Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.des Harems noch Sclavin des Gemahls ist, über deren Leben und des Harems noch Sclavin des Gemahls ist, über deren Leben und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120366"/> <p xml:id="ID_514" prev="#ID_513"> des Harems noch Sclavin des Gemahls ist, über deren Leben und<lb/> Tod er unbedingtes Recht hat. Nach Anschauung seiner Zeitgenossen war<lb/> Mafinissa, als er der Gemahlin den Giftbecher sandte, nur kluger Politiker,<lb/> der das Kleinere dem Größeren, sein Weib einer Königskrone opferte; uns<lb/> wird er bei der gewöhnlichen Disposition der Handlung auf der Bühne ver¬<lb/> ächtlich. Und dagegen hilft keine Entschuldigung, welche ihm der Dichter<lb/> gönnt, sogar nicht Pflicht und Eidestreue gegen die Römer, wenn nämlich seine<lb/> Umstimmung an den Höhenpunkt der Handlung fällt, also wie in der Anekdote<lb/> das entscheidende Moment des Stückes wird. Wir Germanen vermögen die<lb/> Charaktere in dem Drama tiefer zu fassen und mehr von innerem Widerspruch<lb/> in ihre Natur zu legen, als die Hellenen, in deren Tragödie jede Umstimmung<lb/> des Helden durch menschliches Einreden für einen tödtlichen Fehler des Stückes<lb/> galt; aber auch bei uns muß der Held seiner Umgebung an Energie des<lb/> Willens und Thatkraft überlegen sein, sonst erlahmt das Interesse. Geibel<lb/> hat auch das richtig empfunden: er gibt den Mafinissa ganz auf, Sophoniba<lb/> verbündet sich ihrem Jugendgeliebten, im zweiten Act nur aus Patriotis¬<lb/> mus. Aber der Dichter hat diesen Helden noch schlechter behandelt, als<lb/> nöthig war, denn Mafinissa läßt sich sofort zum Abfall von den Römern ver¬<lb/> leiten, er erweist sich als ausgezeichnet unpraktisch, indem er die Sophoniba mit<lb/> in das römische Lager nimmt, damit sie auf seine Numidier wirke, und er<lb/> läßt sich dort gar noch von Scipio vor seinem Abmarsch überraschen und wieder<lb/> auf der Stelle (im dritten Act) so imponiren, daß er ihm die Sophoniba zur<lb/> Verfügung übergibt, worauf er aus dem Stück verschwindet. Von da an<lb/> wird Scipio Gegenspieler der Heldin und die innern Conflicte verlaufen<lb/> zwischen dem Römer und der Karthagerin. Offenbar zu spät für detcnllirte<lb/> Ausführung und nicht zum Vortheil für den Charakter der Heldin. Zuerst<lb/> war es Syphax, dann Mafinissa, dann Scipio: Sophoniba wird dadurch<lb/> unter der Hand in eine stolze unbefriedigte Dame verwandelt, welche den<lb/> Rechten sucht. Als sie ihn gefunden und eine zarte Annäherung zwischen<lb/> Beiden erfolgt ist, läßt sie sich durch ein Geklatsch der Dienerschaft, daß<lb/> Scipio sie nur schone, um sie im Triumph aufzuführen, so weit aufwühlen,<lb/> daß sie ihn zu erdolchen beschließt. Glücklicherweise kann sie vor der That,<lb/> nachdem sie bei Nacht in sein Zelt geschlichen ist, nicht unterlassen, einen un¬<lb/> vollendeten Brief Scipio's an den Senat vom Tische zu nehmen und zu<lb/> lesen, worin ihrer gemüthvoll und in großen Ehren gedacht wird. Da weckt<lb/> sie selbst den Scipio, wird durch seine besänftigende Worte und durch die<lb/> Nachricht von dem freiwilligen Tod ihrer Vertrauten an den unsühnbaren<lb/> politischen Gegensatz gemahnt, spricht ihre Empfindung würdig und innig<lb/> gegen den Geliebten aus und ersticht sich selbst mit dem Dolch, den ihr der<lb/> sterbende Syphax aus der Schlacht gesendet hatte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0177]
des Harems noch Sclavin des Gemahls ist, über deren Leben und
Tod er unbedingtes Recht hat. Nach Anschauung seiner Zeitgenossen war
Mafinissa, als er der Gemahlin den Giftbecher sandte, nur kluger Politiker,
der das Kleinere dem Größeren, sein Weib einer Königskrone opferte; uns
wird er bei der gewöhnlichen Disposition der Handlung auf der Bühne ver¬
ächtlich. Und dagegen hilft keine Entschuldigung, welche ihm der Dichter
gönnt, sogar nicht Pflicht und Eidestreue gegen die Römer, wenn nämlich seine
Umstimmung an den Höhenpunkt der Handlung fällt, also wie in der Anekdote
das entscheidende Moment des Stückes wird. Wir Germanen vermögen die
Charaktere in dem Drama tiefer zu fassen und mehr von innerem Widerspruch
in ihre Natur zu legen, als die Hellenen, in deren Tragödie jede Umstimmung
des Helden durch menschliches Einreden für einen tödtlichen Fehler des Stückes
galt; aber auch bei uns muß der Held seiner Umgebung an Energie des
Willens und Thatkraft überlegen sein, sonst erlahmt das Interesse. Geibel
hat auch das richtig empfunden: er gibt den Mafinissa ganz auf, Sophoniba
verbündet sich ihrem Jugendgeliebten, im zweiten Act nur aus Patriotis¬
mus. Aber der Dichter hat diesen Helden noch schlechter behandelt, als
nöthig war, denn Mafinissa läßt sich sofort zum Abfall von den Römern ver¬
leiten, er erweist sich als ausgezeichnet unpraktisch, indem er die Sophoniba mit
in das römische Lager nimmt, damit sie auf seine Numidier wirke, und er
läßt sich dort gar noch von Scipio vor seinem Abmarsch überraschen und wieder
auf der Stelle (im dritten Act) so imponiren, daß er ihm die Sophoniba zur
Verfügung übergibt, worauf er aus dem Stück verschwindet. Von da an
wird Scipio Gegenspieler der Heldin und die innern Conflicte verlaufen
zwischen dem Römer und der Karthagerin. Offenbar zu spät für detcnllirte
Ausführung und nicht zum Vortheil für den Charakter der Heldin. Zuerst
war es Syphax, dann Mafinissa, dann Scipio: Sophoniba wird dadurch
unter der Hand in eine stolze unbefriedigte Dame verwandelt, welche den
Rechten sucht. Als sie ihn gefunden und eine zarte Annäherung zwischen
Beiden erfolgt ist, läßt sie sich durch ein Geklatsch der Dienerschaft, daß
Scipio sie nur schone, um sie im Triumph aufzuführen, so weit aufwühlen,
daß sie ihn zu erdolchen beschließt. Glücklicherweise kann sie vor der That,
nachdem sie bei Nacht in sein Zelt geschlichen ist, nicht unterlassen, einen un¬
vollendeten Brief Scipio's an den Senat vom Tische zu nehmen und zu
lesen, worin ihrer gemüthvoll und in großen Ehren gedacht wird. Da weckt
sie selbst den Scipio, wird durch seine besänftigende Worte und durch die
Nachricht von dem freiwilligen Tod ihrer Vertrauten an den unsühnbaren
politischen Gegensatz gemahnt, spricht ihre Empfindung würdig und innig
gegen den Geliebten aus und ersticht sich selbst mit dem Dolch, den ihr der
sterbende Syphax aus der Schlacht gesendet hatte.
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