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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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und Haltung. Wo Vorgänge der Heroengeschichte erzählt werden, forschen
wir vergeblich nach römischem Sagenstoff; selbst die Darstellung des Mars
bei Rhea Silvia, die als Ausnahme gelten kann, ist eine bis auf Kleinig¬
keiten genaue Wiederholung der griechischen Composition des Endymion mit
Selene. Wo das Gebiet des gewöhnlichen Lebens und der täglichen Arbeit die
Gegenstände liefert, sehen wir in der Regel eine Vortragsweise angewandt, die
ihrem innersten Wesen nach nur der ideal denkenden griechischen Phantasie ent¬
springen konnte. Das Genre ist in eine höhere Sphäre gespielt: anmuthige
Flügelknaben (in denen man mit Unrecht Genien gesehen hat) sind es,
welche auf den Wogen schiffen, in der Schmiede die Waffen hämmern, in der
Palästra ringen, auf dem Felde den Saamen streuen und die Früchte
des Jahres ernten. Freilich ist mit alledem nicht gesagt, daß Sitte und
Geschmack des römischen Volkes ohne Einfluß auf das geblieben wäre,
was es sich von griechischen Händen bieten ließ. Die Griechen em¬
pfanden das Bedürfniß nicht, sich bis in alle Zufälligkeiten treue Bilder
ihrer Verstorbenen zu bewahren. In den Familienscenen, die ihre Gräber
zieren, sind alle Altersstufen in den individuellsten Figuren vertreten; aber
es ist eine in Kleinem wie Großem ideale Individualität, es sind Menschen,
die so nicht gelebt haben und nicht leben werden, Bilder menschlicher Schön¬
heit und menschlicher Empfindung, welche der Wirklichkeit nur das äußere
Kleid entlehnen. Der Römer dagegen, der seine iiuaginss unmittelbar nach
der Natur abformen ließ, der mit ächtem Adelsstolz auf die Bilder seiner
Vorfahren im Atrium sah, die er dem Leichenzug des Vaters in feierlicher
Folge durch den Verkehr des Marktes zu seiner seclös aeterug. vorausziehen
ließ, verlangte auch aus Grabmonumenten treue und genaue Porträts, nicht an
einer Stelle allein, sondern möglichst oft wiederholt, und namentlich am
Sarge selbst zum Schutz gegen Verwechslung, welche seiner mit der Pedan¬
terie angeschwisterten Pietät ein Greuel gewesen sein würde. Diesem Be¬
dürfniß mußten die griechischen Künstler Rechnung tragen; nicht immer
in so verständiger Weise, daß die ganze Figur liegend dargestellt wurde;
oft ganz unvermittelt innerhalb der figurenreichen Darstellung ist in
der Mitte der Vorderseite (oder ausnahmsweise auf einer der Schmal¬
seiten) das Hoplon oder Clipeus (wir würden sagen das Medaillon) mit
dem in Hochrelief vorspringenden Brustbild angebracht. Und eine nur äußer¬
liche Vermittelung ist es, obschon mit Hilfe eines an sich feinen Gedankens,
wenn inmitten der andersartigen Darstellung Siegesgöttinnen dem Be¬
schauer das Porträt des Todten Hinhalten. So ist es auch nur poetisch an¬
sprechend, nicht künstlerisch erfreulich, wenn sich das Porträt in die ideale
Darstellung selbst einschleicht, wenn die überraschte Ariadne, der schlafende


und Haltung. Wo Vorgänge der Heroengeschichte erzählt werden, forschen
wir vergeblich nach römischem Sagenstoff; selbst die Darstellung des Mars
bei Rhea Silvia, die als Ausnahme gelten kann, ist eine bis auf Kleinig¬
keiten genaue Wiederholung der griechischen Composition des Endymion mit
Selene. Wo das Gebiet des gewöhnlichen Lebens und der täglichen Arbeit die
Gegenstände liefert, sehen wir in der Regel eine Vortragsweise angewandt, die
ihrem innersten Wesen nach nur der ideal denkenden griechischen Phantasie ent¬
springen konnte. Das Genre ist in eine höhere Sphäre gespielt: anmuthige
Flügelknaben (in denen man mit Unrecht Genien gesehen hat) sind es,
welche auf den Wogen schiffen, in der Schmiede die Waffen hämmern, in der
Palästra ringen, auf dem Felde den Saamen streuen und die Früchte
des Jahres ernten. Freilich ist mit alledem nicht gesagt, daß Sitte und
Geschmack des römischen Volkes ohne Einfluß auf das geblieben wäre,
was es sich von griechischen Händen bieten ließ. Die Griechen em¬
pfanden das Bedürfniß nicht, sich bis in alle Zufälligkeiten treue Bilder
ihrer Verstorbenen zu bewahren. In den Familienscenen, die ihre Gräber
zieren, sind alle Altersstufen in den individuellsten Figuren vertreten; aber
es ist eine in Kleinem wie Großem ideale Individualität, es sind Menschen,
die so nicht gelebt haben und nicht leben werden, Bilder menschlicher Schön¬
heit und menschlicher Empfindung, welche der Wirklichkeit nur das äußere
Kleid entlehnen. Der Römer dagegen, der seine iiuaginss unmittelbar nach
der Natur abformen ließ, der mit ächtem Adelsstolz auf die Bilder seiner
Vorfahren im Atrium sah, die er dem Leichenzug des Vaters in feierlicher
Folge durch den Verkehr des Marktes zu seiner seclös aeterug. vorausziehen
ließ, verlangte auch aus Grabmonumenten treue und genaue Porträts, nicht an
einer Stelle allein, sondern möglichst oft wiederholt, und namentlich am
Sarge selbst zum Schutz gegen Verwechslung, welche seiner mit der Pedan¬
terie angeschwisterten Pietät ein Greuel gewesen sein würde. Diesem Be¬
dürfniß mußten die griechischen Künstler Rechnung tragen; nicht immer
in so verständiger Weise, daß die ganze Figur liegend dargestellt wurde;
oft ganz unvermittelt innerhalb der figurenreichen Darstellung ist in
der Mitte der Vorderseite (oder ausnahmsweise auf einer der Schmal¬
seiten) das Hoplon oder Clipeus (wir würden sagen das Medaillon) mit
dem in Hochrelief vorspringenden Brustbild angebracht. Und eine nur äußer¬
liche Vermittelung ist es, obschon mit Hilfe eines an sich feinen Gedankens,
wenn inmitten der andersartigen Darstellung Siegesgöttinnen dem Be¬
schauer das Porträt des Todten Hinhalten. So ist es auch nur poetisch an¬
sprechend, nicht künstlerisch erfreulich, wenn sich das Porträt in die ideale
Darstellung selbst einschleicht, wenn die überraschte Ariadne, der schlafende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/260>, abgerufen am 28.09.2024.