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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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viel dabei heraus; die Arbeit der Handwerker ist durchweg naiv und mangel¬
haft. Auf den Nudelfabrikanten folgt eine der zahllosen Trattorien, die es
hier in allen erdenklichen Abstufungen giebt. Wieder nur ein einziger Raum,
und die Vorräthe weit in die Straße hineingebaut. Die Thür und das
Büffet -- wenn man diesen stolzen Namen anwenden will -- sind garnirt
mit Büscheln von rothen Früchten, meist Paradiesäpfeln, mit Maiskolben,
Endivienstauden, Fettblasen, Würsten; die Tische sind mit Käse, Brod und
classisch geformten Weinflaschen besetzt; in der Pfanne schmoren Maccaroni,
Würstchen oder Fische. An Zuspruch fehlt es nicht; nur bleibt hier Nie¬
mand lange sitzen. Daß sich schmutzige Kinder zwischen den Körben und
Tischen herumwälzen, daß eine Bande Pifferari sich zu ihm setzt und ihm
die Ohren volldudelt, wird hier den Gast nicht belästigen; ein reinliches und
ruhiges Plätzchen ist in diesem ganzen Stadttheile ohnehin nicht zu finden.

Aber so ein Stück Straße, von den Häusern aus so mannigfach belebt,
empfängt doch erst aus dem allgemeinen Verkehr seinen rechten Tumult. Hun¬
derte von lasttragenden Eseln und Maulthieren, von Fuhrwerken aller Art
bewegen sich fortwährend mit und gegen einander. Das unglückselige Last¬
thier hat nicht nur rechts und links zwei hochgepackte Gemüsekörbe, sondern
oben drauf auch noch den Lümmel von Producenten zu tragen, der es an¬
schreit, schlägt und stößt; und auf einem einzigen der vom Lande herein¬
kommenden Carreten, die nur von einem elenden Pferde gezogen werden,
sieht man oft zwölf, ja mehr Personen kauern, sitzen und stehen, den Geist¬
lichen mitten darunter. Dann noch Trab den Berg hinauf und herab: --
nirgends werden die Thiere so schlecht behandelt wie hier; alle Augenblicke
fühlt man sich durch irgend eine capitale Schinderei erbittert. Victor Hehn
in seinen Ansichten von Italien weiß auch dies zu entschuldigen. Diese
Thierquälerei soll ein Rest der antiken Objectivität sein, welche kein senti¬
mentales Verhältniß zur Thierwelt kannte. Nun ja, absolut aus der Luft
gegriffen ist die Bemerkung nicht; aber zwischen sentimentaler und einfach
guter Behandlung ist auch noch ein Unterschied. Und wie liebenswürdig
war nicht doch das Verhältniß des alten Poliphem zu seinem Hauptbock!
So durchaus fremd war doch also der antiken Anschauung die Liebe zu den
Thieren nicht. Wie wenig aber hier das Seelenleben der Thiere verstanden
wird, geht schon daraus hervor, daß der Hund, dieser mehr, treue und ge¬
müthvolle, als praktisch nützliche "jüngere Bruder" des Menschen hier eine
sehr seltene Erscheinung ist.

Ganz staunenswürdig ist es, daß bei dem Durcheinanderdrängen und
Schieben von Wagen, Lastthieren und Menschen sich nie der geringste Un¬
glücksfall ereignet. Da laufen Kinder am Rande des Fahrwegs umher,
spielen mit Kugeln, Orangen, Ziegelsteinen, oder was sie sonst zur Hand


viel dabei heraus; die Arbeit der Handwerker ist durchweg naiv und mangel¬
haft. Auf den Nudelfabrikanten folgt eine der zahllosen Trattorien, die es
hier in allen erdenklichen Abstufungen giebt. Wieder nur ein einziger Raum,
und die Vorräthe weit in die Straße hineingebaut. Die Thür und das
Büffet — wenn man diesen stolzen Namen anwenden will — sind garnirt
mit Büscheln von rothen Früchten, meist Paradiesäpfeln, mit Maiskolben,
Endivienstauden, Fettblasen, Würsten; die Tische sind mit Käse, Brod und
classisch geformten Weinflaschen besetzt; in der Pfanne schmoren Maccaroni,
Würstchen oder Fische. An Zuspruch fehlt es nicht; nur bleibt hier Nie¬
mand lange sitzen. Daß sich schmutzige Kinder zwischen den Körben und
Tischen herumwälzen, daß eine Bande Pifferari sich zu ihm setzt und ihm
die Ohren volldudelt, wird hier den Gast nicht belästigen; ein reinliches und
ruhiges Plätzchen ist in diesem ganzen Stadttheile ohnehin nicht zu finden.

Aber so ein Stück Straße, von den Häusern aus so mannigfach belebt,
empfängt doch erst aus dem allgemeinen Verkehr seinen rechten Tumult. Hun¬
derte von lasttragenden Eseln und Maulthieren, von Fuhrwerken aller Art
bewegen sich fortwährend mit und gegen einander. Das unglückselige Last¬
thier hat nicht nur rechts und links zwei hochgepackte Gemüsekörbe, sondern
oben drauf auch noch den Lümmel von Producenten zu tragen, der es an¬
schreit, schlägt und stößt; und auf einem einzigen der vom Lande herein¬
kommenden Carreten, die nur von einem elenden Pferde gezogen werden,
sieht man oft zwölf, ja mehr Personen kauern, sitzen und stehen, den Geist¬
lichen mitten darunter. Dann noch Trab den Berg hinauf und herab: —
nirgends werden die Thiere so schlecht behandelt wie hier; alle Augenblicke
fühlt man sich durch irgend eine capitale Schinderei erbittert. Victor Hehn
in seinen Ansichten von Italien weiß auch dies zu entschuldigen. Diese
Thierquälerei soll ein Rest der antiken Objectivität sein, welche kein senti¬
mentales Verhältniß zur Thierwelt kannte. Nun ja, absolut aus der Luft
gegriffen ist die Bemerkung nicht; aber zwischen sentimentaler und einfach
guter Behandlung ist auch noch ein Unterschied. Und wie liebenswürdig
war nicht doch das Verhältniß des alten Poliphem zu seinem Hauptbock!
So durchaus fremd war doch also der antiken Anschauung die Liebe zu den
Thieren nicht. Wie wenig aber hier das Seelenleben der Thiere verstanden
wird, geht schon daraus hervor, daß der Hund, dieser mehr, treue und ge¬
müthvolle, als praktisch nützliche „jüngere Bruder" des Menschen hier eine
sehr seltene Erscheinung ist.

Ganz staunenswürdig ist es, daß bei dem Durcheinanderdrängen und
Schieben von Wagen, Lastthieren und Menschen sich nie der geringste Un¬
glücksfall ereignet. Da laufen Kinder am Rande des Fahrwegs umher,
spielen mit Kugeln, Orangen, Ziegelsteinen, oder was sie sonst zur Hand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/275>, abgerufen am 28.09.2024.