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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Der historische Stoff Sophoniba gehört zu den weitberufenen, welche seit
Vierthalbhundert Jahren sehr häufig Verwerthung für das Drama gefunden
haben. Wer Alles sammeln und lesen wollte, würde wahrscheinlich weit mehr
als zwanzig gedruckte Bearbeitungen zusammenbringen. Die ältesten kunst¬
gerechten waren: italienisch von Gio Giorgio Trissino (aufgeführt um 1514,
gedruckt 1S24). französisch von Mairet (1634) und Corneille (1663), deutsch
von Lobenstein (1680), englisch von Thomson (1730); die letzten deutsch
von Hersch und Geibel. --

Schon dem Alterthum hat die Anekdote selbst häufig die Phantasie be¬
schäftigt. Von einer dramatischen Verwerthung derselben bei den Römern
ist uns Nichts überliefert; daß sie vorhanden war, möchten wir aus der häu¬
figen Erwähnung durch die Geschichtschreiber -- Livius, Appianus, Cassius Dio
und Zonaras, und Diodorus -- schließen, ferner daraus, daß auch die Maler
sich den Stoff nicht entgehen ließen. Ein leider unvollständig erhaltenes
Wandgemälde von Pompeji, welches offenbar mangelhafte Copie eines bessern
Originals ist, stellt den Moment dar, wo Sophoniba auf dem Brautlager die
Giftschale in Gegenwart des Scipio leert. Der wohlbekannte Portraitkopf
des ältern Scipio Africanus macht den dargestellten Moment zweifellos.*)

Die überlieferte geschichtliche Anekdote ist nach Livius folgende: Die
Carthagerin Sophoniba, Tochter des Hasdrubal, Enkelin des Gisgo, nahe
Verwandte des Hannibal, ein Weib von ungewöhnlichem Geist und von be¬
zaubernder Schönheit, schlaue Punierin und leidenschaftliche Patriotin, wird
von ihrem Vater um 304 v. Chr. dem numidischen König Syphax ver-
mählt, um diesen auf die Seite Carthago's herüberzuziehen. Ihr Gemahl
wird, nachdem Scipio in Afrika gelandet ist, von dessen Unterfeldherrn Lälius
und von Masinissa dem Bundesgenossen der Römer, besiegt und gefangen.
Masinissa, damals noch in blühender Jugend, Prätendent eines Königssitzes
in Numidien, hatte ruhmvoll unter Scipio in Spanien gedient, darauf um
die Krone seines Heimathlandes mit dem Nachbarfürsten Syphax und dessen
numidischer Partei hartnäckig Kampf geführt; er war durch gehäufte Aben¬
teuer und Heldenthaten zu einem berühmten Kriegsmann geworden, ob¬
gleich seine Reiterhaufen wiederholt durch die Uebermacht des Syphax zer¬
streut wurden. Unzerstörbar erschien sein Leben, übermenschlich sein Muth,
er selbst gewaltig an Leib und Geisteskraft -- als er im Alter von 90 Jahren
starb, war der jüngste seiner Söhne 4 Jahr alt -- ganz das Ideal eines



") Von Visconti erkannt; vgl. darüber: Der Tod der Sophoniba auf einem Wand¬
gemälde. Von Otto Jahr. 1859. -- Das Wandbild ist deshalb von großer Bedeutung, weil
es uns Anschauung von der historischen Malerei des Alterthums gibt, die man lange viel
zu niedrig geschätzt hat. -- Der Name der Heldin ist nicht Sophonisbe, sondern nach den
ältesten Handschriften des Livius und Appianus Sophoniba, im Punischen -- nach gütiger
Mittheilung wahrscheinlich Sek-rü--i-WI, Schutz Gottes.

Der historische Stoff Sophoniba gehört zu den weitberufenen, welche seit
Vierthalbhundert Jahren sehr häufig Verwerthung für das Drama gefunden
haben. Wer Alles sammeln und lesen wollte, würde wahrscheinlich weit mehr
als zwanzig gedruckte Bearbeitungen zusammenbringen. Die ältesten kunst¬
gerechten waren: italienisch von Gio Giorgio Trissino (aufgeführt um 1514,
gedruckt 1S24). französisch von Mairet (1634) und Corneille (1663), deutsch
von Lobenstein (1680), englisch von Thomson (1730); die letzten deutsch
von Hersch und Geibel. —

Schon dem Alterthum hat die Anekdote selbst häufig die Phantasie be¬
schäftigt. Von einer dramatischen Verwerthung derselben bei den Römern
ist uns Nichts überliefert; daß sie vorhanden war, möchten wir aus der häu¬
figen Erwähnung durch die Geschichtschreiber — Livius, Appianus, Cassius Dio
und Zonaras, und Diodorus — schließen, ferner daraus, daß auch die Maler
sich den Stoff nicht entgehen ließen. Ein leider unvollständig erhaltenes
Wandgemälde von Pompeji, welches offenbar mangelhafte Copie eines bessern
Originals ist, stellt den Moment dar, wo Sophoniba auf dem Brautlager die
Giftschale in Gegenwart des Scipio leert. Der wohlbekannte Portraitkopf
des ältern Scipio Africanus macht den dargestellten Moment zweifellos.*)

Die überlieferte geschichtliche Anekdote ist nach Livius folgende: Die
Carthagerin Sophoniba, Tochter des Hasdrubal, Enkelin des Gisgo, nahe
Verwandte des Hannibal, ein Weib von ungewöhnlichem Geist und von be¬
zaubernder Schönheit, schlaue Punierin und leidenschaftliche Patriotin, wird
von ihrem Vater um 304 v. Chr. dem numidischen König Syphax ver-
mählt, um diesen auf die Seite Carthago's herüberzuziehen. Ihr Gemahl
wird, nachdem Scipio in Afrika gelandet ist, von dessen Unterfeldherrn Lälius
und von Masinissa dem Bundesgenossen der Römer, besiegt und gefangen.
Masinissa, damals noch in blühender Jugend, Prätendent eines Königssitzes
in Numidien, hatte ruhmvoll unter Scipio in Spanien gedient, darauf um
die Krone seines Heimathlandes mit dem Nachbarfürsten Syphax und dessen
numidischer Partei hartnäckig Kampf geführt; er war durch gehäufte Aben¬
teuer und Heldenthaten zu einem berühmten Kriegsmann geworden, ob¬
gleich seine Reiterhaufen wiederholt durch die Uebermacht des Syphax zer¬
streut wurden. Unzerstörbar erschien sein Leben, übermenschlich sein Muth,
er selbst gewaltig an Leib und Geisteskraft — als er im Alter von 90 Jahren
starb, war der jüngste seiner Söhne 4 Jahr alt — ganz das Ideal eines



") Von Visconti erkannt; vgl. darüber: Der Tod der Sophoniba auf einem Wand¬
gemälde. Von Otto Jahr. 1859. — Das Wandbild ist deshalb von großer Bedeutung, weil
es uns Anschauung von der historischen Malerei des Alterthums gibt, die man lange viel
zu niedrig geschätzt hat. — Der Name der Heldin ist nicht Sophonisbe, sondern nach den
ältesten Handschriften des Livius und Appianus Sophoniba, im Punischen — nach gütiger
Mittheilung wahrscheinlich Sek-rü—i-WI, Schutz Gottes.
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[0174] Der historische Stoff Sophoniba gehört zu den weitberufenen, welche seit Vierthalbhundert Jahren sehr häufig Verwerthung für das Drama gefunden haben. Wer Alles sammeln und lesen wollte, würde wahrscheinlich weit mehr als zwanzig gedruckte Bearbeitungen zusammenbringen. Die ältesten kunst¬ gerechten waren: italienisch von Gio Giorgio Trissino (aufgeführt um 1514, gedruckt 1S24). französisch von Mairet (1634) und Corneille (1663), deutsch von Lobenstein (1680), englisch von Thomson (1730); die letzten deutsch von Hersch und Geibel. — Schon dem Alterthum hat die Anekdote selbst häufig die Phantasie be¬ schäftigt. Von einer dramatischen Verwerthung derselben bei den Römern ist uns Nichts überliefert; daß sie vorhanden war, möchten wir aus der häu¬ figen Erwähnung durch die Geschichtschreiber — Livius, Appianus, Cassius Dio und Zonaras, und Diodorus — schließen, ferner daraus, daß auch die Maler sich den Stoff nicht entgehen ließen. Ein leider unvollständig erhaltenes Wandgemälde von Pompeji, welches offenbar mangelhafte Copie eines bessern Originals ist, stellt den Moment dar, wo Sophoniba auf dem Brautlager die Giftschale in Gegenwart des Scipio leert. Der wohlbekannte Portraitkopf des ältern Scipio Africanus macht den dargestellten Moment zweifellos.*) Die überlieferte geschichtliche Anekdote ist nach Livius folgende: Die Carthagerin Sophoniba, Tochter des Hasdrubal, Enkelin des Gisgo, nahe Verwandte des Hannibal, ein Weib von ungewöhnlichem Geist und von be¬ zaubernder Schönheit, schlaue Punierin und leidenschaftliche Patriotin, wird von ihrem Vater um 304 v. Chr. dem numidischen König Syphax ver- mählt, um diesen auf die Seite Carthago's herüberzuziehen. Ihr Gemahl wird, nachdem Scipio in Afrika gelandet ist, von dessen Unterfeldherrn Lälius und von Masinissa dem Bundesgenossen der Römer, besiegt und gefangen. Masinissa, damals noch in blühender Jugend, Prätendent eines Königssitzes in Numidien, hatte ruhmvoll unter Scipio in Spanien gedient, darauf um die Krone seines Heimathlandes mit dem Nachbarfürsten Syphax und dessen numidischer Partei hartnäckig Kampf geführt; er war durch gehäufte Aben¬ teuer und Heldenthaten zu einem berühmten Kriegsmann geworden, ob¬ gleich seine Reiterhaufen wiederholt durch die Uebermacht des Syphax zer¬ streut wurden. Unzerstörbar erschien sein Leben, übermenschlich sein Muth, er selbst gewaltig an Leib und Geisteskraft — als er im Alter von 90 Jahren starb, war der jüngste seiner Söhne 4 Jahr alt — ganz das Ideal eines ") Von Visconti erkannt; vgl. darüber: Der Tod der Sophoniba auf einem Wand¬ gemälde. Von Otto Jahr. 1859. — Das Wandbild ist deshalb von großer Bedeutung, weil es uns Anschauung von der historischen Malerei des Alterthums gibt, die man lange viel zu niedrig geschätzt hat. — Der Name der Heldin ist nicht Sophonisbe, sondern nach den ältesten Handschriften des Livius und Appianus Sophoniba, im Punischen — nach gütiger Mittheilung wahrscheinlich Sek-rü—i-WI, Schutz Gottes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/174>, abgerufen am 28.09.2024.