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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Schreibern abgefaßtes Manifest, als vom Teufel verblendete Bestie verhöhnte,
wurde in Orenburg belagert und war froh, daß die aufständischen Massen zu
Pugatschew zogen, statt ihn gefangen zu nehmen. -- Noch unfähiger erwies sich
Brandt, der Gouverneur von Kasan, ein hinfälliger Greis, der die Begeiste¬
rung der gebildeten Classen seiner Hauptstadt für die kaiserliche Sache völlig
unbenutzt ließ und sich nach der Angabe eines Zeugen "vor Schrecken kaum
auf den Füßen hielt." Dershawin und Ladishenski, die das Gouvernement
Saratow vertheidigen sollten, verloren ihre Zeit damit, Angesichts des heran¬
rückenden Feindes darüber zu streiten, wem von ihnen, als dem ältesten
Obristen das Commando gebühre. Graf Parm, der Obercommandirende
und intime Vertrauensmann der Kaiserin, war so träge, daß er in Persa
blieb und feine gegen die Rebellen kämpfenden Truppen auf eine Entfernung
von hundert Werst anweisen wollte, wie sie zu siegen hätten. Nicht besser
sah es an der obersten Stelle aus: das Kriegscollegium (diesen Titel führte
bis zu Alexander I. das Kriegsministerium) lebte in so vollständiger Unkenntniß
des Terrains, daß es fortwährend die Namen der zu überschreitenden Flüsse
verwechselte, über die Lage im Gouvernement Orenburg beim Commandanten
von Zaryzin anfragte und die zur Vertheidigung der sibirischen Festungen
bestimmte Munition von Rostow am Don über Astrachan dirignte. Nicht
ein Mal für die Sicherheit der Verbindungen zwischen dem Hauptquartier
der Armee und den Residenzen hatte man Sorge getragen und die obersten
Verwaltungsstellen wußten oft Wochenlang nicht, wie die Sachen an der
Wolga standen. Als die Kaiserin nach dem Tode Bibikow's den Fürsten
Galyzin zum Oberbefehlshaber ernennen wollte, wurde der Courier, der diesen
Ukas überbringen sollte, wegen "Unsicherheit der Wege" aufgehalten und die
Ernennung dadurch rückgängig gemacht.

Im Gegensatz zu der officiellen Darstellung und den Erzählungen
Puschkins, welche dem Oberbefehlshaber Grafen Parm und Suworow das
Hauptverdienst an der allendlichen Niederwerfung des Aufstandes zuschreiben,
hebt Mordawzew (der sonst keine Gelegenheit unbenutzt läßt, um seinem
Deutschenhaß Ausdruck zu geben) mit aller Schärfe hervor, daß die Haupt¬
sachen fast ausschließlich vom General Michelsohn gethan worden seien.
Daß der Aufstand aus das östliche Rußland beschränkt blieb, war allerdings
Btbikow zuzuschreiben, der mit unglaublicher Energie auszugleichen wußte,
was seine Vorgänger und Untergebenen verschuldet hatten: als dieser am
9. April 1774 plötzlich starb und Numjänzow's Intriguen Suworow an der wirk¬
samen Entfaltung seiner Thätigkeit verhinderten,.war es allein Michelsohn, der den
Muth nicht sinken ließ und dem Rebellen mit der Geschwindigkeit des Ad-
lers in allen seinen Bewegungen folgte, ihn beständig in Athem hielt und
dadurch allmälig entkräftete. Es ist höchst charakteristisch, wie der russische


Schreibern abgefaßtes Manifest, als vom Teufel verblendete Bestie verhöhnte,
wurde in Orenburg belagert und war froh, daß die aufständischen Massen zu
Pugatschew zogen, statt ihn gefangen zu nehmen. — Noch unfähiger erwies sich
Brandt, der Gouverneur von Kasan, ein hinfälliger Greis, der die Begeiste¬
rung der gebildeten Classen seiner Hauptstadt für die kaiserliche Sache völlig
unbenutzt ließ und sich nach der Angabe eines Zeugen „vor Schrecken kaum
auf den Füßen hielt." Dershawin und Ladishenski, die das Gouvernement
Saratow vertheidigen sollten, verloren ihre Zeit damit, Angesichts des heran¬
rückenden Feindes darüber zu streiten, wem von ihnen, als dem ältesten
Obristen das Commando gebühre. Graf Parm, der Obercommandirende
und intime Vertrauensmann der Kaiserin, war so träge, daß er in Persa
blieb und feine gegen die Rebellen kämpfenden Truppen auf eine Entfernung
von hundert Werst anweisen wollte, wie sie zu siegen hätten. Nicht besser
sah es an der obersten Stelle aus: das Kriegscollegium (diesen Titel führte
bis zu Alexander I. das Kriegsministerium) lebte in so vollständiger Unkenntniß
des Terrains, daß es fortwährend die Namen der zu überschreitenden Flüsse
verwechselte, über die Lage im Gouvernement Orenburg beim Commandanten
von Zaryzin anfragte und die zur Vertheidigung der sibirischen Festungen
bestimmte Munition von Rostow am Don über Astrachan dirignte. Nicht
ein Mal für die Sicherheit der Verbindungen zwischen dem Hauptquartier
der Armee und den Residenzen hatte man Sorge getragen und die obersten
Verwaltungsstellen wußten oft Wochenlang nicht, wie die Sachen an der
Wolga standen. Als die Kaiserin nach dem Tode Bibikow's den Fürsten
Galyzin zum Oberbefehlshaber ernennen wollte, wurde der Courier, der diesen
Ukas überbringen sollte, wegen „Unsicherheit der Wege" aufgehalten und die
Ernennung dadurch rückgängig gemacht.

Im Gegensatz zu der officiellen Darstellung und den Erzählungen
Puschkins, welche dem Oberbefehlshaber Grafen Parm und Suworow das
Hauptverdienst an der allendlichen Niederwerfung des Aufstandes zuschreiben,
hebt Mordawzew (der sonst keine Gelegenheit unbenutzt läßt, um seinem
Deutschenhaß Ausdruck zu geben) mit aller Schärfe hervor, daß die Haupt¬
sachen fast ausschließlich vom General Michelsohn gethan worden seien.
Daß der Aufstand aus das östliche Rußland beschränkt blieb, war allerdings
Btbikow zuzuschreiben, der mit unglaublicher Energie auszugleichen wußte,
was seine Vorgänger und Untergebenen verschuldet hatten: als dieser am
9. April 1774 plötzlich starb und Numjänzow's Intriguen Suworow an der wirk¬
samen Entfaltung seiner Thätigkeit verhinderten,.war es allein Michelsohn, der den
Muth nicht sinken ließ und dem Rebellen mit der Geschwindigkeit des Ad-
lers in allen seinen Bewegungen folgte, ihn beständig in Athem hielt und
dadurch allmälig entkräftete. Es ist höchst charakteristisch, wie der russische


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[0240] Schreibern abgefaßtes Manifest, als vom Teufel verblendete Bestie verhöhnte, wurde in Orenburg belagert und war froh, daß die aufständischen Massen zu Pugatschew zogen, statt ihn gefangen zu nehmen. — Noch unfähiger erwies sich Brandt, der Gouverneur von Kasan, ein hinfälliger Greis, der die Begeiste¬ rung der gebildeten Classen seiner Hauptstadt für die kaiserliche Sache völlig unbenutzt ließ und sich nach der Angabe eines Zeugen „vor Schrecken kaum auf den Füßen hielt." Dershawin und Ladishenski, die das Gouvernement Saratow vertheidigen sollten, verloren ihre Zeit damit, Angesichts des heran¬ rückenden Feindes darüber zu streiten, wem von ihnen, als dem ältesten Obristen das Commando gebühre. Graf Parm, der Obercommandirende und intime Vertrauensmann der Kaiserin, war so träge, daß er in Persa blieb und feine gegen die Rebellen kämpfenden Truppen auf eine Entfernung von hundert Werst anweisen wollte, wie sie zu siegen hätten. Nicht besser sah es an der obersten Stelle aus: das Kriegscollegium (diesen Titel führte bis zu Alexander I. das Kriegsministerium) lebte in so vollständiger Unkenntniß des Terrains, daß es fortwährend die Namen der zu überschreitenden Flüsse verwechselte, über die Lage im Gouvernement Orenburg beim Commandanten von Zaryzin anfragte und die zur Vertheidigung der sibirischen Festungen bestimmte Munition von Rostow am Don über Astrachan dirignte. Nicht ein Mal für die Sicherheit der Verbindungen zwischen dem Hauptquartier der Armee und den Residenzen hatte man Sorge getragen und die obersten Verwaltungsstellen wußten oft Wochenlang nicht, wie die Sachen an der Wolga standen. Als die Kaiserin nach dem Tode Bibikow's den Fürsten Galyzin zum Oberbefehlshaber ernennen wollte, wurde der Courier, der diesen Ukas überbringen sollte, wegen „Unsicherheit der Wege" aufgehalten und die Ernennung dadurch rückgängig gemacht. Im Gegensatz zu der officiellen Darstellung und den Erzählungen Puschkins, welche dem Oberbefehlshaber Grafen Parm und Suworow das Hauptverdienst an der allendlichen Niederwerfung des Aufstandes zuschreiben, hebt Mordawzew (der sonst keine Gelegenheit unbenutzt läßt, um seinem Deutschenhaß Ausdruck zu geben) mit aller Schärfe hervor, daß die Haupt¬ sachen fast ausschließlich vom General Michelsohn gethan worden seien. Daß der Aufstand aus das östliche Rußland beschränkt blieb, war allerdings Btbikow zuzuschreiben, der mit unglaublicher Energie auszugleichen wußte, was seine Vorgänger und Untergebenen verschuldet hatten: als dieser am 9. April 1774 plötzlich starb und Numjänzow's Intriguen Suworow an der wirk¬ samen Entfaltung seiner Thätigkeit verhinderten,.war es allein Michelsohn, der den Muth nicht sinken ließ und dem Rebellen mit der Geschwindigkeit des Ad- lers in allen seinen Bewegungen folgte, ihn beständig in Athem hielt und dadurch allmälig entkräftete. Es ist höchst charakteristisch, wie der russische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/240>, abgerufen am 28.09.2024.