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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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jährliche Abfindung für eigene Rechnung und auf eigene Gefahr die Leitung
der Staatsgeschäfte besorgt.

So verblieb man also durch erneuerte Sanctionirung des Systems der
Aversionszahlungen auf dem Boden der alten Verfassung. Wegen des Aufbrin-
gungsmodus entstanden aber zwischen Ritter- und Landschaft so große Diffe¬
renzen, daß der Versuch einer Ausgleichung und damit die Erledigung der
ganzen Vorlage bis zum nächsten Landtage verschoben werden mußte.

Die Regierung hatte bereits vorausgesehen, daß selbst für den Fall,
daß die Einigung über die Grundzüge der neuen Steuerordnung gelingen
würde, doch noch bis zur Ausführung eine geraume Zeit verfließen werde
und daß auf ein Jnterimisticum Bedacht zu nehmen sei, welches die unhalt¬
baren Theile der ordentlichen Contribution, die Handelsclassensteuer und die
Mahl- und Schlachtsteuer so weit modificirte, daß sie sich noch für einige
Zeit aufrecht erhalten ließen. Sie hatte einen solchen Ausweg um so mehr
aufsuchen müssen, als es ihr im Laufe der Zeit klar geworden war, daß
sich ihre anfängliche Absicht, die bestehenden Beschränkungen hinsichtlich der
Einfuhr von Mühlenfabrikaten, Brod und Fleisch in die Städte aufrecht
zu erhalten, dem Artikel 33 der Bundesverfassung und dem Artikel 8
des Zollvereins-Vertrages gegenüber nicht rechtfertigen ließe, daß vielmehr
eine vollständige Freigebung dieses Imports unvermeidlich sei. Während sie
denn auch wirklich einen Antrag dieser Art an den Landtag richtete, glaubte
sie dem städtischen Interesse eine genügende Concession zu machen, indem sie
sich bereit erklärte, für das nächste Jahr auf den dritten Theil der Handels¬
classen- und der Mahl- und Schlachtsteuer unter der Voraussetzung zu ver¬
zichten, daß die auf dem Lande sich niederlassenden Krämer, Bäcker und
Schlachter in entsprechender Weise zur ordentlichen Contribution herangezogen
würden.

Die Landschaft hatte sich früher, in einer Anwandlung von gehobenem
Selbstbewußtsein, mit sehr starken Worten gegen die fernere Zulässigkeit
der genannten Steuern ausgesprochen. Auf einem landschaftlichen Convent
zu Güstrow am 14. Aug. 1868 wurde mit 33 gegen 1 Stimme beschlossen,
eine Eingabe in dieser Angelegenheit an beide Großherzoge zu richten und
dieselbe durch eine Deputation überreichen zu lassen. In dieser Eingabe
heißt es: "Diese Steuern (die Handelsclassen-, Mahl- und Schlachtsteuer)
basiren wesentlich auf den paciscirren Rechten des exclusiver Nahrungs¬
betriebes. Durch das Bundesgesetz vom 8. v. M., betreffend den Betrieb
der stehenden Gewerbe, sind diese Vorrechte den Städten allgemein entzogen
und ist hiervon der Wegfall der correspondirenden Pflichten nur eine Selbst¬
folge. Die Forterhebung der gedachten Steuern würde das in Mecklenburg
bisher stets hochgehaltene allgemeine Rechtsbewußtsein aufs Aeußerste


jährliche Abfindung für eigene Rechnung und auf eigene Gefahr die Leitung
der Staatsgeschäfte besorgt.

So verblieb man also durch erneuerte Sanctionirung des Systems der
Aversionszahlungen auf dem Boden der alten Verfassung. Wegen des Aufbrin-
gungsmodus entstanden aber zwischen Ritter- und Landschaft so große Diffe¬
renzen, daß der Versuch einer Ausgleichung und damit die Erledigung der
ganzen Vorlage bis zum nächsten Landtage verschoben werden mußte.

Die Regierung hatte bereits vorausgesehen, daß selbst für den Fall,
daß die Einigung über die Grundzüge der neuen Steuerordnung gelingen
würde, doch noch bis zur Ausführung eine geraume Zeit verfließen werde
und daß auf ein Jnterimisticum Bedacht zu nehmen sei, welches die unhalt¬
baren Theile der ordentlichen Contribution, die Handelsclassensteuer und die
Mahl- und Schlachtsteuer so weit modificirte, daß sie sich noch für einige
Zeit aufrecht erhalten ließen. Sie hatte einen solchen Ausweg um so mehr
aufsuchen müssen, als es ihr im Laufe der Zeit klar geworden war, daß
sich ihre anfängliche Absicht, die bestehenden Beschränkungen hinsichtlich der
Einfuhr von Mühlenfabrikaten, Brod und Fleisch in die Städte aufrecht
zu erhalten, dem Artikel 33 der Bundesverfassung und dem Artikel 8
des Zollvereins-Vertrages gegenüber nicht rechtfertigen ließe, daß vielmehr
eine vollständige Freigebung dieses Imports unvermeidlich sei. Während sie
denn auch wirklich einen Antrag dieser Art an den Landtag richtete, glaubte
sie dem städtischen Interesse eine genügende Concession zu machen, indem sie
sich bereit erklärte, für das nächste Jahr auf den dritten Theil der Handels¬
classen- und der Mahl- und Schlachtsteuer unter der Voraussetzung zu ver¬
zichten, daß die auf dem Lande sich niederlassenden Krämer, Bäcker und
Schlachter in entsprechender Weise zur ordentlichen Contribution herangezogen
würden.

Die Landschaft hatte sich früher, in einer Anwandlung von gehobenem
Selbstbewußtsein, mit sehr starken Worten gegen die fernere Zulässigkeit
der genannten Steuern ausgesprochen. Auf einem landschaftlichen Convent
zu Güstrow am 14. Aug. 1868 wurde mit 33 gegen 1 Stimme beschlossen,
eine Eingabe in dieser Angelegenheit an beide Großherzoge zu richten und
dieselbe durch eine Deputation überreichen zu lassen. In dieser Eingabe
heißt es: „Diese Steuern (die Handelsclassen-, Mahl- und Schlachtsteuer)
basiren wesentlich auf den paciscirren Rechten des exclusiver Nahrungs¬
betriebes. Durch das Bundesgesetz vom 8. v. M., betreffend den Betrieb
der stehenden Gewerbe, sind diese Vorrechte den Städten allgemein entzogen
und ist hiervon der Wegfall der correspondirenden Pflichten nur eine Selbst¬
folge. Die Forterhebung der gedachten Steuern würde das in Mecklenburg
bisher stets hochgehaltene allgemeine Rechtsbewußtsein aufs Aeußerste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/227>, abgerufen am 28.09.2024.