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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Spanische, französische, deutsche Heere treten in die Wette diesen Boden, der
eben eine wunderbare Cultur gezeitigt hatte. Wie im Wirbel werden Italiens
Fürsten und Völker herumgetrieben in einem Kampf, der niemals ihre ver¬
einigte Macht auf einer und derselben Seite sieht und mit der Erschöpfung
Aller endigt. Damals fiel das Loos der Halbinsel für 3 Jahrhunderte: um¬
hergeworfen zwischen den Armen der beiden Rivalen blieb es schließlich die
Beute des einen. Die Vielheit der Herrschaften verhinderte eine gemeinsame
Action der Gesammtkraft des Volks und führte endlich dahin, daß dieselbe
Knechtschaft sie alle umfing. Am Ende hält noch ein einziger Staat sich
aufrecht und rettet wenigstens die eigene Existenz; jedoch auch der Löwe von
San Marco siecht von da an mit gebrochenen Flügeln hin. In der Mitte
aber bleibt die Abnormität des Priesterstaats, der eben in jenen Stürmen
sich vollends befestigte und im Bund mit dem Spanier die Knechtschaft der
Halbinsel vollendete.

Die nationale Geschichtschreibung hat in Zeiten, da das Wort in erster
Linie den politischen Leidenschaften gehört, mit einer Versuchung zu kämpfen,
der nur die bevorzugten Geister gewachsen sind. Leicht dringt auch in sie
jenes lebhaftere Temperament ein, welches das Interesse der Gegenwart ver¬
räth, absichtliches Suchen nach glorreichen oder schmerzlichen Erinnerungen,
in welchen sich Furcht und Hoffnung des lebenden Geschlechts wiederspiegelt.
Man darf sagen, daß das genannte Werk des Verfassers Giuseppe de Leva
über die Geschichte Karls V. diese Klippe glücklich vermeidet, die vielleicht den
Italienern doppelt gefährlich ist. Mit großem geschichtlichen Sinn versenkt
sich der Verfasser in den Zusammenhang der vergangenen Dinge, er durch¬
sucht die Fülle des historischen Materials und was er aus den Quellen er¬
hoben, will er vor Allem erzählen. Der Beruf des Geschichtschreibers ist
ihm nicht. Fragen aufzuwerfen und zu erörtern, sondern Thatsachen festzu¬
stellen, und diese Thatsachen sollen für sich selber reden. Niemand, der hier
von den Thaten des berühmten Spaniers Antonio de Leva liest, käme auf
die Vermuthung, daß der Geschichtschreiber aus der Familie dieses kaiserlichen
Feldherrn stammt. Kein Zug verräth ihn, und dies ist bezeichnend für seine
ganze Geschichtserzählung. "Italienische Geschichte im Zeitalter der Refor¬
mation", unter diesem Titel möchten wir das Buch einführen, um es an
die Seite des berühmten deutschen Werks zu rücken, mit dem es nicht blos
den Stoff großentheils gemein hat, an das vielmehr auch die kritische Ver¬
arbeitung dieses Stoffs und die Kunst der Darstellung erinnert.

Unter den Quellen de Leva's nehmen die venetianischen Gesandtschafts¬
berichte eine hervorragende Stelle ein. Ferner standen ihm die in den letzten
Jahren erst veröffentlichten nachgelassenen Werke Guicciardinis, dann der
gleichfalls erst kürzlich ans Tageslicht gezogene Briefwechsel des Mailänder


Grenzboten I. 1869. 37

Spanische, französische, deutsche Heere treten in die Wette diesen Boden, der
eben eine wunderbare Cultur gezeitigt hatte. Wie im Wirbel werden Italiens
Fürsten und Völker herumgetrieben in einem Kampf, der niemals ihre ver¬
einigte Macht auf einer und derselben Seite sieht und mit der Erschöpfung
Aller endigt. Damals fiel das Loos der Halbinsel für 3 Jahrhunderte: um¬
hergeworfen zwischen den Armen der beiden Rivalen blieb es schließlich die
Beute des einen. Die Vielheit der Herrschaften verhinderte eine gemeinsame
Action der Gesammtkraft des Volks und führte endlich dahin, daß dieselbe
Knechtschaft sie alle umfing. Am Ende hält noch ein einziger Staat sich
aufrecht und rettet wenigstens die eigene Existenz; jedoch auch der Löwe von
San Marco siecht von da an mit gebrochenen Flügeln hin. In der Mitte
aber bleibt die Abnormität des Priesterstaats, der eben in jenen Stürmen
sich vollends befestigte und im Bund mit dem Spanier die Knechtschaft der
Halbinsel vollendete.

Die nationale Geschichtschreibung hat in Zeiten, da das Wort in erster
Linie den politischen Leidenschaften gehört, mit einer Versuchung zu kämpfen,
der nur die bevorzugten Geister gewachsen sind. Leicht dringt auch in sie
jenes lebhaftere Temperament ein, welches das Interesse der Gegenwart ver¬
räth, absichtliches Suchen nach glorreichen oder schmerzlichen Erinnerungen,
in welchen sich Furcht und Hoffnung des lebenden Geschlechts wiederspiegelt.
Man darf sagen, daß das genannte Werk des Verfassers Giuseppe de Leva
über die Geschichte Karls V. diese Klippe glücklich vermeidet, die vielleicht den
Italienern doppelt gefährlich ist. Mit großem geschichtlichen Sinn versenkt
sich der Verfasser in den Zusammenhang der vergangenen Dinge, er durch¬
sucht die Fülle des historischen Materials und was er aus den Quellen er¬
hoben, will er vor Allem erzählen. Der Beruf des Geschichtschreibers ist
ihm nicht. Fragen aufzuwerfen und zu erörtern, sondern Thatsachen festzu¬
stellen, und diese Thatsachen sollen für sich selber reden. Niemand, der hier
von den Thaten des berühmten Spaniers Antonio de Leva liest, käme auf
die Vermuthung, daß der Geschichtschreiber aus der Familie dieses kaiserlichen
Feldherrn stammt. Kein Zug verräth ihn, und dies ist bezeichnend für seine
ganze Geschichtserzählung. „Italienische Geschichte im Zeitalter der Refor¬
mation", unter diesem Titel möchten wir das Buch einführen, um es an
die Seite des berühmten deutschen Werks zu rücken, mit dem es nicht blos
den Stoff großentheils gemein hat, an das vielmehr auch die kritische Ver¬
arbeitung dieses Stoffs und die Kunst der Darstellung erinnert.

Unter den Quellen de Leva's nehmen die venetianischen Gesandtschafts¬
berichte eine hervorragende Stelle ein. Ferner standen ihm die in den letzten
Jahren erst veröffentlichten nachgelassenen Werke Guicciardinis, dann der
gleichfalls erst kürzlich ans Tageslicht gezogene Briefwechsel des Mailänder


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[0301] Spanische, französische, deutsche Heere treten in die Wette diesen Boden, der eben eine wunderbare Cultur gezeitigt hatte. Wie im Wirbel werden Italiens Fürsten und Völker herumgetrieben in einem Kampf, der niemals ihre ver¬ einigte Macht auf einer und derselben Seite sieht und mit der Erschöpfung Aller endigt. Damals fiel das Loos der Halbinsel für 3 Jahrhunderte: um¬ hergeworfen zwischen den Armen der beiden Rivalen blieb es schließlich die Beute des einen. Die Vielheit der Herrschaften verhinderte eine gemeinsame Action der Gesammtkraft des Volks und führte endlich dahin, daß dieselbe Knechtschaft sie alle umfing. Am Ende hält noch ein einziger Staat sich aufrecht und rettet wenigstens die eigene Existenz; jedoch auch der Löwe von San Marco siecht von da an mit gebrochenen Flügeln hin. In der Mitte aber bleibt die Abnormität des Priesterstaats, der eben in jenen Stürmen sich vollends befestigte und im Bund mit dem Spanier die Knechtschaft der Halbinsel vollendete. Die nationale Geschichtschreibung hat in Zeiten, da das Wort in erster Linie den politischen Leidenschaften gehört, mit einer Versuchung zu kämpfen, der nur die bevorzugten Geister gewachsen sind. Leicht dringt auch in sie jenes lebhaftere Temperament ein, welches das Interesse der Gegenwart ver¬ räth, absichtliches Suchen nach glorreichen oder schmerzlichen Erinnerungen, in welchen sich Furcht und Hoffnung des lebenden Geschlechts wiederspiegelt. Man darf sagen, daß das genannte Werk des Verfassers Giuseppe de Leva über die Geschichte Karls V. diese Klippe glücklich vermeidet, die vielleicht den Italienern doppelt gefährlich ist. Mit großem geschichtlichen Sinn versenkt sich der Verfasser in den Zusammenhang der vergangenen Dinge, er durch¬ sucht die Fülle des historischen Materials und was er aus den Quellen er¬ hoben, will er vor Allem erzählen. Der Beruf des Geschichtschreibers ist ihm nicht. Fragen aufzuwerfen und zu erörtern, sondern Thatsachen festzu¬ stellen, und diese Thatsachen sollen für sich selber reden. Niemand, der hier von den Thaten des berühmten Spaniers Antonio de Leva liest, käme auf die Vermuthung, daß der Geschichtschreiber aus der Familie dieses kaiserlichen Feldherrn stammt. Kein Zug verräth ihn, und dies ist bezeichnend für seine ganze Geschichtserzählung. „Italienische Geschichte im Zeitalter der Refor¬ mation", unter diesem Titel möchten wir das Buch einführen, um es an die Seite des berühmten deutschen Werks zu rücken, mit dem es nicht blos den Stoff großentheils gemein hat, an das vielmehr auch die kritische Ver¬ arbeitung dieses Stoffs und die Kunst der Darstellung erinnert. Unter den Quellen de Leva's nehmen die venetianischen Gesandtschafts¬ berichte eine hervorragende Stelle ein. Ferner standen ihm die in den letzten Jahren erst veröffentlichten nachgelassenen Werke Guicciardinis, dann der gleichfalls erst kürzlich ans Tageslicht gezogene Briefwechsel des Mailänder Grenzboten I. 1869. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/301>, abgerufen am 28.09.2024.