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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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aber habe der Amme den Becher gezeigt, diese ermahnt, nicht zu weinen,
denn sie sterbe rühmlich, und habe hochsinnig den Becher geleert. Masinissa
aber habe den Boten der Römer die Todte gezeigt und sie königlich bestattet.
Diese letzten Zusätze des Appian sind zuverlässig Folge einer Zurichtung des
Stoffes durch die Kunstpoesie.

Es ist eine bewegliche Geschichte, sehr anziehende Charaktere, hestig auf¬
brennende Leidenschaften und starker Conflict derselben, höchst dramatische
Situationen: und doch giebt es wenig Stoffe aus alter Zeit, welche drama¬
tischer Behandlung so spröde widerstreben. Keinem der namhaften Dichter,
welche sich an diesem Stoffe versucht haben, ist das dramatische Zurichten der
Handlung gelungen. Zunächst stört für das Drama das Fremdartige in
den Sitten und der Empfindungsweise beider Helden, gerade das, was dem
Hörer die epische Ueberlieferung reizend machen hilft. Der dramatische Dichter
hat die Aufgabe, seine Personen im Lichte der Bühne drei Stunden lang so
handeln zu lassen, daß sie ihr geheimstes Inneres aufschließen und daraus
ihr Thun erklären. Wenn aber der Zuschauer ihren Kampf mit dem Leben
in warmer Theilnahme verfolgen soll, so ist eine unabweisbare Voraussetzung,
daß sie in ihren wichtigen Lebensäuszerungen ihm verständlich und interessant
bleiben. Dazu ist vor Allem nöthig, daß sie im Ganzen unter der Herr¬
schaft derselben Sittengesetze und Lebensordnungen stehen, welche wir haben,
oder welche wir als ein historisches Moment in der Bildung unseres Volkes
zu würdigen gewöhnt sind. Es würde bei diesem Stoff also zunächst die
doppelte Vermählung der Sophoniba eine Klippe sein. Die Tragödie von
Corneille ist unter Anderem daran gescheitert, wie ihm schon Voltaire vorwarf,
und er selbst hat vergebens versucht, sich in einer Vorrede deshalb zu entschul¬
digen. Denn es nützt dem Drama Nichts, wenn Corneille versichert, daß nach
antiker Rechtsanschauung durch die Gefangenschaft des Syphax auch seine
Ehe mit der Sophoniba gelöst worden sei. Uns bleibt die erste Ehe unge¬
müthlich und höchst störend für die folgenden Wirkungen. Aber Syphax ist ja
ohne Mühe zu beseitigen. Da der Dichter unleugbar das Recht hat, den
Stoff nach dem Bedürfniß seiner Kunst umzuformen, so mag der erste Gemahl
der Sophoniba in dem Treffen fallen, er ist für die spätere Handlung unschwer
zu entbehren. Auch Geibel läßt den Syphax zu rechter Zeit sterben und bet
ihm ist die erste große Bewegung im Charakter der Sophoniba gehaltener
Schmerz um den Tod des Gemahls in verlorener Schlacht. Leider liegt das
für unser Ethos Unbehagliche nicht allein in der Doppelehe der Sophoniba,
sondern in dem ganzen Verhältniß des orientalischen Mannes zur Frau.
Neben einer plötzlich aufgeregten Leidenschaft, welche stürmisch fordert, frei
von unsern Rücksichten auf Anstand und Ehre, ist auch Grundlage der Er¬
zählung eine weit niedrigere Stellung des Weibes, welches auch als Herrin


aber habe der Amme den Becher gezeigt, diese ermahnt, nicht zu weinen,
denn sie sterbe rühmlich, und habe hochsinnig den Becher geleert. Masinissa
aber habe den Boten der Römer die Todte gezeigt und sie königlich bestattet.
Diese letzten Zusätze des Appian sind zuverlässig Folge einer Zurichtung des
Stoffes durch die Kunstpoesie.

Es ist eine bewegliche Geschichte, sehr anziehende Charaktere, hestig auf¬
brennende Leidenschaften und starker Conflict derselben, höchst dramatische
Situationen: und doch giebt es wenig Stoffe aus alter Zeit, welche drama¬
tischer Behandlung so spröde widerstreben. Keinem der namhaften Dichter,
welche sich an diesem Stoffe versucht haben, ist das dramatische Zurichten der
Handlung gelungen. Zunächst stört für das Drama das Fremdartige in
den Sitten und der Empfindungsweise beider Helden, gerade das, was dem
Hörer die epische Ueberlieferung reizend machen hilft. Der dramatische Dichter
hat die Aufgabe, seine Personen im Lichte der Bühne drei Stunden lang so
handeln zu lassen, daß sie ihr geheimstes Inneres aufschließen und daraus
ihr Thun erklären. Wenn aber der Zuschauer ihren Kampf mit dem Leben
in warmer Theilnahme verfolgen soll, so ist eine unabweisbare Voraussetzung,
daß sie in ihren wichtigen Lebensäuszerungen ihm verständlich und interessant
bleiben. Dazu ist vor Allem nöthig, daß sie im Ganzen unter der Herr¬
schaft derselben Sittengesetze und Lebensordnungen stehen, welche wir haben,
oder welche wir als ein historisches Moment in der Bildung unseres Volkes
zu würdigen gewöhnt sind. Es würde bei diesem Stoff also zunächst die
doppelte Vermählung der Sophoniba eine Klippe sein. Die Tragödie von
Corneille ist unter Anderem daran gescheitert, wie ihm schon Voltaire vorwarf,
und er selbst hat vergebens versucht, sich in einer Vorrede deshalb zu entschul¬
digen. Denn es nützt dem Drama Nichts, wenn Corneille versichert, daß nach
antiker Rechtsanschauung durch die Gefangenschaft des Syphax auch seine
Ehe mit der Sophoniba gelöst worden sei. Uns bleibt die erste Ehe unge¬
müthlich und höchst störend für die folgenden Wirkungen. Aber Syphax ist ja
ohne Mühe zu beseitigen. Da der Dichter unleugbar das Recht hat, den
Stoff nach dem Bedürfniß seiner Kunst umzuformen, so mag der erste Gemahl
der Sophoniba in dem Treffen fallen, er ist für die spätere Handlung unschwer
zu entbehren. Auch Geibel läßt den Syphax zu rechter Zeit sterben und bet
ihm ist die erste große Bewegung im Charakter der Sophoniba gehaltener
Schmerz um den Tod des Gemahls in verlorener Schlacht. Leider liegt das
für unser Ethos Unbehagliche nicht allein in der Doppelehe der Sophoniba,
sondern in dem ganzen Verhältniß des orientalischen Mannes zur Frau.
Neben einer plötzlich aufgeregten Leidenschaft, welche stürmisch fordert, frei
von unsern Rücksichten auf Anstand und Ehre, ist auch Grundlage der Er¬
zählung eine weit niedrigere Stellung des Weibes, welches auch als Herrin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/176>, abgerufen am 28.09.2024.