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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Pasquill und der obscönen Druckschrift recht ist, muß jeder Art von Carri-
catur und obscönem Bildwerk billig sein. Da lobe ich mir. doch gleich die
consequente Methode eines holländisch-französischen Juristen neuster Schule,
eines Herrn Buyn, der in einer 1867 in Amsterdam erschienenen Schrift "ig,
Iibert6 as 1a parole" so hoch stellt, daß er das menschliche Wort in jeder
Form, jeder Aeußerung und jeder Beziehung dem Bereich des auf das Gebiet
der "Handlungen" reducirten Strafrechts grundsätzlich entzieht. Ist dies
nun noch ein zartbesaiteter Idealismus oder ein grobschlächtiger Materialis¬
mus? Wird der Empfindungsnerv und der geistige Contact im Kulturleben
der Zukunft die größere Rolle spielen, oder der Bewegungsmuskel und der
rein sinnliche Eindruck? Davon, glaube ich, wird es abhängen, welche
Stellung ein ideales Strafrecht dem Worte zuweisen, wieviel oder wie
wenig criminellen Werth es den lediglich durch die Sprache vermittelten Ein¬
griffen in die geistige, die moralische, die seelische Individualität beilegen wird.

Um bei unserem Gegenstande zu bleiben, so würde der § 29 des Pre߬
gesetzes seiner wohlwollenden Absicht, seinem unverfänglichen Wortlaute, sei¬
nen kurzen Fristen >nach der Presse kaum einen Grund ernsthaftester Be¬
schwerde haben abgeben können, wenn nicht trotz dieses Paragraphen in der
tollen Reaetionswirthschaft der Hinckeldey'schen Aera Mißbräuche der ärgsten
Art von einer allmächtigen Polizei legalisirt worden wären. Grade hierin
zeigt es sich aber, wie keine noch so unzweideutige Sprache des Gesetzes vor
der Willkür schützen kann, sobald die Institutionen des Landes das Gesetz
nicht schützen. Das Preßgesetz war eben ein halbes Jahr in Geltung, als
es dem Justizmintster Simons beliebte, durch ein Rescript vom 25. Novem¬
ber 1851 die §§ 29 und 31 auf den Kopf zu stellen und mit dürren Worten
zu erklären, daß die Staatsanwaltschaft, von deren gewissenhaftem Ermessen
die Beschlagnahme zunächst abhängig gemacht war, nicht etwa, wie dies der
§ 31 verordne, die Polizeibehörden als ihre "Organe" anzusehen, sondern
sich als "Organ" der Polizeibehörden zu geriren habe. Das Rescript, das
auch heute noch in ganz Preußen in unangefochtener Geltung
besteht, ist für die Kenntniß der Zeitgeschichte denkwürdig genug, um seinen
wesentlichen Wortlaut hier in die Erinnerung zurückzurufen. Nach einer den
Inhalt der §§ 29 und 31 recapitulirenden Einleitung erklärt der Chef der
preußischen Justiz-.

"Bei Ausführung dieser Bestimmungen kommen für die Beamten der
Staatsanwaltschaft folgende Gesichtspunkte in Betracht. Wenn ein vorläufig
angelegter Beschlag wieder aufgehoben und die Druckschrift dadurch der Cir¬
kulation übergeben wird, so tritt der Schaden, den die Schrift anrichten
kann, sofort ein (siel); er bleibt, wenn der Kreis der Leser sich erweitert,
ein fortwirkender (siel); das Uebel welches durch sie hervorgebracht wird, er-


Pasquill und der obscönen Druckschrift recht ist, muß jeder Art von Carri-
catur und obscönem Bildwerk billig sein. Da lobe ich mir. doch gleich die
consequente Methode eines holländisch-französischen Juristen neuster Schule,
eines Herrn Buyn, der in einer 1867 in Amsterdam erschienenen Schrift „ig,
Iibert6 as 1a parole" so hoch stellt, daß er das menschliche Wort in jeder
Form, jeder Aeußerung und jeder Beziehung dem Bereich des auf das Gebiet
der „Handlungen" reducirten Strafrechts grundsätzlich entzieht. Ist dies
nun noch ein zartbesaiteter Idealismus oder ein grobschlächtiger Materialis¬
mus? Wird der Empfindungsnerv und der geistige Contact im Kulturleben
der Zukunft die größere Rolle spielen, oder der Bewegungsmuskel und der
rein sinnliche Eindruck? Davon, glaube ich, wird es abhängen, welche
Stellung ein ideales Strafrecht dem Worte zuweisen, wieviel oder wie
wenig criminellen Werth es den lediglich durch die Sprache vermittelten Ein¬
griffen in die geistige, die moralische, die seelische Individualität beilegen wird.

Um bei unserem Gegenstande zu bleiben, so würde der § 29 des Pre߬
gesetzes seiner wohlwollenden Absicht, seinem unverfänglichen Wortlaute, sei¬
nen kurzen Fristen >nach der Presse kaum einen Grund ernsthaftester Be¬
schwerde haben abgeben können, wenn nicht trotz dieses Paragraphen in der
tollen Reaetionswirthschaft der Hinckeldey'schen Aera Mißbräuche der ärgsten
Art von einer allmächtigen Polizei legalisirt worden wären. Grade hierin
zeigt es sich aber, wie keine noch so unzweideutige Sprache des Gesetzes vor
der Willkür schützen kann, sobald die Institutionen des Landes das Gesetz
nicht schützen. Das Preßgesetz war eben ein halbes Jahr in Geltung, als
es dem Justizmintster Simons beliebte, durch ein Rescript vom 25. Novem¬
ber 1851 die §§ 29 und 31 auf den Kopf zu stellen und mit dürren Worten
zu erklären, daß die Staatsanwaltschaft, von deren gewissenhaftem Ermessen
die Beschlagnahme zunächst abhängig gemacht war, nicht etwa, wie dies der
§ 31 verordne, die Polizeibehörden als ihre „Organe" anzusehen, sondern
sich als „Organ" der Polizeibehörden zu geriren habe. Das Rescript, das
auch heute noch in ganz Preußen in unangefochtener Geltung
besteht, ist für die Kenntniß der Zeitgeschichte denkwürdig genug, um seinen
wesentlichen Wortlaut hier in die Erinnerung zurückzurufen. Nach einer den
Inhalt der §§ 29 und 31 recapitulirenden Einleitung erklärt der Chef der
preußischen Justiz-.

„Bei Ausführung dieser Bestimmungen kommen für die Beamten der
Staatsanwaltschaft folgende Gesichtspunkte in Betracht. Wenn ein vorläufig
angelegter Beschlag wieder aufgehoben und die Druckschrift dadurch der Cir¬
kulation übergeben wird, so tritt der Schaden, den die Schrift anrichten
kann, sofort ein (siel); er bleibt, wenn der Kreis der Leser sich erweitert,
ein fortwirkender (siel); das Uebel welches durch sie hervorgebracht wird, er-


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[0296] Pasquill und der obscönen Druckschrift recht ist, muß jeder Art von Carri- catur und obscönem Bildwerk billig sein. Da lobe ich mir. doch gleich die consequente Methode eines holländisch-französischen Juristen neuster Schule, eines Herrn Buyn, der in einer 1867 in Amsterdam erschienenen Schrift „ig, Iibert6 as 1a parole" so hoch stellt, daß er das menschliche Wort in jeder Form, jeder Aeußerung und jeder Beziehung dem Bereich des auf das Gebiet der „Handlungen" reducirten Strafrechts grundsätzlich entzieht. Ist dies nun noch ein zartbesaiteter Idealismus oder ein grobschlächtiger Materialis¬ mus? Wird der Empfindungsnerv und der geistige Contact im Kulturleben der Zukunft die größere Rolle spielen, oder der Bewegungsmuskel und der rein sinnliche Eindruck? Davon, glaube ich, wird es abhängen, welche Stellung ein ideales Strafrecht dem Worte zuweisen, wieviel oder wie wenig criminellen Werth es den lediglich durch die Sprache vermittelten Ein¬ griffen in die geistige, die moralische, die seelische Individualität beilegen wird. Um bei unserem Gegenstande zu bleiben, so würde der § 29 des Pre߬ gesetzes seiner wohlwollenden Absicht, seinem unverfänglichen Wortlaute, sei¬ nen kurzen Fristen >nach der Presse kaum einen Grund ernsthaftester Be¬ schwerde haben abgeben können, wenn nicht trotz dieses Paragraphen in der tollen Reaetionswirthschaft der Hinckeldey'schen Aera Mißbräuche der ärgsten Art von einer allmächtigen Polizei legalisirt worden wären. Grade hierin zeigt es sich aber, wie keine noch so unzweideutige Sprache des Gesetzes vor der Willkür schützen kann, sobald die Institutionen des Landes das Gesetz nicht schützen. Das Preßgesetz war eben ein halbes Jahr in Geltung, als es dem Justizmintster Simons beliebte, durch ein Rescript vom 25. Novem¬ ber 1851 die §§ 29 und 31 auf den Kopf zu stellen und mit dürren Worten zu erklären, daß die Staatsanwaltschaft, von deren gewissenhaftem Ermessen die Beschlagnahme zunächst abhängig gemacht war, nicht etwa, wie dies der § 31 verordne, die Polizeibehörden als ihre „Organe" anzusehen, sondern sich als „Organ" der Polizeibehörden zu geriren habe. Das Rescript, das auch heute noch in ganz Preußen in unangefochtener Geltung besteht, ist für die Kenntniß der Zeitgeschichte denkwürdig genug, um seinen wesentlichen Wortlaut hier in die Erinnerung zurückzurufen. Nach einer den Inhalt der §§ 29 und 31 recapitulirenden Einleitung erklärt der Chef der preußischen Justiz-. „Bei Ausführung dieser Bestimmungen kommen für die Beamten der Staatsanwaltschaft folgende Gesichtspunkte in Betracht. Wenn ein vorläufig angelegter Beschlag wieder aufgehoben und die Druckschrift dadurch der Cir¬ kulation übergeben wird, so tritt der Schaden, den die Schrift anrichten kann, sofort ein (siel); er bleibt, wenn der Kreis der Leser sich erweitert, ein fortwirkender (siel); das Uebel welches durch sie hervorgebracht wird, er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/296>, abgerufen am 20.10.2024.