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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Und der erste Schritt zum Bessern ist, daß man nur wieder zu ernsthaftem
und systematischem Nachdenken über alle diese Fragen gelangt, die man im
letzten Grunde doch nur aus purer Bequemlichkeit sich durch mehr als wohl¬
feiles Raisonniren bisher vom Hals geschafft hat. Es kann nicht fehlen,
daß sich dann bald wieder eine feste öffentliche Meinung in den betreffenden
Kreisen über ihre eigensten Angelegenheiten bildet, die notorisch ganz ver¬
schwunden war. Man wird wieder eine bestimmte Position zu dem Ganzen
und dem einzelnen Fragen einnehmen lernen, es wird sich wieder eine gesunde
Parteigruppirung bilden, die aus der Sache selbst und den realen Verhält,
rissen der einzelnen zu ihr erwächst, und nicht wie bisher aus allen andern
in diesem Sinne nicht Hieher gehörigen Motiven, aus politischen, religiösen,
socialen Einflüssen, welche mit den Universitäten als solchen Nichts zu thun
haben.

Aber auch über den engeren Kreis der eigentlichen Universitätsangehöri¬
gen wird das Buch seine Wirkung thun. Denn augenblicklich scheint es
zwar, als wenn alles Andere eher, als gerade die specifischen Universitäts-
angelegenheiten Interesse zu erregen fähig wären. Aber es scheint auch nur
so. Noch immer gehört der größte Theil aller derjenigen, die wir im heu¬
tigen Wortsinn als gebildet anzusprechen berechtigt sind, zu den Universitäts¬
verwandten im weiteren Sinn, und es ist noch immer ähnlich, wie es von
jeher war, daß die Fäden zwischen ihnen und den Universitäten auch im
späteren Leben niemals zerreißen. Jedermann hat aus praktischen und noch
mehr aus subjectiv-gemüthlichen oder idealistischen Motiven fortwährend Ver¬
anlassung, sich um das zu kümmern, was dort vorgeht. Mit einem Worte,
unsere Universitäten sind noch immer im höchsten Grade populär, was frei¬
lich nicht so verstanden werden darf, als liege das Publikum draußen in
unbedingter Bewunderung vor ihrer Herrlichkeit und Erhabenheit auf den
Knien. Eher das Gegentheil davon: jener skeptisch-negative Zug, der sie
selbst erfüllt, muß auch die Signatur des Publikums ihnen gegenüber bilden.
Aber dies schadet unserer Behauptung und auch der Sache selbst nicht. So¬
bald nur erst einmal von Seite der eigentlich zur Initiative bestimmten die
Sache der Universitäten wieder lebendig aufgegriffen würde, sollte auch die
Stimmung des Publikums sehr rasch zu positiver Theilnahme umschlagen.

In diesem Sinne unternehmen wir es, hier gewissermaßen das zu anti-
cipiren, was der natürliche Lauf der Dinge von selbst auch schaffen würde.
Eigentlich bedarf ja ein interessantes Buch keiner weiteren Empfehlung als
der. welche ihm sein eigenes Dasein gibt. In unserem Falle kommt aber
noch ein besonderer Umstand hinzu. Wir befinden uns, wie sich zeigen wird,
in voller Uebereinstimmung mit der Gesinnung und Haltung des Anonymus,
differiren aber in sehr wesentlichen, ja principiellen Punkten von seiner Auf-


Und der erste Schritt zum Bessern ist, daß man nur wieder zu ernsthaftem
und systematischem Nachdenken über alle diese Fragen gelangt, die man im
letzten Grunde doch nur aus purer Bequemlichkeit sich durch mehr als wohl¬
feiles Raisonniren bisher vom Hals geschafft hat. Es kann nicht fehlen,
daß sich dann bald wieder eine feste öffentliche Meinung in den betreffenden
Kreisen über ihre eigensten Angelegenheiten bildet, die notorisch ganz ver¬
schwunden war. Man wird wieder eine bestimmte Position zu dem Ganzen
und dem einzelnen Fragen einnehmen lernen, es wird sich wieder eine gesunde
Parteigruppirung bilden, die aus der Sache selbst und den realen Verhält,
rissen der einzelnen zu ihr erwächst, und nicht wie bisher aus allen andern
in diesem Sinne nicht Hieher gehörigen Motiven, aus politischen, religiösen,
socialen Einflüssen, welche mit den Universitäten als solchen Nichts zu thun
haben.

Aber auch über den engeren Kreis der eigentlichen Universitätsangehöri¬
gen wird das Buch seine Wirkung thun. Denn augenblicklich scheint es
zwar, als wenn alles Andere eher, als gerade die specifischen Universitäts-
angelegenheiten Interesse zu erregen fähig wären. Aber es scheint auch nur
so. Noch immer gehört der größte Theil aller derjenigen, die wir im heu¬
tigen Wortsinn als gebildet anzusprechen berechtigt sind, zu den Universitäts¬
verwandten im weiteren Sinn, und es ist noch immer ähnlich, wie es von
jeher war, daß die Fäden zwischen ihnen und den Universitäten auch im
späteren Leben niemals zerreißen. Jedermann hat aus praktischen und noch
mehr aus subjectiv-gemüthlichen oder idealistischen Motiven fortwährend Ver¬
anlassung, sich um das zu kümmern, was dort vorgeht. Mit einem Worte,
unsere Universitäten sind noch immer im höchsten Grade populär, was frei¬
lich nicht so verstanden werden darf, als liege das Publikum draußen in
unbedingter Bewunderung vor ihrer Herrlichkeit und Erhabenheit auf den
Knien. Eher das Gegentheil davon: jener skeptisch-negative Zug, der sie
selbst erfüllt, muß auch die Signatur des Publikums ihnen gegenüber bilden.
Aber dies schadet unserer Behauptung und auch der Sache selbst nicht. So¬
bald nur erst einmal von Seite der eigentlich zur Initiative bestimmten die
Sache der Universitäten wieder lebendig aufgegriffen würde, sollte auch die
Stimmung des Publikums sehr rasch zu positiver Theilnahme umschlagen.

In diesem Sinne unternehmen wir es, hier gewissermaßen das zu anti-
cipiren, was der natürliche Lauf der Dinge von selbst auch schaffen würde.
Eigentlich bedarf ja ein interessantes Buch keiner weiteren Empfehlung als
der. welche ihm sein eigenes Dasein gibt. In unserem Falle kommt aber
noch ein besonderer Umstand hinzu. Wir befinden uns, wie sich zeigen wird,
in voller Uebereinstimmung mit der Gesinnung und Haltung des Anonymus,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/419>, abgerufen am 20.10.2024.