Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

genug, die Mitwirkung der Behörden und Ministerien nicht geradezu prin¬
cipiell auszuschließen: der Souveränetätsschwindel der Frankfurter, welcher
wie bekannt auch von Seiten mancher ihrer doctrinären Professorenelemente
getheilt und genährt wurde, eristirte in Jena nicht. Auch glaubte man mit
dem einmaligen Reformentwurf nicht abgeschlossen zu haben: man creirte
einen ständigen Ausschuß und dachte an wiederholte Berufung des Plenums,
in Jahresfrist oder noch früher.

Aber wie die große frankfurter Verfassung des Reichs, so blieb auch
dieser Reformentwurf der Universitäten bloßes Papier, und zwar, ohne daß
für oder gegen ihn irgend besondere Anstrengungen ins Werk gesetzt worden
wären. Die Periode der Reaction, die begrifflich schon mit jenem ominösen
18. September begann, weil an ihm die Gemüther sich von den Scheußlich¬
keiten eines angeblichen Radicalismus gründlich abgewandt hatten, beseitigte
Alles, was zu der Universitätsreform gehörte, lautlos und widerstandslos.
Nicht blos die burschikosen Ueberschwänglichkeiten des Studentenparlamentes,
sondern auch die ehrbaren und soliden Discussionen der jenenser Versamm¬
lung und ihrer immer dürftiger ausfallenden Fortsetzungen mußten es sich
in den folgenden Jahren des reactionären Hochwassers gefallen lassen, ganz
überfluthet zu werden. Es ging ihnen nicht anders, als allen anderen be¬
rechtigten und unberechtigten Bestrebungen zur Reform, an dem so mancher
Reform sehr bedürftigen Riesenleibe der deutschen Nation. Aber alles Andere
tauchte allmälig wieder auf, wie die grauen, schlammigen Wasser aus Mangel
an neuem Zufluß allmälig wieder abzulaufen begannen: die Universitäts-
reformfrage blieb im Sande begraben. Nicht einmal in der Presse erwachte
sie zu einigem Scheinleben. Es ist wunderbar zu sehen, wie wenig die Presse,
die doch notarisch zum großen Theil von dem lebt, was Angehörige der Uni¬
versitäten in allen möglichen Fächern schreiben, seither die interus. der Uni¬
versitäten beachtet hat, und noch wunderbarer, wie wenig von Seite der
berufsmäßig Schreibfertigsten, von den Männern der Universitäten selbst,
über diese und ihre Lebensfragen geschrieben worden ist. Das Studium
ihrer Entwickelungsgeschichte ist seitdem, man darf wol sagen, erst be¬
gründet, und durch eine große Anzahl allgemein bekannter geschichtlicher
Darstellungen festgestellt worden; aber was die Gegenwart betrifft, die
doch mindestens dasselbe Recht wie die Vergangenheit beansprucht, so hat
man diese einfach ignorirt. Selbst die handgreiflichsten Veranlassungen, wie
die gerade seit zwanzig Jahren so häufig einfallenden funfzigjährigen, hun¬
dert-, dreihundert-, ja vierhundertjährigen Jubiläen der allerbedeutendsten
deutschen Hochschulen haben eine Wiederaufnahme auch nur jener theoretischen
Reformbestrebungen mit der Feder nicht zur Folge gehabt.

Allerdings ist die practische Reform seit 1848 niemals stillgestanden


genug, die Mitwirkung der Behörden und Ministerien nicht geradezu prin¬
cipiell auszuschließen: der Souveränetätsschwindel der Frankfurter, welcher
wie bekannt auch von Seiten mancher ihrer doctrinären Professorenelemente
getheilt und genährt wurde, eristirte in Jena nicht. Auch glaubte man mit
dem einmaligen Reformentwurf nicht abgeschlossen zu haben: man creirte
einen ständigen Ausschuß und dachte an wiederholte Berufung des Plenums,
in Jahresfrist oder noch früher.

Aber wie die große frankfurter Verfassung des Reichs, so blieb auch
dieser Reformentwurf der Universitäten bloßes Papier, und zwar, ohne daß
für oder gegen ihn irgend besondere Anstrengungen ins Werk gesetzt worden
wären. Die Periode der Reaction, die begrifflich schon mit jenem ominösen
18. September begann, weil an ihm die Gemüther sich von den Scheußlich¬
keiten eines angeblichen Radicalismus gründlich abgewandt hatten, beseitigte
Alles, was zu der Universitätsreform gehörte, lautlos und widerstandslos.
Nicht blos die burschikosen Ueberschwänglichkeiten des Studentenparlamentes,
sondern auch die ehrbaren und soliden Discussionen der jenenser Versamm¬
lung und ihrer immer dürftiger ausfallenden Fortsetzungen mußten es sich
in den folgenden Jahren des reactionären Hochwassers gefallen lassen, ganz
überfluthet zu werden. Es ging ihnen nicht anders, als allen anderen be¬
rechtigten und unberechtigten Bestrebungen zur Reform, an dem so mancher
Reform sehr bedürftigen Riesenleibe der deutschen Nation. Aber alles Andere
tauchte allmälig wieder auf, wie die grauen, schlammigen Wasser aus Mangel
an neuem Zufluß allmälig wieder abzulaufen begannen: die Universitäts-
reformfrage blieb im Sande begraben. Nicht einmal in der Presse erwachte
sie zu einigem Scheinleben. Es ist wunderbar zu sehen, wie wenig die Presse,
die doch notarisch zum großen Theil von dem lebt, was Angehörige der Uni¬
versitäten in allen möglichen Fächern schreiben, seither die interus. der Uni¬
versitäten beachtet hat, und noch wunderbarer, wie wenig von Seite der
berufsmäßig Schreibfertigsten, von den Männern der Universitäten selbst,
über diese und ihre Lebensfragen geschrieben worden ist. Das Studium
ihrer Entwickelungsgeschichte ist seitdem, man darf wol sagen, erst be¬
gründet, und durch eine große Anzahl allgemein bekannter geschichtlicher
Darstellungen festgestellt worden; aber was die Gegenwart betrifft, die
doch mindestens dasselbe Recht wie die Vergangenheit beansprucht, so hat
man diese einfach ignorirt. Selbst die handgreiflichsten Veranlassungen, wie
die gerade seit zwanzig Jahren so häufig einfallenden funfzigjährigen, hun¬
dert-, dreihundert-, ja vierhundertjährigen Jubiläen der allerbedeutendsten
deutschen Hochschulen haben eine Wiederaufnahme auch nur jener theoretischen
Reformbestrebungen mit der Feder nicht zur Folge gehabt.

Allerdings ist die practische Reform seit 1848 niemals stillgestanden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120605"/>
          <p xml:id="ID_1219" prev="#ID_1218"> genug, die Mitwirkung der Behörden und Ministerien nicht geradezu prin¬<lb/>
cipiell auszuschließen: der Souveränetätsschwindel der Frankfurter, welcher<lb/>
wie bekannt auch von Seiten mancher ihrer doctrinären Professorenelemente<lb/>
getheilt und genährt wurde, eristirte in Jena nicht. Auch glaubte man mit<lb/>
dem einmaligen Reformentwurf nicht abgeschlossen zu haben: man creirte<lb/>
einen ständigen Ausschuß und dachte an wiederholte Berufung des Plenums,<lb/>
in Jahresfrist oder noch früher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1220"> Aber wie die große frankfurter Verfassung des Reichs, so blieb auch<lb/>
dieser Reformentwurf der Universitäten bloßes Papier, und zwar, ohne daß<lb/>
für oder gegen ihn irgend besondere Anstrengungen ins Werk gesetzt worden<lb/>
wären. Die Periode der Reaction, die begrifflich schon mit jenem ominösen<lb/>
18. September begann, weil an ihm die Gemüther sich von den Scheußlich¬<lb/>
keiten eines angeblichen Radicalismus gründlich abgewandt hatten, beseitigte<lb/>
Alles, was zu der Universitätsreform gehörte, lautlos und widerstandslos.<lb/>
Nicht blos die burschikosen Ueberschwänglichkeiten des Studentenparlamentes,<lb/>
sondern auch die ehrbaren und soliden Discussionen der jenenser Versamm¬<lb/>
lung und ihrer immer dürftiger ausfallenden Fortsetzungen mußten es sich<lb/>
in den folgenden Jahren des reactionären Hochwassers gefallen lassen, ganz<lb/>
überfluthet zu werden. Es ging ihnen nicht anders, als allen anderen be¬<lb/>
rechtigten und unberechtigten Bestrebungen zur Reform, an dem so mancher<lb/>
Reform sehr bedürftigen Riesenleibe der deutschen Nation. Aber alles Andere<lb/>
tauchte allmälig wieder auf, wie die grauen, schlammigen Wasser aus Mangel<lb/>
an neuem Zufluß allmälig wieder abzulaufen begannen: die Universitäts-<lb/>
reformfrage blieb im Sande begraben. Nicht einmal in der Presse erwachte<lb/>
sie zu einigem Scheinleben. Es ist wunderbar zu sehen, wie wenig die Presse,<lb/>
die doch notarisch zum großen Theil von dem lebt, was Angehörige der Uni¬<lb/>
versitäten in allen möglichen Fächern schreiben, seither die interus. der Uni¬<lb/>
versitäten beachtet hat, und noch wunderbarer, wie wenig von Seite der<lb/>
berufsmäßig Schreibfertigsten, von den Männern der Universitäten selbst,<lb/>
über diese und ihre Lebensfragen geschrieben worden ist. Das Studium<lb/>
ihrer Entwickelungsgeschichte ist seitdem, man darf wol sagen, erst be¬<lb/>
gründet, und durch eine große Anzahl allgemein bekannter geschichtlicher<lb/>
Darstellungen festgestellt worden; aber was die Gegenwart betrifft, die<lb/>
doch mindestens dasselbe Recht wie die Vergangenheit beansprucht, so hat<lb/>
man diese einfach ignorirt. Selbst die handgreiflichsten Veranlassungen, wie<lb/>
die gerade seit zwanzig Jahren so häufig einfallenden funfzigjährigen, hun¬<lb/>
dert-, dreihundert-, ja vierhundertjährigen Jubiläen der allerbedeutendsten<lb/>
deutschen Hochschulen haben eine Wiederaufnahme auch nur jener theoretischen<lb/>
Reformbestrebungen mit der Feder nicht zur Folge gehabt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1221" next="#ID_1222"> Allerdings ist die practische Reform seit 1848 niemals stillgestanden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0416] genug, die Mitwirkung der Behörden und Ministerien nicht geradezu prin¬ cipiell auszuschließen: der Souveränetätsschwindel der Frankfurter, welcher wie bekannt auch von Seiten mancher ihrer doctrinären Professorenelemente getheilt und genährt wurde, eristirte in Jena nicht. Auch glaubte man mit dem einmaligen Reformentwurf nicht abgeschlossen zu haben: man creirte einen ständigen Ausschuß und dachte an wiederholte Berufung des Plenums, in Jahresfrist oder noch früher. Aber wie die große frankfurter Verfassung des Reichs, so blieb auch dieser Reformentwurf der Universitäten bloßes Papier, und zwar, ohne daß für oder gegen ihn irgend besondere Anstrengungen ins Werk gesetzt worden wären. Die Periode der Reaction, die begrifflich schon mit jenem ominösen 18. September begann, weil an ihm die Gemüther sich von den Scheußlich¬ keiten eines angeblichen Radicalismus gründlich abgewandt hatten, beseitigte Alles, was zu der Universitätsreform gehörte, lautlos und widerstandslos. Nicht blos die burschikosen Ueberschwänglichkeiten des Studentenparlamentes, sondern auch die ehrbaren und soliden Discussionen der jenenser Versamm¬ lung und ihrer immer dürftiger ausfallenden Fortsetzungen mußten es sich in den folgenden Jahren des reactionären Hochwassers gefallen lassen, ganz überfluthet zu werden. Es ging ihnen nicht anders, als allen anderen be¬ rechtigten und unberechtigten Bestrebungen zur Reform, an dem so mancher Reform sehr bedürftigen Riesenleibe der deutschen Nation. Aber alles Andere tauchte allmälig wieder auf, wie die grauen, schlammigen Wasser aus Mangel an neuem Zufluß allmälig wieder abzulaufen begannen: die Universitäts- reformfrage blieb im Sande begraben. Nicht einmal in der Presse erwachte sie zu einigem Scheinleben. Es ist wunderbar zu sehen, wie wenig die Presse, die doch notarisch zum großen Theil von dem lebt, was Angehörige der Uni¬ versitäten in allen möglichen Fächern schreiben, seither die interus. der Uni¬ versitäten beachtet hat, und noch wunderbarer, wie wenig von Seite der berufsmäßig Schreibfertigsten, von den Männern der Universitäten selbst, über diese und ihre Lebensfragen geschrieben worden ist. Das Studium ihrer Entwickelungsgeschichte ist seitdem, man darf wol sagen, erst be¬ gründet, und durch eine große Anzahl allgemein bekannter geschichtlicher Darstellungen festgestellt worden; aber was die Gegenwart betrifft, die doch mindestens dasselbe Recht wie die Vergangenheit beansprucht, so hat man diese einfach ignorirt. Selbst die handgreiflichsten Veranlassungen, wie die gerade seit zwanzig Jahren so häufig einfallenden funfzigjährigen, hun¬ dert-, dreihundert-, ja vierhundertjährigen Jubiläen der allerbedeutendsten deutschen Hochschulen haben eine Wiederaufnahme auch nur jener theoretischen Reformbestrebungen mit der Feder nicht zur Folge gehabt. Allerdings ist die practische Reform seit 1848 niemals stillgestanden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/416
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/416>, abgerufen am 28.09.2024.