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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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wenden oder zu befolgen hat, für jeden ehrlichen Mann, der es liest, zu
einer häßlichen, unbehaglichen, verwirrenden Erscheinung. Manche Bestim¬
mungen sind theils mit absoluter Unfruchtbarkeit für den praktischen Gebrauch
behaftet, theils so unbedingt unverständlich und fragwürdig, daß man selbst
mit Zuhilfenahme der s. g. Materialien, vielleicht des französischen Grund¬
iertes, dessen deutsche Uebertragung wir vor uns sahen, verzweifelt vor der
Aufgabe still steht, in den Worten den beabsichtigten Sinn wiederzufinden.
Hier könnte freilich viel geändert, gebessert, beseitigt werden. Aber machen
wir uns darüber keine Illusionen: jedes "Preßgesetz" ruht auf der Voraus¬
setzung , das Preßgewerbe und seine Erzeugnisse bedürften besonderer Control-
vorschriften, wie etwa der Handel mit Gift; es hat das Mißtrauen gegen
die Presse zur innersten Seele, und die Beschränkung zu seinem grundsätz¬
lichen Zweck. Schließlich bleibt es immer ein zweifelhafter Gewinn, eine
ungeschickte Reglementirerei mit einer geschickteren zu vertauschen. Das Ziel,
das vernünftiger Weise allein des Strebens werth ist, ist die Presse dem ge¬
meinen Rechte des Landes zu unterwerfen, das gedruckte Wort nicht anders
zu behandeln, wie das geschriebene, und das gemeine Recht selbst von allen
die Willkür begünstigenden Bestimmungen und Einrichtungen zu reinigen.
Dies Ziel droht auf jenem Wege aber eher verloren zu gehen, als gewon¬
nen zu werden.

So, meine ich, sind die eingeschnürte Lage und die peinlichen Tracasse-
rien, über welche die preußische Presse mit Recht Klage führt, viel weniger
dem Preßgesetz zuzuschreiben, als den organischen Fehlern unserer Ge¬
richts- und Polizeiverfassung. Die Cautionspflicht der Zeitungen, welche der
Duncker-Eberty'sche Antrag aufgehoben wissen will, hat schwerlich in erheb¬
licher Weise eine üppige Entfaltung der periodischen Presse gehindert, oder
die bestehenden "Gazellen genirt". Unbequem mag die Caution sein, und
vernünftig zu rechtfertigen, ist sie schwerlich. Aber weder die buchhändlerische
Speculation, noch das politische Parteibedürfniß wird heutzutage leicht wegen
Beschaffung eines baaren Capitals von 1000--4000 Thlr. in Verlegenheit
gerathen, wenn sonst der zur Gründung einer neuen Zeitschrift erforderliche
Unternehmungsfond da ist. Es ist möglich, daß wir in dieser literarischen,
wie in manchen anderen nicht literarischen Dingen noch hinter den nord¬
amerikanischen Zuständen etwas zurück sind. Im Ganzen dürfen wir in-
' dessen annehmen, daß auch bei uns die Tagesschriftstelleret allen Schichten
des Publicums reichlicher politische Nahrung zuführt, als dieses irgend,
ich will nicht sagen, zu verdauen, doch aufzunehmen Lust hat. Die Cautions¬
pflicht könnte in Gottes Namen morgen verschwinden: unbedingt würde dann
ein sehr respectables Capital, das in den Staatseassen zu dürftigem Zins fest¬
gehalten wird, einer anständigen Rentabilität zueilen -- ob aber die Presse


wenden oder zu befolgen hat, für jeden ehrlichen Mann, der es liest, zu
einer häßlichen, unbehaglichen, verwirrenden Erscheinung. Manche Bestim¬
mungen sind theils mit absoluter Unfruchtbarkeit für den praktischen Gebrauch
behaftet, theils so unbedingt unverständlich und fragwürdig, daß man selbst
mit Zuhilfenahme der s. g. Materialien, vielleicht des französischen Grund¬
iertes, dessen deutsche Uebertragung wir vor uns sahen, verzweifelt vor der
Aufgabe still steht, in den Worten den beabsichtigten Sinn wiederzufinden.
Hier könnte freilich viel geändert, gebessert, beseitigt werden. Aber machen
wir uns darüber keine Illusionen: jedes „Preßgesetz" ruht auf der Voraus¬
setzung , das Preßgewerbe und seine Erzeugnisse bedürften besonderer Control-
vorschriften, wie etwa der Handel mit Gift; es hat das Mißtrauen gegen
die Presse zur innersten Seele, und die Beschränkung zu seinem grundsätz¬
lichen Zweck. Schließlich bleibt es immer ein zweifelhafter Gewinn, eine
ungeschickte Reglementirerei mit einer geschickteren zu vertauschen. Das Ziel,
das vernünftiger Weise allein des Strebens werth ist, ist die Presse dem ge¬
meinen Rechte des Landes zu unterwerfen, das gedruckte Wort nicht anders
zu behandeln, wie das geschriebene, und das gemeine Recht selbst von allen
die Willkür begünstigenden Bestimmungen und Einrichtungen zu reinigen.
Dies Ziel droht auf jenem Wege aber eher verloren zu gehen, als gewon¬
nen zu werden.

So, meine ich, sind die eingeschnürte Lage und die peinlichen Tracasse-
rien, über welche die preußische Presse mit Recht Klage führt, viel weniger
dem Preßgesetz zuzuschreiben, als den organischen Fehlern unserer Ge¬
richts- und Polizeiverfassung. Die Cautionspflicht der Zeitungen, welche der
Duncker-Eberty'sche Antrag aufgehoben wissen will, hat schwerlich in erheb¬
licher Weise eine üppige Entfaltung der periodischen Presse gehindert, oder
die bestehenden »Gazellen genirt". Unbequem mag die Caution sein, und
vernünftig zu rechtfertigen, ist sie schwerlich. Aber weder die buchhändlerische
Speculation, noch das politische Parteibedürfniß wird heutzutage leicht wegen
Beschaffung eines baaren Capitals von 1000—4000 Thlr. in Verlegenheit
gerathen, wenn sonst der zur Gründung einer neuen Zeitschrift erforderliche
Unternehmungsfond da ist. Es ist möglich, daß wir in dieser literarischen,
wie in manchen anderen nicht literarischen Dingen noch hinter den nord¬
amerikanischen Zuständen etwas zurück sind. Im Ganzen dürfen wir in-
' dessen annehmen, daß auch bei uns die Tagesschriftstelleret allen Schichten
des Publicums reichlicher politische Nahrung zuführt, als dieses irgend,
ich will nicht sagen, zu verdauen, doch aufzunehmen Lust hat. Die Cautions¬
pflicht könnte in Gottes Namen morgen verschwinden: unbedingt würde dann
ein sehr respectables Capital, das in den Staatseassen zu dürftigem Zins fest¬
gehalten wird, einer anständigen Rentabilität zueilen — ob aber die Presse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/294>, abgerufen am 28.09.2024.