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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Staatsmanns Girolamo Morone zu Gebot, die beide werthvolle Ausbeute
lieferten. Endlich hat er selbst in den Archiven von Venedig, von Madrid,
von Simancas handschriftliche Schätze gehoben, die er für seine Darstellung
verwerthet. Damit gewinnt er lebendige Züge für die Schilderung von
Persönlichkeiten oder von Zuständen, jedoch ohne daß er sich in eigentliche
Detailmalerei einließe. Vielmehr ist die Erzählung knapp, einfach, und wäh¬
rend sie in strenger Ordnung fortschreitend beständig von einem Schauplatz
zum anderen überspringt, erfreut zugleich die Kunst, mit welcher sie die großen
Strömungen der Politik hervortreten läßt.

Und dabei ist denn doch überall der warme Antheil des Verfassers an
den Schicksalen seines Vaterlandes sichtbar. Ein freisinniger und patriotischer
Mann ist es, der die Feder führt, das ist so deutlich, daß man sich zuweilen
fragt, wie er an eine östreichische Universität kam und warum sein Buch zu
Venedig, der östreichischen Stadt, gedruckt wurde. -- Gleich im Eingang fesselt
die Betrachtung über die Ursachen, aus welchen zu derselben Zeit, da ander¬
wärts die nationalen Einheiten sich bildeten, Italien gleichsam ermüdet von
der Culturarbeit in seinem unruhigen aber glorreichen Laufe innehielt, sich
unter den entnervenden Schatten der vielen kleinen Höfe zurückzog und so in
einen Zustand bloser particularer Selbsterhaltung gerieth, der schließlich zur
Unterjochung Aller führte. Die Tendenz, eine Hegemoniemacht zu begrün¬
den und mit ihr die nationalen Kräfte Italiens gegen das Ausland zu¬
sammenzufassen, taucht zwar von Zeit zu Zeit immer wieder auf, bald von
Neapel, bald von Venedig, von Mailand, von Florenz, von Rom aus. Aber
jeder solche Versuch fordert nur die Gegnerschaft aller anderen heraus und
das System einer auf das Gleichgewicht der Staaten basirten Föderation,
wie es zu den Zeiten der Medici thatsächlich bestand, erhielt sich nur aufrecht,
so lange Friede war. Es beruhte nicht auf einer moralischen Idee, nicht
aus dem Grundsatz der Nationalität, sondern es war blos negativ, ein System
der Eifersucht, das bei dem Einfall der Fremden sofort auseinanderfallen
mußte. Man glaubt zu hören, wie der Ton der Rede bei unserm Geschicht¬
schreiber sich hebt, wenn er an jene entscheidenden Momente kommt, wo eine
nationale italienische Politik sich regt, wo die Befreiung von der Fremdherr¬
schaft als Zweck aufgestellt wird oder schon gar als erreichbares Ziel winkt.
Es ist später besonders die Politik der Venetianer und zuweilen auch die
des päpstlichen Hoff, welche sich zu wirklich nationalen Gesichtspunkten zu
erheben scheint. Mehr als einmal sprachen die Päpste es als ihre Politik
aus, Italien dadurch von den Fremden zu befreien, daß der eine durch den
anderen hinausgeworfen wurde, während die Venetianer, bald darauf ver¬
zichtend, daß es den italienischen Fürsten gelingen könnte, die Fremden zu
vertreiben, wenigstens ihr Augenmerk auf die Bändigung der beiden machte-


Staatsmanns Girolamo Morone zu Gebot, die beide werthvolle Ausbeute
lieferten. Endlich hat er selbst in den Archiven von Venedig, von Madrid,
von Simancas handschriftliche Schätze gehoben, die er für seine Darstellung
verwerthet. Damit gewinnt er lebendige Züge für die Schilderung von
Persönlichkeiten oder von Zuständen, jedoch ohne daß er sich in eigentliche
Detailmalerei einließe. Vielmehr ist die Erzählung knapp, einfach, und wäh¬
rend sie in strenger Ordnung fortschreitend beständig von einem Schauplatz
zum anderen überspringt, erfreut zugleich die Kunst, mit welcher sie die großen
Strömungen der Politik hervortreten läßt.

Und dabei ist denn doch überall der warme Antheil des Verfassers an
den Schicksalen seines Vaterlandes sichtbar. Ein freisinniger und patriotischer
Mann ist es, der die Feder führt, das ist so deutlich, daß man sich zuweilen
fragt, wie er an eine östreichische Universität kam und warum sein Buch zu
Venedig, der östreichischen Stadt, gedruckt wurde. — Gleich im Eingang fesselt
die Betrachtung über die Ursachen, aus welchen zu derselben Zeit, da ander¬
wärts die nationalen Einheiten sich bildeten, Italien gleichsam ermüdet von
der Culturarbeit in seinem unruhigen aber glorreichen Laufe innehielt, sich
unter den entnervenden Schatten der vielen kleinen Höfe zurückzog und so in
einen Zustand bloser particularer Selbsterhaltung gerieth, der schließlich zur
Unterjochung Aller führte. Die Tendenz, eine Hegemoniemacht zu begrün¬
den und mit ihr die nationalen Kräfte Italiens gegen das Ausland zu¬
sammenzufassen, taucht zwar von Zeit zu Zeit immer wieder auf, bald von
Neapel, bald von Venedig, von Mailand, von Florenz, von Rom aus. Aber
jeder solche Versuch fordert nur die Gegnerschaft aller anderen heraus und
das System einer auf das Gleichgewicht der Staaten basirten Föderation,
wie es zu den Zeiten der Medici thatsächlich bestand, erhielt sich nur aufrecht,
so lange Friede war. Es beruhte nicht auf einer moralischen Idee, nicht
aus dem Grundsatz der Nationalität, sondern es war blos negativ, ein System
der Eifersucht, das bei dem Einfall der Fremden sofort auseinanderfallen
mußte. Man glaubt zu hören, wie der Ton der Rede bei unserm Geschicht¬
schreiber sich hebt, wenn er an jene entscheidenden Momente kommt, wo eine
nationale italienische Politik sich regt, wo die Befreiung von der Fremdherr¬
schaft als Zweck aufgestellt wird oder schon gar als erreichbares Ziel winkt.
Es ist später besonders die Politik der Venetianer und zuweilen auch die
des päpstlichen Hoff, welche sich zu wirklich nationalen Gesichtspunkten zu
erheben scheint. Mehr als einmal sprachen die Päpste es als ihre Politik
aus, Italien dadurch von den Fremden zu befreien, daß der eine durch den
anderen hinausgeworfen wurde, während die Venetianer, bald darauf ver¬
zichtend, daß es den italienischen Fürsten gelingen könnte, die Fremden zu
vertreiben, wenigstens ihr Augenmerk auf die Bändigung der beiden machte-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/302>, abgerufen am 28.09.2024.