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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Etwas später, schon in der kühlen Zeit der zweiten Hälfte des Sep¬
tembers und an einem weniger romantischen Orte, wenn gleich noch immer
romantisch genug, in Jena, constituirte sich das Professorenparlament, oder
wie es sich selbst, um der ominiösen Verwechselung mit dem damals schon
von den Demokraten häufig gebrauchten Schimpfnamen der Nationalversamm¬
lung in Frankfurt zu entgehen, officiell benannte: der Congreß deutscher Uni¬
versitätslehrer zur Reform der deutschen Universitäten. Unmittelbar vorher war
der erste Reif^ in die Blüthe der deutschen Freiheitsbegeisterung gefallen,
die häßlichen frankfurter Septembertage mit ihrem Cannibalismus, die man
überhaupt sehr gern aus der Geschichte des wenn auch tollen, doch sonst
meist harmlosen Revolutionsjcihres wegstreichen möchte. Damals wirkten sie
bei Männern aller Parteien wie ein großes, sittliches Unglück, das über die
ganze Nation hereingebrochen war und man übersah gänzlich, daß eben nur
der damals völlig vergiftete Boden der edeln freien Reichsstadt dasür verant¬
wortlich gemacht werden konnte, und daß anderwärts in Deutschland derartige
feige und brutale Scheußlichkeiten unmöglich gewesen wären. Jedenfalls aber litt
der Schwung des Professorenparlaments nicht wenig durch solche Eindrücke,
die eine Stunde vorher von nicht wenigen Theilnehmern mit eigenen Augen
wahrgenommen worden waren. Fraglich aber ist es, ob nicht dieser Dämpfer
von außen her der Sache selbst mehr genützt, als geschadet hat. Denn
der radicale Idealismus, der gerade in diesen Kreisen, nicht weniger wie
in den studentischen, noch kurz vorher auf den allerhöchsten Stelzen einher¬
zuschreiten liebte, zog es denn nun doch vor, etwas bescheidener aufzutreten
um nicht -- was jetzt nicht mehr möglich, damals aber sehr nahe lag --
gesinnungsverwandt mit den Helden von der bornheimer Haide zu er¬
scheinen. Demgemäß schritten die Verhandlungen der drei Tage viel regel¬
rechter und geschäftsmäßiger vor. als irgend Jemand erwartet und Viele
gehofft hatten, und die gefaßten Beschlüsse trugen, aus ihrer Zeit heraus be¬
urtheilt, durchweg den Stempel eines maßvollen und bescheidenen Neform-
bestrebens. Revolutionäres war in dem jenenser Parlamente nichts zu ent¬
decken, weshalb dann auch alle die ö'entadelt innerhalb und noch mehr außer¬
halb der Versammlung, die aus den verschiedensten Gründen auf so etwas
gerechnet hatten, sogleich mit angenommen verechtlicher Miene oder auch mit
echtem In grimme über diese philiströse Gesellschaft herfielen.

So wenig wie in dem großen Parlament zu Frankfurt, hatte man sich
in dem kleinen zu Jena eine klare Vorstellung darüber gemacht, wie denn
die Resolutionen vom Papier ins Leben treten sollten. Das schien sich..damals
von selbst zu verstehen, und in keiner Zeit ist mit dem vormals hoch ver¬
pöntem Begriff der organischen Entwickelung factisch und unbewußt solcher
Götzendienst getrieben worden als damals. Uebrigens war man verständig
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Etwas später, schon in der kühlen Zeit der zweiten Hälfte des Sep¬
tembers und an einem weniger romantischen Orte, wenn gleich noch immer
romantisch genug, in Jena, constituirte sich das Professorenparlament, oder
wie es sich selbst, um der ominiösen Verwechselung mit dem damals schon
von den Demokraten häufig gebrauchten Schimpfnamen der Nationalversamm¬
lung in Frankfurt zu entgehen, officiell benannte: der Congreß deutscher Uni¬
versitätslehrer zur Reform der deutschen Universitäten. Unmittelbar vorher war
der erste Reif^ in die Blüthe der deutschen Freiheitsbegeisterung gefallen,
die häßlichen frankfurter Septembertage mit ihrem Cannibalismus, die man
überhaupt sehr gern aus der Geschichte des wenn auch tollen, doch sonst
meist harmlosen Revolutionsjcihres wegstreichen möchte. Damals wirkten sie
bei Männern aller Parteien wie ein großes, sittliches Unglück, das über die
ganze Nation hereingebrochen war und man übersah gänzlich, daß eben nur
der damals völlig vergiftete Boden der edeln freien Reichsstadt dasür verant¬
wortlich gemacht werden konnte, und daß anderwärts in Deutschland derartige
feige und brutale Scheußlichkeiten unmöglich gewesen wären. Jedenfalls aber litt
der Schwung des Professorenparlaments nicht wenig durch solche Eindrücke,
die eine Stunde vorher von nicht wenigen Theilnehmern mit eigenen Augen
wahrgenommen worden waren. Fraglich aber ist es, ob nicht dieser Dämpfer
von außen her der Sache selbst mehr genützt, als geschadet hat. Denn
der radicale Idealismus, der gerade in diesen Kreisen, nicht weniger wie
in den studentischen, noch kurz vorher auf den allerhöchsten Stelzen einher¬
zuschreiten liebte, zog es denn nun doch vor, etwas bescheidener aufzutreten
um nicht — was jetzt nicht mehr möglich, damals aber sehr nahe lag —
gesinnungsverwandt mit den Helden von der bornheimer Haide zu er¬
scheinen. Demgemäß schritten die Verhandlungen der drei Tage viel regel¬
rechter und geschäftsmäßiger vor. als irgend Jemand erwartet und Viele
gehofft hatten, und die gefaßten Beschlüsse trugen, aus ihrer Zeit heraus be¬
urtheilt, durchweg den Stempel eines maßvollen und bescheidenen Neform-
bestrebens. Revolutionäres war in dem jenenser Parlamente nichts zu ent¬
decken, weshalb dann auch alle die ö'entadelt innerhalb und noch mehr außer¬
halb der Versammlung, die aus den verschiedensten Gründen auf so etwas
gerechnet hatten, sogleich mit angenommen verechtlicher Miene oder auch mit
echtem In grimme über diese philiströse Gesellschaft herfielen.

So wenig wie in dem großen Parlament zu Frankfurt, hatte man sich
in dem kleinen zu Jena eine klare Vorstellung darüber gemacht, wie denn
die Resolutionen vom Papier ins Leben treten sollten. Das schien sich..damals
von selbst zu verstehen, und in keiner Zeit ist mit dem vormals hoch ver¬
pöntem Begriff der organischen Entwickelung factisch und unbewußt solcher
Götzendienst getrieben worden als damals. Uebrigens war man verständig
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[0415] Etwas später, schon in der kühlen Zeit der zweiten Hälfte des Sep¬ tembers und an einem weniger romantischen Orte, wenn gleich noch immer romantisch genug, in Jena, constituirte sich das Professorenparlament, oder wie es sich selbst, um der ominiösen Verwechselung mit dem damals schon von den Demokraten häufig gebrauchten Schimpfnamen der Nationalversamm¬ lung in Frankfurt zu entgehen, officiell benannte: der Congreß deutscher Uni¬ versitätslehrer zur Reform der deutschen Universitäten. Unmittelbar vorher war der erste Reif^ in die Blüthe der deutschen Freiheitsbegeisterung gefallen, die häßlichen frankfurter Septembertage mit ihrem Cannibalismus, die man überhaupt sehr gern aus der Geschichte des wenn auch tollen, doch sonst meist harmlosen Revolutionsjcihres wegstreichen möchte. Damals wirkten sie bei Männern aller Parteien wie ein großes, sittliches Unglück, das über die ganze Nation hereingebrochen war und man übersah gänzlich, daß eben nur der damals völlig vergiftete Boden der edeln freien Reichsstadt dasür verant¬ wortlich gemacht werden konnte, und daß anderwärts in Deutschland derartige feige und brutale Scheußlichkeiten unmöglich gewesen wären. Jedenfalls aber litt der Schwung des Professorenparlaments nicht wenig durch solche Eindrücke, die eine Stunde vorher von nicht wenigen Theilnehmern mit eigenen Augen wahrgenommen worden waren. Fraglich aber ist es, ob nicht dieser Dämpfer von außen her der Sache selbst mehr genützt, als geschadet hat. Denn der radicale Idealismus, der gerade in diesen Kreisen, nicht weniger wie in den studentischen, noch kurz vorher auf den allerhöchsten Stelzen einher¬ zuschreiten liebte, zog es denn nun doch vor, etwas bescheidener aufzutreten um nicht — was jetzt nicht mehr möglich, damals aber sehr nahe lag — gesinnungsverwandt mit den Helden von der bornheimer Haide zu er¬ scheinen. Demgemäß schritten die Verhandlungen der drei Tage viel regel¬ rechter und geschäftsmäßiger vor. als irgend Jemand erwartet und Viele gehofft hatten, und die gefaßten Beschlüsse trugen, aus ihrer Zeit heraus be¬ urtheilt, durchweg den Stempel eines maßvollen und bescheidenen Neform- bestrebens. Revolutionäres war in dem jenenser Parlamente nichts zu ent¬ decken, weshalb dann auch alle die ö'entadelt innerhalb und noch mehr außer¬ halb der Versammlung, die aus den verschiedensten Gründen auf so etwas gerechnet hatten, sogleich mit angenommen verechtlicher Miene oder auch mit echtem In grimme über diese philiströse Gesellschaft herfielen. So wenig wie in dem großen Parlament zu Frankfurt, hatte man sich in dem kleinen zu Jena eine klare Vorstellung darüber gemacht, wie denn die Resolutionen vom Papier ins Leben treten sollten. Das schien sich..damals von selbst zu verstehen, und in keiner Zeit ist mit dem vormals hoch ver¬ pöntem Begriff der organischen Entwickelung factisch und unbewußt solcher Götzendienst getrieben worden als damals. Uebrigens war man verständig " öl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/415>, abgerufen am 28.09.2024.