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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Fürstentum, sondern dessen Namen und Schein gehabt, werden wir schlie߬
lich den Hals unter das Joch der Barbaren beugen müssen."

Im nächsten Frühjahr begann Frankreich abermals den Krieg in der
Lombardei. Vergebens suchten sich die Schweizer dem französischen Heer ent¬
gegenzuwerfen. Gleichzeitig rückten die Venetianer, Frankreichs Verbündete,
bis zur Adda vor und ging in kurzem das ganze Land bis auf Novara
und Como für Sforza verloren. Dieser befand sich mit den Schweizern ein¬
geschlossen in Novara und war bereits auf dem Punkt, die drückende Krone
niederzulegen und abermals in die Verbannung zu gehen, als plötzlich ein
frisches Corps Schweizer anrückte, den Franzosen eine Niederlage beibrachte
und so aufs Neue den Staat für den Herzog rettete.

"Dem Vortheil seines Herrn seine Neigungen unterordnend" war Mo-
rone inzwischen als Gesandter nach Rom gegangen. Die Combinationen
der Mächte über die Zukunft Italiens wechselten fast jeden Augenblick. Die
Feinde von gestern konnten heute ein Bündniß gegen einen dritten Gegner
abschließen. Doch standen diese Combinationen von nun an vorwiegend
unter dem Eindruck der Eventualität, daß im Hause Habsburg die unge¬
heuren Erbschaften Oestreichs und Spaniens mit der Kaiserkrone vereinigt
würden. Der Kaiser Maximilian sah mit dieser Aussicht den höchsten
Traum seines Lebens sich verwirklichen, und die Spaltung der italienischen
Fürsten und Staaten kam ihm dabei trefflich zu statten. Leo X. war wohl
für die Unabhängigkeit Mailands und Neapels, aber vor Allem deshalb, weil
. er sie für Bruder und Neffen zu erwerben gedachte. Er vereinigte gleichsam
den nationalen Gedanken Julius II. mit dem Familienehrgeiz der Borgia,
auf den Maechiavellt und Guiectardini ihre Pläne für die Zukunft Italiens
bauten, -- eine Politik, die in Wirklichkeit doch nur dazu führte, zwischen der
französischen und der kaiserlichen Partei beständig hin - und herzuschwanken,
nicht um diese gegenseitig aufzubrauchen, sondern um aus beiden für sich
Nutzen zu ziehen, wie denn Leo die Gewohnheit hatte, nie ein Bündniß mit
Jemand abzuschließen, ohne gleichzeitig mit dessen Gegner zu unterhandeln.
Morone suchte ihn jetzt zu einem Bündniß mit den Schweizern zu bewegen,
das die Unabhängigkeit des Kirchenstaats, Florenz. Mailands und Genua
zum Zweck hatte. Als aber Maximilian Sforza hörte, daß sein Gesandter
den Papst von dem Bündniß mit dem Kaiser abzubringen versuchte, rief er
ihn ab; das war in seinen Augen das schwerste Verbrechen, während Morone
von seinem italienischen Gesichtspunkt dem Kaiser selbst gegenüber gar kein
Hehl machte und ihm (1. Aug. 1514) schrieb: "In der That, Serenissimus,
habe ich es auf die Freiheit Italiens abgesehen und gerne möchte ich mich
zu dessen Retter machen, auch wenn mir nach gethanen Werk Verbannung


Fürstentum, sondern dessen Namen und Schein gehabt, werden wir schlie߬
lich den Hals unter das Joch der Barbaren beugen müssen."

Im nächsten Frühjahr begann Frankreich abermals den Krieg in der
Lombardei. Vergebens suchten sich die Schweizer dem französischen Heer ent¬
gegenzuwerfen. Gleichzeitig rückten die Venetianer, Frankreichs Verbündete,
bis zur Adda vor und ging in kurzem das ganze Land bis auf Novara
und Como für Sforza verloren. Dieser befand sich mit den Schweizern ein¬
geschlossen in Novara und war bereits auf dem Punkt, die drückende Krone
niederzulegen und abermals in die Verbannung zu gehen, als plötzlich ein
frisches Corps Schweizer anrückte, den Franzosen eine Niederlage beibrachte
und so aufs Neue den Staat für den Herzog rettete.

„Dem Vortheil seines Herrn seine Neigungen unterordnend" war Mo-
rone inzwischen als Gesandter nach Rom gegangen. Die Combinationen
der Mächte über die Zukunft Italiens wechselten fast jeden Augenblick. Die
Feinde von gestern konnten heute ein Bündniß gegen einen dritten Gegner
abschließen. Doch standen diese Combinationen von nun an vorwiegend
unter dem Eindruck der Eventualität, daß im Hause Habsburg die unge¬
heuren Erbschaften Oestreichs und Spaniens mit der Kaiserkrone vereinigt
würden. Der Kaiser Maximilian sah mit dieser Aussicht den höchsten
Traum seines Lebens sich verwirklichen, und die Spaltung der italienischen
Fürsten und Staaten kam ihm dabei trefflich zu statten. Leo X. war wohl
für die Unabhängigkeit Mailands und Neapels, aber vor Allem deshalb, weil
. er sie für Bruder und Neffen zu erwerben gedachte. Er vereinigte gleichsam
den nationalen Gedanken Julius II. mit dem Familienehrgeiz der Borgia,
auf den Maechiavellt und Guiectardini ihre Pläne für die Zukunft Italiens
bauten, — eine Politik, die in Wirklichkeit doch nur dazu führte, zwischen der
französischen und der kaiserlichen Partei beständig hin - und herzuschwanken,
nicht um diese gegenseitig aufzubrauchen, sondern um aus beiden für sich
Nutzen zu ziehen, wie denn Leo die Gewohnheit hatte, nie ein Bündniß mit
Jemand abzuschließen, ohne gleichzeitig mit dessen Gegner zu unterhandeln.
Morone suchte ihn jetzt zu einem Bündniß mit den Schweizern zu bewegen,
das die Unabhängigkeit des Kirchenstaats, Florenz. Mailands und Genua
zum Zweck hatte. Als aber Maximilian Sforza hörte, daß sein Gesandter
den Papst von dem Bündniß mit dem Kaiser abzubringen versuchte, rief er
ihn ab; das war in seinen Augen das schwerste Verbrechen, während Morone
von seinem italienischen Gesichtspunkt dem Kaiser selbst gegenüber gar kein
Hehl machte und ihm (1. Aug. 1514) schrieb: „In der That, Serenissimus,
habe ich es auf die Freiheit Italiens abgesehen und gerne möchte ich mich
zu dessen Retter machen, auch wenn mir nach gethanen Werk Verbannung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/307>, abgerufen am 20.10.2024.