Dazu gehört die größere Annäherung der öst¬
reichisch-deutschen Universitätseinrichtungen an die des Mutterlandes. Bis
zum Beginn der Herrschaft des Bach'schen Ultramontanismus ist dort so viel
und so gründlich in diesem Sinne reformirt worden, daß selbst so resolute
Leute, wie die Schwarzen unter den schwarzgelben es doch nicht vermocht
haben, den deutsch-östreichischen Universitäten, selbst nicht einmal der von
Innsbruck in der Glaubensburg Tirol, den früheren Stempel bloßer Dressir-
cmstalten von Pfaffen und Schreibern wieder aufzudrücken. Es ist dort
überall ein frisches Leben erwacht, dessen Früchte freilich noch nicht gereift
sein können, aber nichtsdestoweniger der Reife entgegengehen. Jenes Pro¬
fessorenparlament von 1848, welches sich soviel Spott gefallen lassen mußte
darf stolz darauf sein, daß die Anregung, dazu direct von ihm aus¬
gegangen ist. Denn gerade seine Mitglieder aus Oestreich waren es, die in die
Heimath zurückgekehrt, die Sache der Reform in seinem Geiste, und anfänglich
auch bestens von der Staatsregierung unterstützt, in die Hand nahmen.
Auch ist Manches im Sinne jener Reformvorschläge umgestaltet, und es wird
sich keine einzige deutsche Universität auffinden lassen, welche nicht diesen oder
jenen offenkundiger Schaden mehr oder minder gründlich abgestellt hätte.
Aber im Ganzen ist doch Alles beim Alten geblieben, und die Verfassung
und das Wesen unserer Universitäten von 1869 zeigt in allen Haupt¬
zügen noch die einstmals so stark angefochtene Physiognomie der Zeit
vor 1848.

Darin läge weiter nichts Auffallendes oder Bedenkliches. Alle mög¬
lichen Ursachen können zur Erklärung eines solchen Stillestehens heran¬
gezogen werden. Man denkt zuerst an unüberwindliche Hindernisse von oben:
aber ein vorurtheilsfreier Beobachter wird bald erkennen, daß solche nicht be¬
stehen, wenn sie vielleicht auch in den Flegeljahren der Reaction bestanden
haben. In so weit die Universitäten für ihre Reformen nur keine besonde¬
ren Ansprüche an den fast überall gleich erschöpften Staatsseckel machen, ist
man den von ihnen formulirten Reformwünschen meist mit Bereitwilligkeit
entgegengekommen, ja man hat von oben her gelegentlich wol auch einmal
und zwar in ganz unverfänglicher Tendenz die Initiative ergriffen. Oder
ist innerhalb der Universitätskörper selbst ein Umschwung in der Auffassung
der eigenen Zustände eingetreten? Ist hier eine conservative Gesinnung,
identisch mit dem Principe der Stabilität zur Herrschaft, oder auch nur zur
Majorität gelangt? Wäre dies der Fall, dann verlangte es der Geist der
auf möglichste Entfaltung der Selbstbestimmung gerichteten Zeit auch diese
Corporationen in ihrem Kreise ruhig gewähren zu lassen. Denn wenn
irgendwo, so gibt es hier noch bedeutende Ueberreste von Selbstregierung und


und Manches von dem, was damals als Postulat der Zukunft aufgestellt
worden, inzwischen erreicht. Dazu gehört die größere Annäherung der öst¬
reichisch-deutschen Universitätseinrichtungen an die des Mutterlandes. Bis
zum Beginn der Herrschaft des Bach'schen Ultramontanismus ist dort so viel
und so gründlich in diesem Sinne reformirt worden, daß selbst so resolute
Leute, wie die Schwarzen unter den schwarzgelben es doch nicht vermocht
haben, den deutsch-östreichischen Universitäten, selbst nicht einmal der von
Innsbruck in der Glaubensburg Tirol, den früheren Stempel bloßer Dressir-
cmstalten von Pfaffen und Schreibern wieder aufzudrücken. Es ist dort
überall ein frisches Leben erwacht, dessen Früchte freilich noch nicht gereift
sein können, aber nichtsdestoweniger der Reife entgegengehen. Jenes Pro¬
fessorenparlament von 1848, welches sich soviel Spott gefallen lassen mußte
darf stolz darauf sein, daß die Anregung, dazu direct von ihm aus¬
gegangen ist. Denn gerade seine Mitglieder aus Oestreich waren es, die in die
Heimath zurückgekehrt, die Sache der Reform in seinem Geiste, und anfänglich
auch bestens von der Staatsregierung unterstützt, in die Hand nahmen.
Auch ist Manches im Sinne jener Reformvorschläge umgestaltet, und es wird
sich keine einzige deutsche Universität auffinden lassen, welche nicht diesen oder
jenen offenkundiger Schaden mehr oder minder gründlich abgestellt hätte.
Aber im Ganzen ist doch Alles beim Alten geblieben, und die Verfassung
und das Wesen unserer Universitäten von 1869 zeigt in allen Haupt¬
zügen noch die einstmals so stark angefochtene Physiognomie der Zeit
vor 1848.

Darin läge weiter nichts Auffallendes oder Bedenkliches. Alle mög¬
lichen Ursachen können zur Erklärung eines solchen Stillestehens heran¬
gezogen werden. Man denkt zuerst an unüberwindliche Hindernisse von oben:
aber ein vorurtheilsfreier Beobachter wird bald erkennen, daß solche nicht be¬
stehen, wenn sie vielleicht auch in den Flegeljahren der Reaction bestanden
haben. In so weit die Universitäten für ihre Reformen nur keine besonde¬
ren Ansprüche an den fast überall gleich erschöpften Staatsseckel machen, ist
man den von ihnen formulirten Reformwünschen meist mit Bereitwilligkeit
entgegengekommen, ja man hat von oben her gelegentlich wol auch einmal
und zwar in ganz unverfänglicher Tendenz die Initiative ergriffen. Oder
ist innerhalb der Universitätskörper selbst ein Umschwung in der Auffassung
der eigenen Zustände eingetreten? Ist hier eine conservative Gesinnung,
identisch mit dem Principe der Stabilität zur Herrschaft, oder auch nur zur
Majorität gelangt? Wäre dies der Fall, dann verlangte es der Geist der
auf möglichste Entfaltung der Selbstbestimmung gerichteten Zeit auch diese
Corporationen in ihrem Kreise ruhig gewähren zu lassen. Denn wenn
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[0417] und Manches von dem, was damals als Postulat der Zukunft aufgestellt worden, inzwischen erreicht. Dazu gehört die größere Annäherung der öst¬ reichisch-deutschen Universitätseinrichtungen an die des Mutterlandes. Bis zum Beginn der Herrschaft des Bach'schen Ultramontanismus ist dort so viel und so gründlich in diesem Sinne reformirt worden, daß selbst so resolute Leute, wie die Schwarzen unter den schwarzgelben es doch nicht vermocht haben, den deutsch-östreichischen Universitäten, selbst nicht einmal der von Innsbruck in der Glaubensburg Tirol, den früheren Stempel bloßer Dressir- cmstalten von Pfaffen und Schreibern wieder aufzudrücken. Es ist dort überall ein frisches Leben erwacht, dessen Früchte freilich noch nicht gereift sein können, aber nichtsdestoweniger der Reife entgegengehen. Jenes Pro¬ fessorenparlament von 1848, welches sich soviel Spott gefallen lassen mußte darf stolz darauf sein, daß die Anregung, dazu direct von ihm aus¬ gegangen ist. Denn gerade seine Mitglieder aus Oestreich waren es, die in die Heimath zurückgekehrt, die Sache der Reform in seinem Geiste, und anfänglich auch bestens von der Staatsregierung unterstützt, in die Hand nahmen. Auch ist Manches im Sinne jener Reformvorschläge umgestaltet, und es wird sich keine einzige deutsche Universität auffinden lassen, welche nicht diesen oder jenen offenkundiger Schaden mehr oder minder gründlich abgestellt hätte. Aber im Ganzen ist doch Alles beim Alten geblieben, und die Verfassung und das Wesen unserer Universitäten von 1869 zeigt in allen Haupt¬ zügen noch die einstmals so stark angefochtene Physiognomie der Zeit vor 1848. Darin läge weiter nichts Auffallendes oder Bedenkliches. Alle mög¬ lichen Ursachen können zur Erklärung eines solchen Stillestehens heran¬ gezogen werden. Man denkt zuerst an unüberwindliche Hindernisse von oben: aber ein vorurtheilsfreier Beobachter wird bald erkennen, daß solche nicht be¬ stehen, wenn sie vielleicht auch in den Flegeljahren der Reaction bestanden haben. In so weit die Universitäten für ihre Reformen nur keine besonde¬ ren Ansprüche an den fast überall gleich erschöpften Staatsseckel machen, ist man den von ihnen formulirten Reformwünschen meist mit Bereitwilligkeit entgegengekommen, ja man hat von oben her gelegentlich wol auch einmal und zwar in ganz unverfänglicher Tendenz die Initiative ergriffen. Oder ist innerhalb der Universitätskörper selbst ein Umschwung in der Auffassung der eigenen Zustände eingetreten? Ist hier eine conservative Gesinnung, identisch mit dem Principe der Stabilität zur Herrschaft, oder auch nur zur Majorität gelangt? Wäre dies der Fall, dann verlangte es der Geist der auf möglichste Entfaltung der Selbstbestimmung gerichteten Zeit auch diese Corporationen in ihrem Kreise ruhig gewähren zu lassen. Denn wenn irgendwo, so gibt es hier noch bedeutende Ueberreste von Selbstregierung und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/417>, abgerufen am 28.09.2024.