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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Bei solcher Behandlung ist zunächst den Personen ihr Knochengerüst aus
dem Leibe genommen, Alles erweicht, die Härten verschlissen, das Charak¬
teristische abgestreift; Masinissa ist ein elender Schwächling geworden, Sopho-
niba eine Frau, wie aus der modernen weltbürgerlichen Gesellschaft vornehmer
Russen und Polen, an denen eine Nationalität nur aus gelegentlicher Er.
wähnung ihres Patriotismus zu erkennen ist, und Scipio, die stattlichste Figur,
die man gern mit jedem Tüchtigsten vergleichen möchte, wird ein wenig zu sehr
beredter, schönempfindender, tapferer General mit deutschen Augen, etwa wie
Herr v, Gablenz. Die treibenden Motive endlich, das verspätende Anziehen
der Rüstung, jene Idee Sophoniba zur Verführung der Numidter in das
römische Lager zu schmuggeln, die Verleumdung, daß Scipio die Sophoniba
für den Triumph aufbewahre, endlich das verständige Lesen des Briefes vor
dem projectirten Meuchelmord sind sämmtlich übel erfundene Uebereilungen
der Helden oder Motive des Lustspiels. Das Alles läßt sich nicht ver¬
schweigen. Aber trotzdem hat das Stück ein ächter Dichter gemacht. Ton
und Farbe sind durchaus eigenartig, viele colorirende Episoden geben
fast allzu reichen Schmuck und eine Stimmung, wie man sie'durch ein
reizendes orientalisches Märchen erhält, die edle gehobene Sprache wird im
Höhenpunkt: Scipio unter den Numidiern, und in der Katastrophe zu schö¬
nem Pathos. Das Kunstwerk ist in mehren Hauptsachen nicht gelungen,
aber der Künstler bleibt dem Leser werth.

Was endlich blieb bei solchen Aenderungen von der alten Anekdote? Es ist
wahr, der Dichter ist dem Stoff gegenüber souverän, nur durch die Lebensbe¬
dingungen seiner Kunst beschränkt; aber er wird sich doch sehr zu hüten haben,
daß der Stoff sich nicht unter seinen Aenderungen völlig verflüchtige. Es hatte
guten Grund, wenn die Franzosen unter Ludwig XIV. sich gern rühmten,
daß die Handlung ihrer Stücke ganz dem geschichtlichen Stoff entspräche, denn
die Freude an historischer Treue bewirkte wenigstens, daß sie in der Handlung,
wenn auch nicht in den Charakteren, Vieles vermieden, was gesundem Men¬
schenverstand ungereimt erscheint. Jede Umbildung des Stoffes, welche die
Bedürfnisse moderner Kunst in fremde Culturzustände trägt, setzt auch in
Gefahr, innere Widersprüche und greifbare UnWahrscheinlichkeiten zu schaffen;
in der alten Erzählung ist Sophoniba, dem Masinissa zu Knieen liegend und
das gebotene Gift trinkend, immer Sclavin des Siegers oder Gemahls; der
Dichter aber freut sich ihres hohen Sinnes, der stolzen Vaterlandsliebe, welche
grade im Contrast zu ihrer unfreien Lage reizvoll hervortreten. Sein schöpferi¬
sches Bestreben ist, diese hohen weiblichen Eigenschaften recht mächtig heraus¬
zutreiben und dem Hörer imponirend zu machen, er findet dafür solche Situa¬
tionen, also neue Theilstücke der Handlung, in denen die fürstlichen Qualitäten
der Sophoniba: königliche Gesinnung. Herrschaft über die Seelen sich auch in


Bei solcher Behandlung ist zunächst den Personen ihr Knochengerüst aus
dem Leibe genommen, Alles erweicht, die Härten verschlissen, das Charak¬
teristische abgestreift; Masinissa ist ein elender Schwächling geworden, Sopho-
niba eine Frau, wie aus der modernen weltbürgerlichen Gesellschaft vornehmer
Russen und Polen, an denen eine Nationalität nur aus gelegentlicher Er.
wähnung ihres Patriotismus zu erkennen ist, und Scipio, die stattlichste Figur,
die man gern mit jedem Tüchtigsten vergleichen möchte, wird ein wenig zu sehr
beredter, schönempfindender, tapferer General mit deutschen Augen, etwa wie
Herr v, Gablenz. Die treibenden Motive endlich, das verspätende Anziehen
der Rüstung, jene Idee Sophoniba zur Verführung der Numidter in das
römische Lager zu schmuggeln, die Verleumdung, daß Scipio die Sophoniba
für den Triumph aufbewahre, endlich das verständige Lesen des Briefes vor
dem projectirten Meuchelmord sind sämmtlich übel erfundene Uebereilungen
der Helden oder Motive des Lustspiels. Das Alles läßt sich nicht ver¬
schweigen. Aber trotzdem hat das Stück ein ächter Dichter gemacht. Ton
und Farbe sind durchaus eigenartig, viele colorirende Episoden geben
fast allzu reichen Schmuck und eine Stimmung, wie man sie'durch ein
reizendes orientalisches Märchen erhält, die edle gehobene Sprache wird im
Höhenpunkt: Scipio unter den Numidiern, und in der Katastrophe zu schö¬
nem Pathos. Das Kunstwerk ist in mehren Hauptsachen nicht gelungen,
aber der Künstler bleibt dem Leser werth.

Was endlich blieb bei solchen Aenderungen von der alten Anekdote? Es ist
wahr, der Dichter ist dem Stoff gegenüber souverän, nur durch die Lebensbe¬
dingungen seiner Kunst beschränkt; aber er wird sich doch sehr zu hüten haben,
daß der Stoff sich nicht unter seinen Aenderungen völlig verflüchtige. Es hatte
guten Grund, wenn die Franzosen unter Ludwig XIV. sich gern rühmten,
daß die Handlung ihrer Stücke ganz dem geschichtlichen Stoff entspräche, denn
die Freude an historischer Treue bewirkte wenigstens, daß sie in der Handlung,
wenn auch nicht in den Charakteren, Vieles vermieden, was gesundem Men¬
schenverstand ungereimt erscheint. Jede Umbildung des Stoffes, welche die
Bedürfnisse moderner Kunst in fremde Culturzustände trägt, setzt auch in
Gefahr, innere Widersprüche und greifbare UnWahrscheinlichkeiten zu schaffen;
in der alten Erzählung ist Sophoniba, dem Masinissa zu Knieen liegend und
das gebotene Gift trinkend, immer Sclavin des Siegers oder Gemahls; der
Dichter aber freut sich ihres hohen Sinnes, der stolzen Vaterlandsliebe, welche
grade im Contrast zu ihrer unfreien Lage reizvoll hervortreten. Sein schöpferi¬
sches Bestreben ist, diese hohen weiblichen Eigenschaften recht mächtig heraus¬
zutreiben und dem Hörer imponirend zu machen, er findet dafür solche Situa¬
tionen, also neue Theilstücke der Handlung, in denen die fürstlichen Qualitäten
der Sophoniba: königliche Gesinnung. Herrschaft über die Seelen sich auch in


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[0178] Bei solcher Behandlung ist zunächst den Personen ihr Knochengerüst aus dem Leibe genommen, Alles erweicht, die Härten verschlissen, das Charak¬ teristische abgestreift; Masinissa ist ein elender Schwächling geworden, Sopho- niba eine Frau, wie aus der modernen weltbürgerlichen Gesellschaft vornehmer Russen und Polen, an denen eine Nationalität nur aus gelegentlicher Er. wähnung ihres Patriotismus zu erkennen ist, und Scipio, die stattlichste Figur, die man gern mit jedem Tüchtigsten vergleichen möchte, wird ein wenig zu sehr beredter, schönempfindender, tapferer General mit deutschen Augen, etwa wie Herr v, Gablenz. Die treibenden Motive endlich, das verspätende Anziehen der Rüstung, jene Idee Sophoniba zur Verführung der Numidter in das römische Lager zu schmuggeln, die Verleumdung, daß Scipio die Sophoniba für den Triumph aufbewahre, endlich das verständige Lesen des Briefes vor dem projectirten Meuchelmord sind sämmtlich übel erfundene Uebereilungen der Helden oder Motive des Lustspiels. Das Alles läßt sich nicht ver¬ schweigen. Aber trotzdem hat das Stück ein ächter Dichter gemacht. Ton und Farbe sind durchaus eigenartig, viele colorirende Episoden geben fast allzu reichen Schmuck und eine Stimmung, wie man sie'durch ein reizendes orientalisches Märchen erhält, die edle gehobene Sprache wird im Höhenpunkt: Scipio unter den Numidiern, und in der Katastrophe zu schö¬ nem Pathos. Das Kunstwerk ist in mehren Hauptsachen nicht gelungen, aber der Künstler bleibt dem Leser werth. Was endlich blieb bei solchen Aenderungen von der alten Anekdote? Es ist wahr, der Dichter ist dem Stoff gegenüber souverän, nur durch die Lebensbe¬ dingungen seiner Kunst beschränkt; aber er wird sich doch sehr zu hüten haben, daß der Stoff sich nicht unter seinen Aenderungen völlig verflüchtige. Es hatte guten Grund, wenn die Franzosen unter Ludwig XIV. sich gern rühmten, daß die Handlung ihrer Stücke ganz dem geschichtlichen Stoff entspräche, denn die Freude an historischer Treue bewirkte wenigstens, daß sie in der Handlung, wenn auch nicht in den Charakteren, Vieles vermieden, was gesundem Men¬ schenverstand ungereimt erscheint. Jede Umbildung des Stoffes, welche die Bedürfnisse moderner Kunst in fremde Culturzustände trägt, setzt auch in Gefahr, innere Widersprüche und greifbare UnWahrscheinlichkeiten zu schaffen; in der alten Erzählung ist Sophoniba, dem Masinissa zu Knieen liegend und das gebotene Gift trinkend, immer Sclavin des Siegers oder Gemahls; der Dichter aber freut sich ihres hohen Sinnes, der stolzen Vaterlandsliebe, welche grade im Contrast zu ihrer unfreien Lage reizvoll hervortreten. Sein schöpferi¬ sches Bestreben ist, diese hohen weiblichen Eigenschaften recht mächtig heraus¬ zutreiben und dem Hörer imponirend zu machen, er findet dafür solche Situa¬ tionen, also neue Theilstücke der Handlung, in denen die fürstlichen Qualitäten der Sophoniba: königliche Gesinnung. Herrschaft über die Seelen sich auch in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/178>, abgerufen am 28.09.2024.