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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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englischen Fregatte zu ehren. Werden wir hier einigermaßen bekannt, hoffe
ich Schiller und Goethe noch ein ?as as äsux tanzen zu sehen.




Die Beobachtungen zusammenzutragen und zu fixiren, die ich bisher an den
Bewohnern dieser seltsamen Stadt gemacht, habe ich gewartet, um erst mit
einiger Sicherheit die stehenden und wiederkehrenden Erscheinungen von den
zufälligen und momentanen zu unterscheiden, auch um etwa so zu sagen das
Mittel des Volkscharakters festzustellen und ein etwaiges Mehr oder Minder,
das durch vorübergehende politische oder sociale Verhältnisse zu erklären wäre,
an seinem Orte und mit seinen Ursachen 'zu betrachten. Gerechtigkeit gegen
ein fremdes Volk ist ohnehin eine schwere Sache. Mit der fremden Natur
ist es kaum anders, und es gehört immer eine gewisse Beweglichkeit des
Geistes und Bildung des ästhetischen Sinnes dazu, um die Schönheit einer
fremdartigen Landschaft zu erkennen und wirklich zu genießen. Aber die
Natur dringt nicht so auf uns ein wie das Volk, das gehört, mit dem ver¬
handelt sein will, und das uns an seinen Gewohnheiten betheiligt zu sehen
wünscht.

Und diese Gewohnheiten -- wie sind sie durchaus von dem Charakter
der umgebenden Natur abhängig! Das ist das Erste und Wichtigste, was
berücksichtigt werden muß. Was das hiesige Klima am stärksten von dem
unsrigen unterscheidet, ist dieß, daß die natürlichen Epochen des Jahres, die
bei uns so stark einschneiden, hier fast ganz verwischt sind. Der Winter
ist hier nur ein verminderter Sommer, er fordert keine Veränderung der
Lebensweise. Wir sahen vor einigen Tagen junge Erbsen, im Freien ge¬
wachsen , auf dem Markte; an demselben Tage blühende Erbsenbeete in den
Weingärten, und die große Bohne schießt schon längst überall kräftig empor.
Für einen halben Frank kauft man an den Straßenecken die mächtigsten
Rosenbouquets, die schönsten Camelliensträuße; rothe Geranien, die blauen
Blüthen eines Rankengewächses sieht man noch häusig in den Gärten, von
denen auch die meisten nur immergrüne Bäume haben, und die Orange wird
hier Ende Januar geerntet. Um die köstlich duftenden honigreicher Blüthen
der Terebinthe summen die Bienen, die hier, wie es scheint, zu arbeiten nicht
aufhören; die Beete, die noch unbestellt geblieben sind, glänzen von gelb¬
blühendem Unkraut; die Magnolie, an der noch die Samenkolben mit ihren
rothen Kernen hängen, treibt schon wieder, die Citrone, ihrer Sommerfrucht
noch nicht entlastet, zeigt bereits Blüthenknospen und rasch, ehe deren alles
betäubende Duft ausbricht, nimmt das Veilchen die Zeit für seine bescheidene
Blüthe wahr: so reichen sich Sommer und Frühjahr über den Winter hin¬
weg die Hand. Nach wie vor verkauft der Limonadenhändler seine Eislimo-


englischen Fregatte zu ehren. Werden wir hier einigermaßen bekannt, hoffe
ich Schiller und Goethe noch ein ?as as äsux tanzen zu sehen.




Die Beobachtungen zusammenzutragen und zu fixiren, die ich bisher an den
Bewohnern dieser seltsamen Stadt gemacht, habe ich gewartet, um erst mit
einiger Sicherheit die stehenden und wiederkehrenden Erscheinungen von den
zufälligen und momentanen zu unterscheiden, auch um etwa so zu sagen das
Mittel des Volkscharakters festzustellen und ein etwaiges Mehr oder Minder,
das durch vorübergehende politische oder sociale Verhältnisse zu erklären wäre,
an seinem Orte und mit seinen Ursachen 'zu betrachten. Gerechtigkeit gegen
ein fremdes Volk ist ohnehin eine schwere Sache. Mit der fremden Natur
ist es kaum anders, und es gehört immer eine gewisse Beweglichkeit des
Geistes und Bildung des ästhetischen Sinnes dazu, um die Schönheit einer
fremdartigen Landschaft zu erkennen und wirklich zu genießen. Aber die
Natur dringt nicht so auf uns ein wie das Volk, das gehört, mit dem ver¬
handelt sein will, und das uns an seinen Gewohnheiten betheiligt zu sehen
wünscht.

Und diese Gewohnheiten — wie sind sie durchaus von dem Charakter
der umgebenden Natur abhängig! Das ist das Erste und Wichtigste, was
berücksichtigt werden muß. Was das hiesige Klima am stärksten von dem
unsrigen unterscheidet, ist dieß, daß die natürlichen Epochen des Jahres, die
bei uns so stark einschneiden, hier fast ganz verwischt sind. Der Winter
ist hier nur ein verminderter Sommer, er fordert keine Veränderung der
Lebensweise. Wir sahen vor einigen Tagen junge Erbsen, im Freien ge¬
wachsen , auf dem Markte; an demselben Tage blühende Erbsenbeete in den
Weingärten, und die große Bohne schießt schon längst überall kräftig empor.
Für einen halben Frank kauft man an den Straßenecken die mächtigsten
Rosenbouquets, die schönsten Camelliensträuße; rothe Geranien, die blauen
Blüthen eines Rankengewächses sieht man noch häusig in den Gärten, von
denen auch die meisten nur immergrüne Bäume haben, und die Orange wird
hier Ende Januar geerntet. Um die köstlich duftenden honigreicher Blüthen
der Terebinthe summen die Bienen, die hier, wie es scheint, zu arbeiten nicht
aufhören; die Beete, die noch unbestellt geblieben sind, glänzen von gelb¬
blühendem Unkraut; die Magnolie, an der noch die Samenkolben mit ihren
rothen Kernen hängen, treibt schon wieder, die Citrone, ihrer Sommerfrucht
noch nicht entlastet, zeigt bereits Blüthenknospen und rasch, ehe deren alles
betäubende Duft ausbricht, nimmt das Veilchen die Zeit für seine bescheidene
Blüthe wahr: so reichen sich Sommer und Frühjahr über den Winter hin¬
weg die Hand. Nach wie vor verkauft der Limonadenhändler seine Eislimo-


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[0270] englischen Fregatte zu ehren. Werden wir hier einigermaßen bekannt, hoffe ich Schiller und Goethe noch ein ?as as äsux tanzen zu sehen. Die Beobachtungen zusammenzutragen und zu fixiren, die ich bisher an den Bewohnern dieser seltsamen Stadt gemacht, habe ich gewartet, um erst mit einiger Sicherheit die stehenden und wiederkehrenden Erscheinungen von den zufälligen und momentanen zu unterscheiden, auch um etwa so zu sagen das Mittel des Volkscharakters festzustellen und ein etwaiges Mehr oder Minder, das durch vorübergehende politische oder sociale Verhältnisse zu erklären wäre, an seinem Orte und mit seinen Ursachen 'zu betrachten. Gerechtigkeit gegen ein fremdes Volk ist ohnehin eine schwere Sache. Mit der fremden Natur ist es kaum anders, und es gehört immer eine gewisse Beweglichkeit des Geistes und Bildung des ästhetischen Sinnes dazu, um die Schönheit einer fremdartigen Landschaft zu erkennen und wirklich zu genießen. Aber die Natur dringt nicht so auf uns ein wie das Volk, das gehört, mit dem ver¬ handelt sein will, und das uns an seinen Gewohnheiten betheiligt zu sehen wünscht. Und diese Gewohnheiten — wie sind sie durchaus von dem Charakter der umgebenden Natur abhängig! Das ist das Erste und Wichtigste, was berücksichtigt werden muß. Was das hiesige Klima am stärksten von dem unsrigen unterscheidet, ist dieß, daß die natürlichen Epochen des Jahres, die bei uns so stark einschneiden, hier fast ganz verwischt sind. Der Winter ist hier nur ein verminderter Sommer, er fordert keine Veränderung der Lebensweise. Wir sahen vor einigen Tagen junge Erbsen, im Freien ge¬ wachsen , auf dem Markte; an demselben Tage blühende Erbsenbeete in den Weingärten, und die große Bohne schießt schon längst überall kräftig empor. Für einen halben Frank kauft man an den Straßenecken die mächtigsten Rosenbouquets, die schönsten Camelliensträuße; rothe Geranien, die blauen Blüthen eines Rankengewächses sieht man noch häusig in den Gärten, von denen auch die meisten nur immergrüne Bäume haben, und die Orange wird hier Ende Januar geerntet. Um die köstlich duftenden honigreicher Blüthen der Terebinthe summen die Bienen, die hier, wie es scheint, zu arbeiten nicht aufhören; die Beete, die noch unbestellt geblieben sind, glänzen von gelb¬ blühendem Unkraut; die Magnolie, an der noch die Samenkolben mit ihren rothen Kernen hängen, treibt schon wieder, die Citrone, ihrer Sommerfrucht noch nicht entlastet, zeigt bereits Blüthenknospen und rasch, ehe deren alles betäubende Duft ausbricht, nimmt das Veilchen die Zeit für seine bescheidene Blüthe wahr: so reichen sich Sommer und Frühjahr über den Winter hin¬ weg die Hand. Nach wie vor verkauft der Limonadenhändler seine Eislimo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/270>, abgerufen am 20.10.2024.