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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Der heutige Abend gehört dem Theater San Carlo. Man bekommt
des Genusses vollauf: vier Acte Martha, nach dem zweiten eine Fantasie des
greisen Mercatante "OmmaMio ü. ?aeim°°, ein melodiöses, aber etwas breites
und überzart instrumentirtes phrasenreiches Wer?, das dem anwesenden blinden
Maestro die lebhaftesten Huldigungen der Zuhörer eintrug. Nach der
Martha aber kam nun gar noch ein Ballet "Shakespeare" genannt, höchst
komisch durch unglaubliche Naivetät. Vor einer Schenke allerlei Maskenscherz;
alsdann erschien Shakespeare auf der Bühne, ein gelblich gedunsener Mann mit
schwarzem strähnigen Haar und einer Glatze, vollständig und imposant wie
eine Hemisphäre. Sein Zustand ging über das polizeilich Zulässige weit
hinaus: er war ungeheuer betrunken und stellte demnächst seine Flasche auf
den Boden, um nach den Leuten zu stechen. In diesem Stadium gerieth er
auf einen Sessel, es kam ihm eine Exposition zu schlafen an und so wurde
er in den königlichen Garten transportirt. Hier hatte er einen raren Traum.
"Aber der Mensch ist nur ein Esel, der sagen kann, was ihm war, als hätt'
er, oder was ihm war, als wär' er." Eine Dame mit einer Harfe, die sich
in seine Nähe postirt hatte, harfte ihn auf und nöthigte ihn, die Sprünge
eines Genius nicht nur anzusehen, sondern gelegentlich auch regelrecht zu
unterstützen. So oft er von diesem Geschäfte die Hände frei hatte, fuhr er
sich damit in die Reste seiner Haare. Der Genius trug eine lange Trompete
mit sich, die zugleich ein Katalog war; denn er zog gelegentlich aus der
Seite derselben einige Papierstreifen, auf denen man, ehe sie wieder zurück¬
schnappten, die Worte "Richard", "Hamlet" lesen konnte. Shakespeare las
sie gleichfalls, wühlte aber nach wie vor in den Haaren; eine hinten er¬
scheinende Scene aus Romeo machte ihn noch confuser. Der Genius, der
kaum noch auf die Sohlen kam, wurde ängstlich -- als Shakespeare endlich,
offenbar nur um ihn zufrieden zu stellen, und wenig überzeugt eine Schreib¬
bewegung machte. Damit war's gut. Im nächsten Acte wurde der Dichter¬
aspirant zur Königin beschieden und, weil er ihren Garten durch einen so
bevorzugten Rausch geweiht hatte, mit einem Lorbeerkranze geschmückt. Die
große Frage nach dem persönlichen Ansehen, das Shakespeare zu seiner Zeit
genossen, wurde dann einfach dahin gelöst, daß er sich zu der Königin auf
eine Gartenbank setzte, um ein Ballet anzusehn. Damit war die große Fer¬
mate für eine endlose Cadenee von Solo's und Ballbiles gewonnen, und
der geniale Erfinder der Handlung konnte ausruhen. Shakespeare schien es
aber bei all den wirbelnden Bewegungen wieder drehend zu werden; er zog
sich deshalb mit der Königin bald in die Gemächer zurück. -- Alles sehr
spaßhaft, wenn man bedenkt, daß Shakespeare so ziemlich dem ganzen Publicum
nur dem Namen nach bekannt ist; noch spaßhafter durch die Pointe des
ganzen Abends: es galt nämlich die Officiere einer frisch angekommenen


Grenzboten I. 1S69. ZZ

Der heutige Abend gehört dem Theater San Carlo. Man bekommt
des Genusses vollauf: vier Acte Martha, nach dem zweiten eine Fantasie des
greisen Mercatante „OmmaMio ü. ?aeim°°, ein melodiöses, aber etwas breites
und überzart instrumentirtes phrasenreiches Wer?, das dem anwesenden blinden
Maestro die lebhaftesten Huldigungen der Zuhörer eintrug. Nach der
Martha aber kam nun gar noch ein Ballet „Shakespeare" genannt, höchst
komisch durch unglaubliche Naivetät. Vor einer Schenke allerlei Maskenscherz;
alsdann erschien Shakespeare auf der Bühne, ein gelblich gedunsener Mann mit
schwarzem strähnigen Haar und einer Glatze, vollständig und imposant wie
eine Hemisphäre. Sein Zustand ging über das polizeilich Zulässige weit
hinaus: er war ungeheuer betrunken und stellte demnächst seine Flasche auf
den Boden, um nach den Leuten zu stechen. In diesem Stadium gerieth er
auf einen Sessel, es kam ihm eine Exposition zu schlafen an und so wurde
er in den königlichen Garten transportirt. Hier hatte er einen raren Traum.
„Aber der Mensch ist nur ein Esel, der sagen kann, was ihm war, als hätt'
er, oder was ihm war, als wär' er." Eine Dame mit einer Harfe, die sich
in seine Nähe postirt hatte, harfte ihn auf und nöthigte ihn, die Sprünge
eines Genius nicht nur anzusehen, sondern gelegentlich auch regelrecht zu
unterstützen. So oft er von diesem Geschäfte die Hände frei hatte, fuhr er
sich damit in die Reste seiner Haare. Der Genius trug eine lange Trompete
mit sich, die zugleich ein Katalog war; denn er zog gelegentlich aus der
Seite derselben einige Papierstreifen, auf denen man, ehe sie wieder zurück¬
schnappten, die Worte „Richard", „Hamlet" lesen konnte. Shakespeare las
sie gleichfalls, wühlte aber nach wie vor in den Haaren; eine hinten er¬
scheinende Scene aus Romeo machte ihn noch confuser. Der Genius, der
kaum noch auf die Sohlen kam, wurde ängstlich — als Shakespeare endlich,
offenbar nur um ihn zufrieden zu stellen, und wenig überzeugt eine Schreib¬
bewegung machte. Damit war's gut. Im nächsten Acte wurde der Dichter¬
aspirant zur Königin beschieden und, weil er ihren Garten durch einen so
bevorzugten Rausch geweiht hatte, mit einem Lorbeerkranze geschmückt. Die
große Frage nach dem persönlichen Ansehen, das Shakespeare zu seiner Zeit
genossen, wurde dann einfach dahin gelöst, daß er sich zu der Königin auf
eine Gartenbank setzte, um ein Ballet anzusehn. Damit war die große Fer¬
mate für eine endlose Cadenee von Solo's und Ballbiles gewonnen, und
der geniale Erfinder der Handlung konnte ausruhen. Shakespeare schien es
aber bei all den wirbelnden Bewegungen wieder drehend zu werden; er zog
sich deshalb mit der Königin bald in die Gemächer zurück. — Alles sehr
spaßhaft, wenn man bedenkt, daß Shakespeare so ziemlich dem ganzen Publicum
nur dem Namen nach bekannt ist; noch spaßhafter durch die Pointe des
ganzen Abends: es galt nämlich die Officiere einer frisch angekommenen


Grenzboten I. 1S69. ZZ
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[0269] Der heutige Abend gehört dem Theater San Carlo. Man bekommt des Genusses vollauf: vier Acte Martha, nach dem zweiten eine Fantasie des greisen Mercatante „OmmaMio ü. ?aeim°°, ein melodiöses, aber etwas breites und überzart instrumentirtes phrasenreiches Wer?, das dem anwesenden blinden Maestro die lebhaftesten Huldigungen der Zuhörer eintrug. Nach der Martha aber kam nun gar noch ein Ballet „Shakespeare" genannt, höchst komisch durch unglaubliche Naivetät. Vor einer Schenke allerlei Maskenscherz; alsdann erschien Shakespeare auf der Bühne, ein gelblich gedunsener Mann mit schwarzem strähnigen Haar und einer Glatze, vollständig und imposant wie eine Hemisphäre. Sein Zustand ging über das polizeilich Zulässige weit hinaus: er war ungeheuer betrunken und stellte demnächst seine Flasche auf den Boden, um nach den Leuten zu stechen. In diesem Stadium gerieth er auf einen Sessel, es kam ihm eine Exposition zu schlafen an und so wurde er in den königlichen Garten transportirt. Hier hatte er einen raren Traum. „Aber der Mensch ist nur ein Esel, der sagen kann, was ihm war, als hätt' er, oder was ihm war, als wär' er." Eine Dame mit einer Harfe, die sich in seine Nähe postirt hatte, harfte ihn auf und nöthigte ihn, die Sprünge eines Genius nicht nur anzusehen, sondern gelegentlich auch regelrecht zu unterstützen. So oft er von diesem Geschäfte die Hände frei hatte, fuhr er sich damit in die Reste seiner Haare. Der Genius trug eine lange Trompete mit sich, die zugleich ein Katalog war; denn er zog gelegentlich aus der Seite derselben einige Papierstreifen, auf denen man, ehe sie wieder zurück¬ schnappten, die Worte „Richard", „Hamlet" lesen konnte. Shakespeare las sie gleichfalls, wühlte aber nach wie vor in den Haaren; eine hinten er¬ scheinende Scene aus Romeo machte ihn noch confuser. Der Genius, der kaum noch auf die Sohlen kam, wurde ängstlich — als Shakespeare endlich, offenbar nur um ihn zufrieden zu stellen, und wenig überzeugt eine Schreib¬ bewegung machte. Damit war's gut. Im nächsten Acte wurde der Dichter¬ aspirant zur Königin beschieden und, weil er ihren Garten durch einen so bevorzugten Rausch geweiht hatte, mit einem Lorbeerkranze geschmückt. Die große Frage nach dem persönlichen Ansehen, das Shakespeare zu seiner Zeit genossen, wurde dann einfach dahin gelöst, daß er sich zu der Königin auf eine Gartenbank setzte, um ein Ballet anzusehn. Damit war die große Fer¬ mate für eine endlose Cadenee von Solo's und Ballbiles gewonnen, und der geniale Erfinder der Handlung konnte ausruhen. Shakespeare schien es aber bei all den wirbelnden Bewegungen wieder drehend zu werden; er zog sich deshalb mit der Königin bald in die Gemächer zurück. — Alles sehr spaßhaft, wenn man bedenkt, daß Shakespeare so ziemlich dem ganzen Publicum nur dem Namen nach bekannt ist; noch spaßhafter durch die Pointe des ganzen Abends: es galt nämlich die Officiere einer frisch angekommenen Grenzboten I. 1S69. ZZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/269>, abgerufen am 28.09.2024.