Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eit schwören sollten, und war der Meinung, daß dies nur unter der Be¬
dingung der Integrität des Staatsgebiets geschehen dürfe. Auch setzte er
durch, daß die Civilregierung während des Interregnums nicht der mit Papst
und Kaiser zu eng verbundene Kardinal Schimmer, sondern der Bischof Octa-
vian Sforza von Lodi, ein Vetter Maximilian's führen sollte. Unter ihm
hatte Morone für die Finanzen zu sorgen, das heißt, er mußte der Be¬
völkerung immer neue Lasten auferlegen für die Erhaltung der Heere, für
welche die anderen Verbündeten gleichfalls Beiträge zu leisten nicht bewogen
werden konnten. Unermüdlich ist er zugleich in seinen Rathschlägen, eine
Herrschaft des Kaisers in Oberitalien ebenso abzuwenden wie die der Franzosen.

Im September 1512 trat in Rom ein neuer Congreß der Verbündeten
zusammen. Morone suchte die Unabhängigkeit der Sforza besonders durch
ein Bündniß mit den Schweizern zu befestigen. Er schrieb sogar seinem Ge¬
sandten in Rom, Casttglione, Erzbischof von Bari, er möchte um sich ihren
Sitten anzubequemen, viel essen und trinken, wie die Schweizer es lieben.
Allein diese machten enorme Forderungen, sie verlangten nicht nur Domo-
dossola, Lugano und Locarno, sondern auch einen jährlichen Tribut von
40,000 Ducaten, die unter die 13 Cantone vertheilt werden sollten, und
20,000 weitere zur Gratification an die Anführer und Volkshäupter. Sie hatten
damit die Schlüssel der Stadt Mailand in der Hand und sie disponirten
über das Vermögen des Staats, ja über das der Privaten, sofern sie sich
noch besondere Handelsvortheile zu sichern wußten. Nur in der äußersten
Noth wurden in dem Vertrag vom 28. September diese Forderungen, be¬
willigt, hauptsächlich um dadurch die Umtriebe Galeazzo Viscontis und Octa-
vian Sforzas selbst zu vereiteln, welche für sich mit den Schweizern unter¬
handelten und sich des Staats bemächtigen wollten, "auch unter der Be¬
dingung, Statthalter der helvetischen Republik zu sein." Selbst der Kaiser
mußte endlich nachgeben, und am 29. December hielt Maximilian Sforza
als Herzog von Mailand seinen feierlichen Einzug.

Morone täuschte sich darüber nicht, daß die neue Herrschaft keine dauern¬
den Grundlagen habe. Maximilian hatte von seinem 9. bis zum 21. Jahr
als Verbannter am Hof des Kaisers gelebt, war aber fast ohne alle Er¬
ziehung aufgewachsen. Er konnte kaum lesen und schrieb höchst incorrect.
Von jener Zeit an behielt er gegen den Kaiser eine blinde kindliche Ehrfurcht.
Morone führte laute Klage, daß der neue Fürst seinem Vater so ganz und
gar unähnlich sei, und als die Zügel der Regierung mehr und mehr in die
Hände der beiden kaiserlichen Commissäre, Andreas von Burgos und Johann
Colla geriethen, sagte er es diesen wiederholt ins Gesicht, daß sie es darauf
abgesehen hätten, den Staat zu verderben. Schon im December schrieb
Morone die Besorgniß nieder: "Nachdem wir eine kurze Weile nicht das


eit schwören sollten, und war der Meinung, daß dies nur unter der Be¬
dingung der Integrität des Staatsgebiets geschehen dürfe. Auch setzte er
durch, daß die Civilregierung während des Interregnums nicht der mit Papst
und Kaiser zu eng verbundene Kardinal Schimmer, sondern der Bischof Octa-
vian Sforza von Lodi, ein Vetter Maximilian's führen sollte. Unter ihm
hatte Morone für die Finanzen zu sorgen, das heißt, er mußte der Be¬
völkerung immer neue Lasten auferlegen für die Erhaltung der Heere, für
welche die anderen Verbündeten gleichfalls Beiträge zu leisten nicht bewogen
werden konnten. Unermüdlich ist er zugleich in seinen Rathschlägen, eine
Herrschaft des Kaisers in Oberitalien ebenso abzuwenden wie die der Franzosen.

Im September 1512 trat in Rom ein neuer Congreß der Verbündeten
zusammen. Morone suchte die Unabhängigkeit der Sforza besonders durch
ein Bündniß mit den Schweizern zu befestigen. Er schrieb sogar seinem Ge¬
sandten in Rom, Casttglione, Erzbischof von Bari, er möchte um sich ihren
Sitten anzubequemen, viel essen und trinken, wie die Schweizer es lieben.
Allein diese machten enorme Forderungen, sie verlangten nicht nur Domo-
dossola, Lugano und Locarno, sondern auch einen jährlichen Tribut von
40,000 Ducaten, die unter die 13 Cantone vertheilt werden sollten, und
20,000 weitere zur Gratification an die Anführer und Volkshäupter. Sie hatten
damit die Schlüssel der Stadt Mailand in der Hand und sie disponirten
über das Vermögen des Staats, ja über das der Privaten, sofern sie sich
noch besondere Handelsvortheile zu sichern wußten. Nur in der äußersten
Noth wurden in dem Vertrag vom 28. September diese Forderungen, be¬
willigt, hauptsächlich um dadurch die Umtriebe Galeazzo Viscontis und Octa-
vian Sforzas selbst zu vereiteln, welche für sich mit den Schweizern unter¬
handelten und sich des Staats bemächtigen wollten, „auch unter der Be¬
dingung, Statthalter der helvetischen Republik zu sein." Selbst der Kaiser
mußte endlich nachgeben, und am 29. December hielt Maximilian Sforza
als Herzog von Mailand seinen feierlichen Einzug.

Morone täuschte sich darüber nicht, daß die neue Herrschaft keine dauern¬
den Grundlagen habe. Maximilian hatte von seinem 9. bis zum 21. Jahr
als Verbannter am Hof des Kaisers gelebt, war aber fast ohne alle Er¬
ziehung aufgewachsen. Er konnte kaum lesen und schrieb höchst incorrect.
Von jener Zeit an behielt er gegen den Kaiser eine blinde kindliche Ehrfurcht.
Morone führte laute Klage, daß der neue Fürst seinem Vater so ganz und
gar unähnlich sei, und als die Zügel der Regierung mehr und mehr in die
Hände der beiden kaiserlichen Commissäre, Andreas von Burgos und Johann
Colla geriethen, sagte er es diesen wiederholt ins Gesicht, daß sie es darauf
abgesehen hätten, den Staat zu verderben. Schon im December schrieb
Morone die Besorgniß nieder: „Nachdem wir eine kurze Weile nicht das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120495"/>
          <p xml:id="ID_867" prev="#ID_866"> eit schwören sollten, und war der Meinung, daß dies nur unter der Be¬<lb/>
dingung der Integrität des Staatsgebiets geschehen dürfe. Auch setzte er<lb/>
durch, daß die Civilregierung während des Interregnums nicht der mit Papst<lb/>
und Kaiser zu eng verbundene Kardinal Schimmer, sondern der Bischof Octa-<lb/>
vian Sforza von Lodi, ein Vetter Maximilian's führen sollte. Unter ihm<lb/>
hatte Morone für die Finanzen zu sorgen, das heißt, er mußte der Be¬<lb/>
völkerung immer neue Lasten auferlegen für die Erhaltung der Heere, für<lb/>
welche die anderen Verbündeten gleichfalls Beiträge zu leisten nicht bewogen<lb/>
werden konnten. Unermüdlich ist er zugleich in seinen Rathschlägen, eine<lb/>
Herrschaft des Kaisers in Oberitalien ebenso abzuwenden wie die der Franzosen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_868"> Im September 1512 trat in Rom ein neuer Congreß der Verbündeten<lb/>
zusammen. Morone suchte die Unabhängigkeit der Sforza besonders durch<lb/>
ein Bündniß mit den Schweizern zu befestigen. Er schrieb sogar seinem Ge¬<lb/>
sandten in Rom, Casttglione, Erzbischof von Bari, er möchte um sich ihren<lb/>
Sitten anzubequemen, viel essen und trinken, wie die Schweizer es lieben.<lb/>
Allein diese machten enorme Forderungen, sie verlangten nicht nur Domo-<lb/>
dossola, Lugano und Locarno, sondern auch einen jährlichen Tribut von<lb/>
40,000 Ducaten, die unter die 13 Cantone vertheilt werden sollten, und<lb/>
20,000 weitere zur Gratification an die Anführer und Volkshäupter. Sie hatten<lb/>
damit die Schlüssel der Stadt Mailand in der Hand und sie disponirten<lb/>
über das Vermögen des Staats, ja über das der Privaten, sofern sie sich<lb/>
noch besondere Handelsvortheile zu sichern wußten. Nur in der äußersten<lb/>
Noth wurden in dem Vertrag vom 28. September diese Forderungen, be¬<lb/>
willigt, hauptsächlich um dadurch die Umtriebe Galeazzo Viscontis und Octa-<lb/>
vian Sforzas selbst zu vereiteln, welche für sich mit den Schweizern unter¬<lb/>
handelten und sich des Staats bemächtigen wollten, &#x201E;auch unter der Be¬<lb/>
dingung, Statthalter der helvetischen Republik zu sein." Selbst der Kaiser<lb/>
mußte endlich nachgeben, und am 29. December hielt Maximilian Sforza<lb/>
als Herzog von Mailand seinen feierlichen Einzug.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_869" next="#ID_870"> Morone täuschte sich darüber nicht, daß die neue Herrschaft keine dauern¬<lb/>
den Grundlagen habe. Maximilian hatte von seinem 9. bis zum 21. Jahr<lb/>
als Verbannter am Hof des Kaisers gelebt, war aber fast ohne alle Er¬<lb/>
ziehung aufgewachsen. Er konnte kaum lesen und schrieb höchst incorrect.<lb/>
Von jener Zeit an behielt er gegen den Kaiser eine blinde kindliche Ehrfurcht.<lb/>
Morone führte laute Klage, daß der neue Fürst seinem Vater so ganz und<lb/>
gar unähnlich sei, und als die Zügel der Regierung mehr und mehr in die<lb/>
Hände der beiden kaiserlichen Commissäre, Andreas von Burgos und Johann<lb/>
Colla geriethen, sagte er es diesen wiederholt ins Gesicht, daß sie es darauf<lb/>
abgesehen hätten, den Staat zu verderben. Schon im December schrieb<lb/>
Morone die Besorgniß nieder: &#x201E;Nachdem wir eine kurze Weile nicht das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0306] eit schwören sollten, und war der Meinung, daß dies nur unter der Be¬ dingung der Integrität des Staatsgebiets geschehen dürfe. Auch setzte er durch, daß die Civilregierung während des Interregnums nicht der mit Papst und Kaiser zu eng verbundene Kardinal Schimmer, sondern der Bischof Octa- vian Sforza von Lodi, ein Vetter Maximilian's führen sollte. Unter ihm hatte Morone für die Finanzen zu sorgen, das heißt, er mußte der Be¬ völkerung immer neue Lasten auferlegen für die Erhaltung der Heere, für welche die anderen Verbündeten gleichfalls Beiträge zu leisten nicht bewogen werden konnten. Unermüdlich ist er zugleich in seinen Rathschlägen, eine Herrschaft des Kaisers in Oberitalien ebenso abzuwenden wie die der Franzosen. Im September 1512 trat in Rom ein neuer Congreß der Verbündeten zusammen. Morone suchte die Unabhängigkeit der Sforza besonders durch ein Bündniß mit den Schweizern zu befestigen. Er schrieb sogar seinem Ge¬ sandten in Rom, Casttglione, Erzbischof von Bari, er möchte um sich ihren Sitten anzubequemen, viel essen und trinken, wie die Schweizer es lieben. Allein diese machten enorme Forderungen, sie verlangten nicht nur Domo- dossola, Lugano und Locarno, sondern auch einen jährlichen Tribut von 40,000 Ducaten, die unter die 13 Cantone vertheilt werden sollten, und 20,000 weitere zur Gratification an die Anführer und Volkshäupter. Sie hatten damit die Schlüssel der Stadt Mailand in der Hand und sie disponirten über das Vermögen des Staats, ja über das der Privaten, sofern sie sich noch besondere Handelsvortheile zu sichern wußten. Nur in der äußersten Noth wurden in dem Vertrag vom 28. September diese Forderungen, be¬ willigt, hauptsächlich um dadurch die Umtriebe Galeazzo Viscontis und Octa- vian Sforzas selbst zu vereiteln, welche für sich mit den Schweizern unter¬ handelten und sich des Staats bemächtigen wollten, „auch unter der Be¬ dingung, Statthalter der helvetischen Republik zu sein." Selbst der Kaiser mußte endlich nachgeben, und am 29. December hielt Maximilian Sforza als Herzog von Mailand seinen feierlichen Einzug. Morone täuschte sich darüber nicht, daß die neue Herrschaft keine dauern¬ den Grundlagen habe. Maximilian hatte von seinem 9. bis zum 21. Jahr als Verbannter am Hof des Kaisers gelebt, war aber fast ohne alle Er¬ ziehung aufgewachsen. Er konnte kaum lesen und schrieb höchst incorrect. Von jener Zeit an behielt er gegen den Kaiser eine blinde kindliche Ehrfurcht. Morone führte laute Klage, daß der neue Fürst seinem Vater so ganz und gar unähnlich sei, und als die Zügel der Regierung mehr und mehr in die Hände der beiden kaiserlichen Commissäre, Andreas von Burgos und Johann Colla geriethen, sagte er es diesen wiederholt ins Gesicht, daß sie es darauf abgesehen hätten, den Staat zu verderben. Schon im December schrieb Morone die Besorgniß nieder: „Nachdem wir eine kurze Weile nicht das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/306
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/306>, abgerufen am 28.09.2024.