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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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auch nur um einen Athemzug freier, auch nur ein existenzberechtigter Blüthen¬
keim mehr sich zu einem frischen grünen Blatte entfalten würde, darf be¬
zweifelt werden. Kaum weniger ironisch kann man sich der Forderung gegen¬
über verhalten, die Hinterlegung des Pflichtexemplars auszumerzen. Auch
diese Vorsichtsmaßregel ist recht überflüssig, ihre Beseitigung würde einige
langweilige Molesten aus der Welt schaffen, und sicherlich von den Lauf¬
burschen der Zeitungsexpeditionen wie von den Lectoren des berliner Pre߬
bureaus mit Enthusiasmus begrüßt werden. Wie absolut Nichts würden diese
Reformen aber neben all' den sonst die Presse umlauernden Gefahren verschlagen!

Ein gutes Theil radicaler klingt allerdings ein ferneres Postulat jenes
Antrags, das sich direct gegen die principielle Zulässigkeit der s. g. vorläufi¬
gen Beschlagnahme einer Druckschrift wendet, und statt dessen lieber gleich
die positive Unzulässigkeit ausgesprochen wissen will. Das nenne ich in
Wirklichkeit das Kind mit dem Bade ausschütten. Blos um die Preßver¬
folgungen unwirksamer und unschädlicher zu machen, will man mit einem
Schlage das gedruckte Werk in einer Weise privilegiren, die weder mit dem
gesunden Menschenverstande, noch mit dem gemeinen Landesrechte vereinbar
ist. Sitz der Materie ist der § 29 unseres Preßgesetzes, welcher besagt, daß
wenn eine Druckschrift gegen die äußere Form, die vorgeschriebene Bezeich¬
nung des Druckers, Verlegers, Redacteurs verstößt, sie sogleich, -- wenn ihr
Inhalt den Thatbestand einer strafbaren Handlung darstellt, sie nach ihrer
Veröffentlichung durch die Staatsanwaltschaft "und ihre Organe" vorläufig
mit Beschlag belegt werden kann, daß die Organe innerhalb 24 Stunden
der Staatsanwaltschaft die Verhandlangen vorlegen, diese innerhalb gleicher
Frist, falls sie die Beschlagnahme aufrecht erhalten will, dem Gerichte ihre
Anträge zustellen, das Gericht innerhalb acht Tagen Beschluß fassen muß.
Wollte man diesen Paragraphen aus dem Preßgesetz einfach streichen, so
würde sich das absonderliche Resultat ergeben, daß das polizeiliche und staats-
anwaltliche Recht der Beschlagnahme von Druckschriften statt aufgehoben zu
sein, von den wesentlichsten Beschränkungen plötzlich befreit wäre. Wenn es
Herr Duncker nicht wußte, hätte es Herr Eberty wissen sollen, daß der § 29
den Strafbehörden nicht ein neues Recht gibt, sondern eine ihnen ohnehin
zustehende Befugniß mit wohlthätigen Schranken umgibt, daß die Befugniß,
verdächtige Druckschriften zu saisiren, ein nothwendiger, natürlicher, unver¬
meidlicher Ausfluß der Strafgewalt nach allgemeinen positiven Gesetzes¬
bestimmungen zustehenden Obliegenheit ist, corpora äelieti und Ueberführungs¬
stücke mit Beschlag zu belegen. Oder soll das gedruckte Werk schlechterdings
durch die Druckerschwärze gefeit und sacrosanct sein? Und wenn das ge¬
druckte Werk, warum nicht auch das geschriebene? Warum soll die Litho¬
graphie, Metallographie, Photographie weniger geschützt sein? Was dem


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auch nur um einen Athemzug freier, auch nur ein existenzberechtigter Blüthen¬
keim mehr sich zu einem frischen grünen Blatte entfalten würde, darf be¬
zweifelt werden. Kaum weniger ironisch kann man sich der Forderung gegen¬
über verhalten, die Hinterlegung des Pflichtexemplars auszumerzen. Auch
diese Vorsichtsmaßregel ist recht überflüssig, ihre Beseitigung würde einige
langweilige Molesten aus der Welt schaffen, und sicherlich von den Lauf¬
burschen der Zeitungsexpeditionen wie von den Lectoren des berliner Pre߬
bureaus mit Enthusiasmus begrüßt werden. Wie absolut Nichts würden diese
Reformen aber neben all' den sonst die Presse umlauernden Gefahren verschlagen!

Ein gutes Theil radicaler klingt allerdings ein ferneres Postulat jenes
Antrags, das sich direct gegen die principielle Zulässigkeit der s. g. vorläufi¬
gen Beschlagnahme einer Druckschrift wendet, und statt dessen lieber gleich
die positive Unzulässigkeit ausgesprochen wissen will. Das nenne ich in
Wirklichkeit das Kind mit dem Bade ausschütten. Blos um die Preßver¬
folgungen unwirksamer und unschädlicher zu machen, will man mit einem
Schlage das gedruckte Werk in einer Weise privilegiren, die weder mit dem
gesunden Menschenverstande, noch mit dem gemeinen Landesrechte vereinbar
ist. Sitz der Materie ist der § 29 unseres Preßgesetzes, welcher besagt, daß
wenn eine Druckschrift gegen die äußere Form, die vorgeschriebene Bezeich¬
nung des Druckers, Verlegers, Redacteurs verstößt, sie sogleich, — wenn ihr
Inhalt den Thatbestand einer strafbaren Handlung darstellt, sie nach ihrer
Veröffentlichung durch die Staatsanwaltschaft „und ihre Organe" vorläufig
mit Beschlag belegt werden kann, daß die Organe innerhalb 24 Stunden
der Staatsanwaltschaft die Verhandlangen vorlegen, diese innerhalb gleicher
Frist, falls sie die Beschlagnahme aufrecht erhalten will, dem Gerichte ihre
Anträge zustellen, das Gericht innerhalb acht Tagen Beschluß fassen muß.
Wollte man diesen Paragraphen aus dem Preßgesetz einfach streichen, so
würde sich das absonderliche Resultat ergeben, daß das polizeiliche und staats-
anwaltliche Recht der Beschlagnahme von Druckschriften statt aufgehoben zu
sein, von den wesentlichsten Beschränkungen plötzlich befreit wäre. Wenn es
Herr Duncker nicht wußte, hätte es Herr Eberty wissen sollen, daß der § 29
den Strafbehörden nicht ein neues Recht gibt, sondern eine ihnen ohnehin
zustehende Befugniß mit wohlthätigen Schranken umgibt, daß die Befugniß,
verdächtige Druckschriften zu saisiren, ein nothwendiger, natürlicher, unver¬
meidlicher Ausfluß der Strafgewalt nach allgemeinen positiven Gesetzes¬
bestimmungen zustehenden Obliegenheit ist, corpora äelieti und Ueberführungs¬
stücke mit Beschlag zu belegen. Oder soll das gedruckte Werk schlechterdings
durch die Druckerschwärze gefeit und sacrosanct sein? Und wenn das ge¬
druckte Werk, warum nicht auch das geschriebene? Warum soll die Litho¬
graphie, Metallographie, Photographie weniger geschützt sein? Was dem


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[0295] auch nur um einen Athemzug freier, auch nur ein existenzberechtigter Blüthen¬ keim mehr sich zu einem frischen grünen Blatte entfalten würde, darf be¬ zweifelt werden. Kaum weniger ironisch kann man sich der Forderung gegen¬ über verhalten, die Hinterlegung des Pflichtexemplars auszumerzen. Auch diese Vorsichtsmaßregel ist recht überflüssig, ihre Beseitigung würde einige langweilige Molesten aus der Welt schaffen, und sicherlich von den Lauf¬ burschen der Zeitungsexpeditionen wie von den Lectoren des berliner Pre߬ bureaus mit Enthusiasmus begrüßt werden. Wie absolut Nichts würden diese Reformen aber neben all' den sonst die Presse umlauernden Gefahren verschlagen! Ein gutes Theil radicaler klingt allerdings ein ferneres Postulat jenes Antrags, das sich direct gegen die principielle Zulässigkeit der s. g. vorläufi¬ gen Beschlagnahme einer Druckschrift wendet, und statt dessen lieber gleich die positive Unzulässigkeit ausgesprochen wissen will. Das nenne ich in Wirklichkeit das Kind mit dem Bade ausschütten. Blos um die Preßver¬ folgungen unwirksamer und unschädlicher zu machen, will man mit einem Schlage das gedruckte Werk in einer Weise privilegiren, die weder mit dem gesunden Menschenverstande, noch mit dem gemeinen Landesrechte vereinbar ist. Sitz der Materie ist der § 29 unseres Preßgesetzes, welcher besagt, daß wenn eine Druckschrift gegen die äußere Form, die vorgeschriebene Bezeich¬ nung des Druckers, Verlegers, Redacteurs verstößt, sie sogleich, — wenn ihr Inhalt den Thatbestand einer strafbaren Handlung darstellt, sie nach ihrer Veröffentlichung durch die Staatsanwaltschaft „und ihre Organe" vorläufig mit Beschlag belegt werden kann, daß die Organe innerhalb 24 Stunden der Staatsanwaltschaft die Verhandlangen vorlegen, diese innerhalb gleicher Frist, falls sie die Beschlagnahme aufrecht erhalten will, dem Gerichte ihre Anträge zustellen, das Gericht innerhalb acht Tagen Beschluß fassen muß. Wollte man diesen Paragraphen aus dem Preßgesetz einfach streichen, so würde sich das absonderliche Resultat ergeben, daß das polizeiliche und staats- anwaltliche Recht der Beschlagnahme von Druckschriften statt aufgehoben zu sein, von den wesentlichsten Beschränkungen plötzlich befreit wäre. Wenn es Herr Duncker nicht wußte, hätte es Herr Eberty wissen sollen, daß der § 29 den Strafbehörden nicht ein neues Recht gibt, sondern eine ihnen ohnehin zustehende Befugniß mit wohlthätigen Schranken umgibt, daß die Befugniß, verdächtige Druckschriften zu saisiren, ein nothwendiger, natürlicher, unver¬ meidlicher Ausfluß der Strafgewalt nach allgemeinen positiven Gesetzes¬ bestimmungen zustehenden Obliegenheit ist, corpora äelieti und Ueberführungs¬ stücke mit Beschlag zu belegen. Oder soll das gedruckte Werk schlechterdings durch die Druckerschwärze gefeit und sacrosanct sein? Und wenn das ge¬ druckte Werk, warum nicht auch das geschriebene? Warum soll die Litho¬ graphie, Metallographie, Photographie weniger geschützt sein? Was dem 36 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/295>, abgerufen am 28.09.2024.